Open Source Saatgut - mehr Problem als Lösung?

Kritik eines Züchters an der neuen Lizenz für Saatgut

Im August des vergangenen Jahres (GID 242) berichteten wir über die sogenannte Open Source-Lizenz für Saatgut. Jetzt kommt ein Züchter zu Wort, der die Grundidee dieser neuen Lizenz kritisiert.

Im vergangenen Jahr hat Agrecol, ein Verein, der sich für standortgerechte Landwirtschaft einsetzt1 , mit der Open Source Lizenz (OSL) eine Rechtsform geschaffen, nach der einmal lizensiertes Saatgut nie mehr mit dem sogenannten Sortenschutz oder mit Patenten belegt werden darf, die den Züchtern über einen beschränkten Zeitraum ein alleiniges Vermarktungsrecht gewähren. Mit der OSL gilt: einmal Open Source, immer Open Source.2 Dieses Prinzip wird Viralität genannt und erstreckt sich auf alle Nachkommen von mit der OSL lizensiertem Saatgut. Die OSL ist eine zivilrechtliche Vereinbarung, ein Vertrag, der mit dem Saatgut stets wieder auf den folgenden Empfänger übertragen wird. Was auf den ersten Blick sympathisch daherkommt, führt zu Problemen, die hier erläutert werden sollen.

OSL und das Gemeingut Saatgut

Eine erste Frage ist, in welchem Verhältnis die OSL zum Gemeingut Saatgut steht. Wenn eine Züchterin oder ein Züchter eine ‚Sorte‘3 mit der Open Source Lizenz OSL versehen will, werden laut Vertragstext alle Rechte, insbesondere die Rechte auf Unterlassung und Schadenersatz, an den Begünstigten abgetreten. Der Klageberechtigte auf die Einhaltung der Vertragsbestimmungen ist Agrecol. Die OSL sieht keine gemeinsame Gestaltung des Gemeinwesens durch die Betroffenen vor, was nach den Untersuchungen der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom jedoch als essentiell für Gemeingüter angesehen werden muss.4 Weder die Züchter noch die Nutzer/Empfänger können sich in irgendeiner Form beteiligen. Der Vertragstext konzentriert alle Rechte hierarchisch bei einer einzigen begünstigten Institution, dem Verein Agrecol. In dieser Hinsicht erscheint das Modell OSL noch nicht ausgereift.

Koexistenz von OSL und geschützten Sorten

Unterdessen wird erstes OSL-lizenziertes Saatgut auf dem Markt angeboten. Es zeichnen sich Schwierigkeiten ab, weil die Koexistenz von OSL und Sortenschutz in einem Züchtungsbetrieb nicht gewährleistet werden kann. Aufgrund der Viralität ‚vererbt‘ sich die OSL automatisch auf alle Nachkommen. Deshalb fällt zum Beispiel auch bei spontanen Auskreuzungen die gesamte Nachkommenschaft unter den Anspruch der OSL. Solche Auskreuzungen können beispielsweise bei Sortenvergleichsversuchen mit Getreide bei ein bis drei Prozent der Befruchtungsvorgänge vorkommen. Künftige Rechtsstreitigkeiten sind vorprogrammiert. Zudem ist bisher offen, wie der Nachweis bei Einkreuzung einer mit der OSL lizenzierten Linie erbracht werden kann. Für Züchterinnen und Züchter besteht damit eine hohe Rechtsunsicherheit, die sich nur vermeiden lässt, wenn OSL-Pflanzen konsequent aus dem Zuchtgarten verbannt werden. Anderenfalls gehen die Züchterinnen und Züchter ein hohes Risiko ein, sich früher oder später mit einer Schadenersatzklage konfrontiert zu sehen. Damit behindert die OSL die Zusammenarbeit unter den Züchtungsinitiativen, was sicher nicht im Sinne des Erfinders ist. Faktisch verschließt die OSL den professionellen Züchtern den Zugang zu den mit OSL geschützten genetischen Ressourcen.

OSL und das klassische Züchtungsfinanzierungsmodell

Beim Sortenschutz nach UPOV ist das grundsätzlich anders, denn dieser gewährt in jedem Fall das Züchterprivileg. Jede geschützte Sorte darf ungefragt zur Weiterzüchtung verwendet werden und die daraus entstehende Sorte darf wiederum geschützt werden. Und auch für die neue Sorte gilt wiederum das Züchterprivileg, womit der Zugang zum Gemeingut der genetischen Ressourcen stets wieder neu gewährleistet wird. Auf diese Weise stellt der Sortenschutz die vollständige Partizipation am Züchtungsfortschritt sowohl für die Landwirtschaft als auch für alle anderen Züchter sicher. Ein erhebliches Problem der OSL entsteht durch den fehlenden Schutz der Arbeit der Züchterinnen und der Züchter. Sie müssen von ihrer Hände Werk leben können. Pflanzenzüchtung ist ein Beruf und er muss noch für viel mehr Menschen zum Beruf und zur Lebensaufgabe werden können, wenn die Züchtung für die biologische und nachhaltige Landwirtschaft Zukunft haben soll.

Aufgrund der Arbeitsteilung zwischen Züchtern, Saatgutvermehrern und Landwirten hat sich in den letzten 100 Jahren in Europa das Prinzip des Sortenschutzes und der Saatgutzertifizierung entwickelt, das die enorme Vielfalt von kleinen Züchtungsbetrieben erst ermöglicht hat. In den letzten 40 Jahren wurden diese zunehmend von Firmen aufgekauft, die ihr großes Geld nicht mit Saatgut, sondern mit Agrochemikalien gemacht haben und noch immer machen. Es ist deshalb nicht richtig, die Konzentration des Saatgutgeschäfts auf die großen Saatgutfirmen dem Sortenschutz anzulasten!

Auch Biolandwirte wollen heute nicht irgendwelche keimfähigen Weizenkörner säen, sondern spezifische Sorten mit garantierten Qualitäten. Nur damit können sie zum Beispiel die Qualität erzielen, die für Brotgetreide nötig ist und den Ansprüchen der Müller und Bäcker genügt. Biobetriebe verwenden zwar oft Teile ihrer Getreideernte als Saatgut (Nachbau), aber im Durchschnitt kaufen sie dennoch alle drei bis vier Jahre zertifiziertes Saatgut mit definierten Qualitäten.

Rückfinanzierung verunmöglicht

Mit der OSL wird nun die Rückfinanzierung der Züchtung über den Saatgutverkauf von geschützten Sorten generell, das heisst auch für die gemeinnützig arbeitenden Bio-Züchtungs-Initiativen verunmöglicht. Bis heute finanzieren sich diese Initiativen zum großen Teil durch Spendengelder und gemeinnützige Mittel, aber mit zunehmender Verfügbarkeit von geeigneten Sorten für den professionellen Anbau steigt kontinuierlich auch der Anteil der Rückfinanzierung aus dem Saatgutverkauf. Für diese Züchter ist es unverständlich, wieso dieses Finanzierungsmodell der zeitlich befristeten Vermarktungsrechte durch die OSL vollständig ausgeschlossen werden soll.
OSL als reines Patentierungsverbot - eine breit akzeptierte Lösung!

Bereits im Vorfeld der OSL-Veröffentlichung wurden alle oben genannten Kritikpunkte vorgebracht, mit den Initianten diskutiert und in der Studie ‚Saatgut - Gemeingut‘ beschrieben. Eine Lösung der aufgezeigten Probleme könnte durch die Beschränkung der OSL auf ein generelles Patentverbot für Saatgut erreicht werden, und/oder durch die Gewährung eines ‚copy far left‘, das heißt einer klar definierten Ausnahmeregel für gemeinnützig arbeitende Züchtungsinitiativen. Ein OSL-Patentverbot würde den europäischen Sortenschutz gegenüber der sich immer stärker verbreitenden Patentierung stärken und zugleich das Gemeingut Saatgut in seinen Qualitäten als Kulturgut, als Rechtsgut und auch als Wirtschaftsgut vollständig respektieren.

Die OSL könnte auf diese Weise mithelfen, den Zugang zu genetischen Ressourcen zu gewährleisten und die Patentierung in Europa einzugrenzen. Und die OSL-Initianten könnten mit der Unterstützung von allen kleinen und mittelständischen Züchtern in Europa rechnen, die sich Patentierungen nicht leisten können und wollen.

 

Literatur und Links:

JOHANNES WIRZ, PETER KUNZ, UELI HURTER (2017): Saatgut - Gemeingut. Züchtung als Quelle von Realwirtschaft, Recht und Kultur. Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven für gemeinnützige Saatgut- und Züchtungsinitiativen. 106 Seiten, geheftet, 15 Euro (zuzüglich Versandkosten). Bezug: Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum, Hügelweg 59, 4143 Dornach (Schweiz), sektion.landwirtschaft@goetheanum.ch. Kostenfreier Download unter www.gzpk.ch.

FABIEN GIRARD, CHRISTINE FRISON (2018): The Commons, Plant Breeding and Agricultural Research. Challenges for food security and agrobiodiversity. Routledge. ISBN 978-1-138-08758-3, eBook: 978-1-315-11038-7, www.routledge.com.

Die Nachwuchsgruppe „RIGHT SEEDS?“ der Universität Oldenburg beschäftigt sich mit gemeingüterbasierten Rechten an Saatgut und Sorten. www.uni-oldenburg.de/rightseeds.

 

  • 1Agrecol e.V. ist laut Selbstbeschreibung ein Verein zur Förderung der standortgerechten Landnutzung in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Mehr dazu im Netz unter: www.agrecol.de. Zum Lizenz- vertrag siehe www.opensourceseeds.org.
  • 2iehe dazu den Beitrag „Jenseits von Markt und Staat“ von Anne Bundschuh im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) 242 (August 2017). Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3672.
  • 3Der Begriff „Sorte“ ist in diesem Beitrag im Sinne einer zugelassenen Sorte verwendet, das heißt sie ist durch das Bundessortenamt oder eine vergleichbare Institution in einem nationalen oder im europäischen Sortenkatalog registriert. Sie erfüllt die sogenannten DHS-Kriterien (Unterscheidbarkeit, Homogenität und Stabilität) und unterliegt allenfalls den UPOV-Kriterien für Sortenschutz. UPOV ist der Internationa- le Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen mit 75 Mitgliedstaaten. Im Open Source Lizenzvertrag spricht Agrecol fast ausschliesslich von Saatgut und selten von Sorten, weil diese nach den UPOV/DHS-Kriterien definiert werden müssten.
  • 4Ostrom, Elinor (2009): Beyond Markets and States: Polycentric Governance of Complex Economic Systems, Nobelpreisrede vom 8. Dezember 2009, online unter: www.nobelprize.org.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
245
vom Mai 2018
Seite 25 - 26

Peter Kunz ist seit 35 Jahren biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter und seit 2000 für die gemeinnützige Züchtungsinitiative gzpk aktiv. Diese arbeitet mit Weizen, Dinkel, Triticale, Hartweizen, Mais, Erbsen, Lupinen und Sonnenblumen an Standorten in der Schweiz, in Italien und Deutschland (www.getreidezuechtung.ch, www.biosaat.org).

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