Ökologische Risiken der neuen Gentechniken
Neue Eigenschaften schaffen neue Fragen
Die neuen Gentechniken ermöglichen einen präziseren Eingriff ins Genom als andere Techniken. Ihre Möglichkeiten und Nebeneffekte sind mit potenziellen Risiken für Mensch und Umwelt verbunden – wie aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen.

Bei der Auskreuzung von GVO mit neuen Eigenschaften sind Wechselwirkungen mit Mikro- und Bodenorganismen sowie Insekten möglich. Foto: Gemeinfrei auf pixabay.com
Das Versprechen, mit Hilfe der neuen Gentechniken (NGT) wie CRISPR-Cas ließen sich Pflanzen (und andere Organismen) einfach, präzise und rasch verändern, führte zu einem enormen Anstieg an Forschungsprojekten.1 Doch ein präziseres Adressieren des zu verändernden Genomortes steht nicht zwingend für Sicherheit. Viele Studien zeigen, dass sowohl am Zielort der Veränderung (On-Target) als auch an anderen Stellen des Genoms (Off-Target) unerwartete Effekte möglich sind, die zu veränderten Proteinen und Produkten führen und neue, unbekannte, zumeist unerwünschte Eigenschaften mit sich bringen können.2, 3 CRISPR-Cas-induzierte Veränderungen unterscheiden sich durchaus von natürlichen Mutationen: so lassen sich besonders geschützte Genregionen und alle Kopien eines Gens verändern, auch sind mehrere Veränderungen gleichzeitig möglich (Multiplexing) sowie die Trennung eng benachbarter Gene. NGT kann so zu Organismen mit neuen Eigenschaftskombinationen führen, die bislang nicht möglich waren. Zudem ist die alte Gentechnik meist weiterhin im Spiel.
Wirkung neuer Eigenschaften auf Ökosysteme
Das Spektrum an Eigenschaften der NGT soll sehr viel breiter sein als das der alten Gentechnik. Zahlreiche Pflanzen sollen direkt mit mehreren neuen Eigenschaften ausgestattet werden. Die Risikoabschätzung für neue gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ist deshalb besonders schwierig, zumal sich GVO im Freiland und unter Stressbedingungen häufig anders als im Labor verhalten. In der Umweltrisikoanalyse für neue GVO müssen folglich On-Target- und Off-Target-Effekte sowie die neuartigen Kombinationen von Eigenschaft/Pflanzenart eingehend geprüft werden.4 Auch sind sekundäre Effekte und indirekte Wirkungen der GVO auf Agrarsysteme stärker zu beachten, wie sie beispielsweise beim Anbau Herbizid-resistenter Pflanzen auftreten.5
Die Superpflanze der Zukunft soll nicht nur resistent gegen Herbizide sein, sondern auch gegen Pathogene. Sie soll tolerant gegen widrige Umweltbedingungen sein, schneller wachsen und mehr Ertrag bringen. Bekannt ist jedoch, dass Einzelresistenzen von Krankheitserregern rasch überwunden werden und die Interaktion Pflanze – Erreger von Umweltbedingungen abhängig ist.6 Ob Pathogenresistenzen bei höheren Temperaturen und CO2-Gehalten stabil sind, ist schwer vorherzusagen. Pilzresistenzen können zudem Wachstum und Altern der Pflanzen beeinflussen, gegen andere Schadpilze anfälliger machen sowie das Wechselspiel zwischen natürlicher Mikroflora und Pflanzen verändern.7, 8 Bei breiter Nutzung werden einzelne Resistenzen vermutlich auch rasch überwunden. Gleiches gilt für Virusresistenzen, denn die hohen Mutationsraten von Viren lassen leicht neue Virustypen entstehen.9
Stresstoleranz und Wachstum sind komplexe Prozesse, durch viele Gene und intensiven Austausch zwischen Pflanzen und Umwelt auf verschiedenen Ebenen reguliert. Einzelne Gene zeigen ein breites Spektrum an Wirkungen, die Effekte ihrer Veränderung sind deshalb besonders schwer vorherzusagen.10 Auch wirken Stressgene meist eher unspezifisch und sind mit anderen Stoffwechselwegen wie der Abwehrreaktion gegen Pathogene verknüpft.11 Dies erklärt vermutlich auch, warum die Gentechnik keine stresstoleranten Pflanzen hervorbrachte, wohingegen die klassische Züchtung durchaus erfolgreich ist.12, 13
Sollte Stresstoleranz die Pflanzen jedoch fitter und wuchskräftiger machen, wäre mit mehr Nachkommen und damit vermehrter Ausbreitung zu rechnen. Kältetolerante Pflanzen könnten leichter überwintern und so eher zu Durchwuchs führen, der häufig mit Herbiziden bekämpft wird. Würden Kulturpflanzen in für sie bisher ungeeigneten Regionen angebaut, könnten sich neue Kreuzungsmöglichkeiten mit Wildpflanzen ergeben. Sollte es sich bei den GVO um mehrjährige Pflanzen oder gar langlebige Bäume handeln, ließen sich Effekte einer höheren Fitness kaum abschätzen. Denn es kann viele Jahre dauern, bis sich eine in einem Ökosystem neue Art negativ auf dessen Artenvielfalt auswirkt.14
Die Veränderung von Inhaltsstoffen, z.B. Fettsäuren, ist ebenfalls Ziel der neuen Gentechnik. Fettsäuren sind jedoch nicht nur notwendige Bestandteile der Zelle, sondern spielen auch in der Reaktion auf biotischen und abiotischen Stress eine wichtige Rolle. Die Veränderung des Fettsäurestoffwechsels kann deshalb zu vielfältigen Effekten führen.15 So wird nicht nur die Bildung sekundärer Inhaltsstoffe bzw. die von Hormonen beeinflusst, sondern auch Wachstum und Stresstoleranz sowie die Nahrungsqualität für Insekten. Das Risiko unerwünschter Effekte ist besonders groß, wenn es um GVO geht, die sich leicht mit Wildarten kreuzen, wie etwa Kreuzblütler.16 Auch ein verringerter Ligningehalt von Bäumen könnte das ökologische Gleichgewicht massiv beeinflussen, da Lignine den Holzabbau verlangsamen und zur Abwehr von Schadorganismen beitragen.
Gentransfer: Auskreuzung und Ausbreitung
Die Erfahrung zeigt: Auskreuzung der GVO lässt sich nicht verhindern und ihre unerwünschte Verbreitung findet vielfach statt. In den Ursprungsregionen der Kulturpflanzen kommen regelmäßig kreuzungsfähige Arten vor, so kreuzt sich der Raps (Brassica napus) in Europa nicht nur mit Kohl oder Rüben, sondern auch mit heimischen Wildarten. Abhängig von den eingekreuzten Eigenschaften könnten Wildarten ihre Fitness steigern und/oder neue Inhaltsstoffe bilden. Veränderte Wechselwirkungen mit Mikro- und Bodenorganismen, Insekten und anderen Tieren wären zu erwarten. Dabei bestehen für selten angebaute Kulturpflanzen, Zierpflanzen oder mehrjährige Pflanzen zumeist große Kenntnislücken hinsichtlich der Befruchtungsverhältnisse, Auskreuzungsdistanzen und möglicher Kreuzungspartner. Insbesondere bei Bäumen sind sehr große räumliche und zeitliche Distanzen zu betrachten.
Zudem gilt: Der Mensch ist für die meisten absichtlichen und unabsichtlichen Einführungen fremder Arten verantwortlich. In Zeiten der Globalisierung wurde durch Handel, Transport und Tourismus die Artenausbreitung erheblich beschleunigt, GVO machen hier keine Ausnahme. Im Vergleich zur alten Gentechnik könnten sich die mit neuen GVO verbundenen Risiken sogar erhöhen, da angesichts der Möglichkeit, gleichzeitig mehrere Veränderungen – und damit neue Eigenschaften – in Pflanzen zu erzeugen, die Unwägbarkeiten hinsichtlich ihrer Effekte auf Ökosysteme erheblich zunehmen. Die neue Gentechnik und die daraus entstehenden Organismen und Produkte müssen deshalb mindestens den gleichen Regelungen wie die alte Gentechnik unterworfen bleiben.
- 1Global 2000/IG Saatgut (2022): Blick in die Entwicklungspipeline – Neue Gentechnik-Pflanzen. Online: www.kurzelinks.de/gid265-di [letzter Zugriff: 21.04.23].
- 2Eckerstorfer, M. et al. (2019): An EU perspective on biosafety considerations for plants developed by genome editing and other new genetic modification techniques (nGMs). In: Front Bioeng Biotechnol., Vol. 7(31), www.doi.org/10.3389/fbioe.2019.00031.
- 3Kawall, K. (2021): The generic risks and the potential of SDN-1 applications in crop plants. In: Plants, Vol. 10(11), www.doi.org/10.3390/plants10112259.
- 4Eckerstorfer, M. et al. (2021): Biosafety of genome editing applications in plant breeding: Consideration for a focused case-specific risk assessment in the EU. In: Biotech, Vol. 10, www.doi.org/10.3390/biotech100300102021.
- 5Schütte, G. et al. (2017): Herbicide resistance and biodiversity: agronomic and environmental aspects of genetically modified herbicide‑resistant plants. In: Environ Sci Eur, Vol. 29(5), www.doi.org/10.1186/s12302-016-0100-y.
- 6Velásquez, A.C. et al. (2018): Plant and pathogen warfare under changing climate conditions. In: Curr Biol, Vol. 28(10), S.R619-R634, www.doi.org/10.1016/j.cub.2018.03.054.
- 7McGrann, G. et al. (2014): A trade-off between mlo resistance to powdery mildew and increased susceptibility of barley to a newly important disease, Ramularia leaf spot. In: J Exp Bot, Vol. 65(4), S.1025-37, www.doi.org/10.1093/jxb/ert452.
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- 10Haak, D.C. et al. (2017): Multilevel Regulation of Abiotic Stress Responses in Plants. In: Front Plant Sci, Vol. 8, www.doi.org/10.3389/fpls.2017.01564.
- 11Khan, M.S. (2011): Future challenges in environmental risk assessment of transgenic plants with abiotic stress tolerance. In: Biotech Mol Biol Rev, Vol. 6, S.199-213, www.doi.org/10.5897/BMBR11.018.
- 12ENSSER (2021): Scientific critique of Leopoldina and EASAC statments on genome edited plants in the EU. Online: www.kurzelinks.de/gid265-dj [letzter Zugriff: 21.04.23].
- 13Gilbert, N. (2014): Cross-bred crops get fit faster. In: Nature, Vol. 513, www.doi.org/10.1038/513292a.
- 14Kowarik, I. (2003): Biologische Invasionen: Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Ulmer, Stuttgart 2003.
- 15Kawall, K. (2021): Genome-edited Camelina sativa with a unique fatty acid content and its potential impact on ecosystems. In: Env Sci Eur, Vol. 33(38), www.doi.org/10.1186/s12302-021-00482-2.
- 16Colombo, S.M. et al. (2018): Potential for novel production of omega-3 long-chain fatty acids by genetically engineered oilseed plants to alter terrestrial ecosystem dynamics. In: Agri Syst, Vol. 164, S.31-37, www.doi.org/10.1016/j.agsy.2018.03.004.
Martha Mertens ist seit mehr als zwanzig Jahren aktiv in der Gentechnik-kritischen Bewegung. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Gentechnik des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Gen-ethischen Netzwerks.