Züchtungsforschung im Kampf gegen den Klimawandel
Welche Rolle spielt die Gentechnik?
Während Ansätze der Agrarökologie auf systemische Lösungen setzen, sehen Wissenschaftler*innen der molekularen Züchtungsforschung Gentechnik weiterhin als ein Hilfsmittel, um dem Klimawandel zu trotzen. In diesem schriftlich geführten Interview spricht Andreas Stahl über die zahlreichen Methoden, die der Pflanzenzucht zur Verfügung stehen – mit und ohne Gentechnik.

Foto: © Johannes Kaufmann / JKI
Steigende Temperaturen, extreme Wetterereignisse und längere Dürreperioden treten immer häufiger auf – mit direkten Auswirkungen auf landwirtschaftliche Erträge. Das Dürrejahr 2018 hat zu einem Verlust von 2.8 Milliarden Euro für deutsche Landwirt*innen geführt. Wie kann die Züchtungsforschung dazu beitragen den Effekten des Klimawandels entgegenzuwirken?
Das Julius-Kühn-Instituts (JKI) züchtet ackerbauliche Kulturarten nicht selbst. Wir erforschen die Toleranz- und Resistenzeigenschaften gegenüber biotischem bzw. abiotischem Stress und versuchen genetische Determinanten für eben diese Eigenschaften zu finden. Um die komplexen Wechselwirkungen zwischen einem Genotyp und der Umwelt – sogenannte Genotyp-Umwelt-Interaktionen – besser zu verstehen, kann künstliche Intelligenz (KI) hilfreich sein und dazu beitragen, vorteilhafte genetische Faktoren zu identifizieren. Bei Smart Breeding werden molekulare Marker verwendet, die zu einer effizienteren Züchtung von nicht-transgenen Organismen beitragen. Dabei handelt es sich um im Erbgut der Pflanze vorhandene DNA-Sequenzen, die dazu dienen, die Vererbung von Merkmalen wie z.B. eine Virusresistenz bereits im Jugendstadium anhand von DNA-Analysen nachvollziehen zu können. Sie markieren Abschnitte des Genoms, in denen erwünschte Eigenschaften codiert sind – finden wir den Marker im Erbgut der Pflanze, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Merkmal übertragen. Dadurch wird die Differenzialdiagnostik zwischen verschiedenen Virusresistenzen erst möglich. Wir stellen das erzielte Wissen i.d.R. in Open-Access-Veröffentlichungen zur Verfügung, damit andere es für ihre Züchtung aufgreifen können.
Welche Rolle spielt aktuell die konventionelle Züchtung und die damit einhergehende Forschung dabei, die Landwirtschaft resilienter gegenüber extremen Klimaschwankungen zu gestalten?
Es gibt mehrere Studien der letzten Jahre, die für verschiedene Kulturarten einen anhaltenden Zuchtfortschritt aufzeigen. Für nahezu alle relevanten Resistenz- und Qualitätseigenschaften der Sorten ist hier eine stetige Verbesserung zu sehen. Das gilt trotz Klimawandel auch für den Ertrag. Dieser Fortschritt beruht auf konventioneller Züchtung, inkl. sämtlicher zugelassener Hilfsmittel wie u.a. den schon angesprochenen Smart Breeding-Ansätzen, Vorhersagemodellen oder der digitale Phänotypisierung, also die Begutachtung von Eigenschaften einer Zuchtpflanze auf dem Feld mithilfe von digitalen Hilfsmitteln, wie z.B. Maschinen mit integrierten Kameras.
Da durch europäische und nationale Strategien der Einsatz von chemisch-synthetisierten Pflanzenschutz- und Düngemittel substanziell abnehmen soll, wird zur Aufrechterhaltung der Ertragsleistung dem Eigenschaftsprofil der Sorten eine noch größere Bedeutung zukommen. Insofern erwarte ich, dass die Züchtung zum Fortschritt der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion einen deutlich größeren Beitrag leisten wird, als sie es ohnehin schon tut.
Es wird oft behauptet, dass konventionelle Züchtung ein sehr zeitintensiver Prozess sei. Was halten Sie von dieser Aussage?
Je nach Kulturart vergehen von der Kreuzung bis zur zugelassenen Sorte rund zehn Jahre. Das ist etwas abhängig von der jeweiligen Kulturart. Für Winterformen, die der Vernalisation – der notwendige Kältereiz, der für eine Blühinduktion im folgenden Frühjahr notwendig ist – bedürfen, ist mehr Zeit einzuplanen als für Sommerformen, in denen ggf. dank Doppelhaploiden-Technologie (DH, s.u.) mehrere Generationen pro Kalenderjahr durchlaufen werden können. Es kann aber auch deutlich länger dauern, es gibt Beispiele, wo dies mehr als 20 Jahre gedauert hat.
Eine Verkürzung des Zuchtprogrammes kann durch die DH-Technologie ermöglicht werden. Dazu werden Haploide verwendet, also Zellen, in denen der Chromosomensatz nur einfach vorhanden ist – z.B. aus Pollen. Mit Hilfe des Wirkstoffs Cholchizin wird der Chromosomensatz verdoppelt, um sofort homozygote Linien vorliegen zu haben, an denen direkt selektiert werden kann. Das spart am Anfang eines Zuchtprogrammes mehrere Generationen, die ansonsten benötigt würden, um durch Selbstbestäubung nahezu homozygotes Zuchtmaterial, also Pflanzen, in denen beide Kopien ihrer Gene vom selben Elternteil stammen, zu erhalten.
In den letzten Jahren wurde die schon länger bekannte Strategie, mehrere Generationen pro Jahr in einem Gewächshaus anzuziehen, durch den gezielten Einsatz von LED-Lampen ergänzt. Bei dieser als Speed Breeding bezeichneten Züchtung werden die Pflanzen bis zu 23 Stunden pro Tag unter Licht wachsen gelassen. Das führt dazu, dass sämtliche Entwicklungsstadien schneller durchlaufen werden, die Pflanzen früher abreifen und so noch mehr Generationen pro Kalenderjahr durchlaufen werden können. Dabei wird an den Pflanzen gar nicht unbedingt phänotypisch selektiert, vielmehr geht es darum, einfach schneller zu sein. Es reicht teils ja schon ein Korn pro Ähre, um die nächste Generation aufzubauen und Merkmale, die für die praktische Landwirtschaft wichtig sind, schneller zu kombinieren. Selbstverständlich finden die Prüfungen auf die Leistungseigenschaften der so entstandenen Genotypen wieder im Feld statt.
Wie können wir uns phänotypische Ausprägungen von Toleranzeigenschaften gegenüber abiotischen Faktoren wie zum Beispiel Hitze, Trockenheit oder Versalzung vorstellen?
Trockenstress ist nicht gleich Trockenstress. Je nachdem, wann der Trockenstress eintritt, sind unterschiedliche Entwicklungsstadien der Pflanzen betroffen – z.B. das Schossen, die Blüte oder später die Kornfüllung. Genauso unterschiedlich können Phänotypen sein, die für eine höhere Trockenstresstoleranz verantwortlich sind. Da reicht die Spannbreite von tiefer wurzelnden Genotypen, über den Blattstellungswinkel, die Regulation der Stomata bis zu äußerlich nicht sichtbaren Anpassungen im Stoffwechsel (die sogenannte osmotische Adaptation). Es ist bekannt, dass auch Hitze sehr unterschiedlich wirken kann. Es gibt Stadien, z.B. in der Blüte, da reagieren viele Nutzpflanzen irreversibel empfindlich, da z.B. eine geringe Pollenfertilität die Bestäubung reduziert. In anderen Stadien ist die Hitze kein so großes Problem. Die Anpassung an klimatische Veränderungen ist also sehr vielschichtig und komplex.
Wo liegen die Unterschiede zwischen der Pflanzenzucht, der klassischen Gentechnik und der neuen Gentechnik, wenn es darum geht, klimaresiliente Kulturpflanzen herzustellen?
Die Pflanzenzüchtung bezeichnet den grundsätzlichen Ablauf, wie eine neue Sorte entsteht. Das beginnt mit der Schaffung bzw. Neukombination genetischer Variationen durch Kreuzung oder einer Form der Mutationserzeugung, zu der auch das Genome Editing gehört. Daran schließt sich die Selektion geeigneter Genotypen an. In der dritten Phase findet dann die Sortenprüfung und -zulassung sowie die Vermehrung statt. Dies ist das Grundgerüst der Pflanzenzüchtung. Diese Prozesse dauern mehrere Jahre, bei konventioneller Züchtung 10, z.T. sogar 20 Jahre. Dadurch, dass die Prüfung und Selektion an vielen Orten erfolgt, liegt es im Züchtungs- und Zulassungssystem, dass die Sortenkandidaten letztendlich zum Anbau kommen, die unter den unterschiedlichsten Umweltkonstellationen die beste Leistung erbringen und besser sind als Sorten früherer Zulassungsjahre. Dies wird durch den sogenannten Landeskulturellen Wert sichergestellt, der das Vorhandensein eines Zuchtfortschritts gewährleistet. Alle biotechnologischen Hilfsmittel, egal ob die Gentechnik, wie wir sie schon viele Jahre kennen, oder jüngst aufgekommene Verfahren der gezielten Mutagenese, erweitern letztendlich die Möglichkeiten. So können durch Genome Editing spezifisch einzelne oder mehrere Basenpaare modifiziert oder durch Gentransfer bekannte Gene eingebaut werden. Dadurch können langwierige Rückkreuzungsprogramme eingespart und die Zahl der nicht beabsichtigten Mutationen, sogenannte Off-Target-Effekte, äußerst stark reduziert werden. Das Grundprinzip der Pflanzenzüchtung wird durch die Methoden der gezielten Mutagenese oder die Gentechnik nicht ersetzt.
Die EU-Kommission gibt in dem aktuellen Gesetzesentwurf zu Verfahren der neuen Gentechnik (NGT) an, dass eine NGT-Deregulierung notwendig ist, um die Landwirtschaft gegenüber dem Klimawandel anzupassen. Was halten Sie von dieser Aussage?
Die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel erfolgt auf sämtlichen Ebenen. Das beginnt mit der Wahl der Kulturart, der Fruchtfolgegestaltung, den Bodenbearbeitungsverfahren, gefolgt vom Zeitpunkt und der Dosierung von Saatgut sowie von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln – kurzum dem gesamten pflanzenbaulichen Management. Die Züchtung bildet in diesem Gefüge ein wesentliches Element, und die modernen molekularen Züchtungsverfahren erweitern dieses Element um ein präzises Werkzeug. Die Regulation der Methoden des Genome Editing in der EU ist bisher eine nicht unerhebliche Hürde für die praktische Pflanzenzüchtung. Feldanwendungen gab es hierzulande noch nicht.
Stellen wir uns vor, dem Gesetzesentwurf wird zugestimmt – welche Folgen könnte das für die konventionelle Züchtung haben? Teilen Sie die Sorge Cem Özdemirs, dass mittelständische Zuchtunternehmen von einem Anstieg an Patenten betroffen sein könnten?
Als Wissenschaftler bevorzuge ich es, Aussagen basierend auf empirischen Evidenzen zu treffen. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich an Spekulationen über Gesetzesentwürfe, die das politische Tagesgeschäft betreffen, nicht beteilige.
Was sind ihrer Meinung nach klimabezogene Herausforderungen für die deutsche und europäische Landwirtschaft in den kommenden Jahren? Was sind mögliche Schritte, um diesen entgegenzuwirken?
Die Zunahme von Hitze- und Trockenstress sowie auch deren Kombination sind den Prognosen entsprechend sehr wahrscheinliche Szenarien. Das bedeutet jedoch nicht, dass gegenteilige Ereignisse gar nicht mehr eintreten. Es kann nach wie vor Jahre mit starkem Frost geben. Ohne Schneebedeckung (sogenannte Kahlfröste) kann eine solche Wetterlage für viele Winterkulturen tödlich sein. Für die Züchtung bedeutet dies, dass sie diese Eigenschaften nach wie vor im Sortenprofil erhalten müssen, schließlich wissen Landwirtinnen und Landwirte zur Aussaat nicht, welche Bedingungen in der künftigen Periode auf die angebauten Kulturen einwirken. Die Herausforderung für die Züchtung besteht also darin, all diese verschiedenen Merkmale in einer Sorte zu kombinieren. Mögliche Lösungsstrategien reichen von pflanzenbaulichen, agrartechnischen Maßnahmen (z.B. effiziente Bewässerungssysteme) bis zu biotechnologischen Innovationen. Auf allen Ebenen ist davon auszugehen, dass Daten-getriebene Entscheidungen – auch basierend auf KI – eine größere Rolle in der Entscheidungsfindung einnehmen werden. Einer so großen Herausforderung wird sich jedoch nicht nur durch eine einzelne Maßnahme begegnen lassen – genauso wenig, wie neue Maßnahmen ohne Kenntnisse von Vorneherein per se auszuschließen sind.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Pascal Segura Kliesow.
Andreas Stahl ist Agrarwissenschaftler und Leiter des Instituts für Resistenzforschung und Stresstoleranz im Julius-Kühn-Instituts (JKI).