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Interview mit Mareike Koch und Judith Hennemann
In der Beratungsstelle Cara reifen die Pläne für eine Kampagne gegen den Einsatz des neuen pränatalen Bluttests als medizinische Routine. Wichtiges Anliegen ist es, überhaupt eine offene Debatte über Selektion und Eugenik zu initiieren - und über das Lebensrecht von Menschen mit Down-Syndrom.
Welche Menschen stehen hinter der Kampagne?
Mareike Koch (MK): Unsere Bremer Kerngruppe besteht aus drei Frauen mit verschiedenen Hintergründen. Ich bin schon sehr lange in der Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologien unterwegs. Gaby Frech macht seit über zehn Jahren bei Cara e.V. Beratung zu Pränataldiagnostik. Und Judith Hennemann ist Sozialpädagogin und selbst Mutter eines Kinders mit Down-Syndrom. Wir sind alle drei sehr gut und gleichzeitig sehr unterschiedlich vernetzt. Bundesweit sind wir im Netzwerk gegen Selektion in der Pränataldiagnostik organisiert, das die Kampagne mitträgt.
Welche Reichweite soll die Kampagne haben?
MK: Wir wollen erst einmal in Bremen aktiv sein. Die Idee ist aber, dass wir alle Materialien, Presseerklärungen und Veranstaltungen ins Netz stellen, so dass Leute, die in anderen Städten etwas tun wollen, dies nutzen können. Es wäre wunderbar, wenn wir in vielen Städten Gruppen motivieren könnten, mitzumachen.
Gibt es schon so etwas wie einen Slogan?
Judith Hennemann (JH): Unser Motto ist die menschliche Vielfalt in all ihren Erscheinungsformen. Auf unserem Flyer und einer Postkarte fragen wir: Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, zu der bestimmte Leute keinen Zugang haben sollen und in der letztendlich alle gleich aussehen sollen?
Welche Aktivitäten sind geplant?
MK: Zum einen wollen wir mit Öffentlichkeitsarbeit erreichen, dass es überhaupt eine breitere Diskussion über das Thema gibt. Viele haben ja trotz einiger Medienberichte noch nichts von dem Test gehört. Es macht aber keinen Sinn, die üblichen Pro- und Kontra-Diskussionen zu veranstalten, denn Pränataldiagnostik interessiert die meisten Leute spontan nur, wenn sie gerade schwanger sind und einen auffälligen Befund haben. Wir werden also aktiv Kontakt zu Gruppen mit unterschiedlichen Zugängen zum Thema aufnehmen. Ein Beispiel: Wir bitten Studierende der Hochschule der Künste, Projekte zum Thema zu entwickeln. Zum anderen wollen wir die Fachöffentlichkeit dazu auffordern, sich zu positionieren. Diejenigen, die jeden Tag mit Pränataldiagnostik zu tun haben - also FrauenärztInnen, HumangenetikerInnen und auch Hebammen, handeln zwar alltäglich; das heißt aber nicht, dass sie schon eine feststehende Meinung haben. Sie wurschteln sich oft eher durch - entlang der Gegebenheiten, die sie gerade vorfinden. Die Diskussion um den Test gibt allen die Gelegenheit, einmal grundsätzlich ihre Haltung zu überdenken. Darüber hinaus wollen wir die verschiedenen Fachöffentlichkeiten, die derzeit kritisch zu Selektion und Pränataldiagnostik diskutieren, zusammenbringen: nicht nur Fachleute aus der Medizin, sondern auch kritische WissenschaftlerInnen - etwa aus dem großen Bremer Fachbereich der Behindertenpädagogik - Feministinnen und Leute aus der Behindertenselbsthilfe.
Startschuss der Kampagne ist der 21. März, der Welt-Down-Syndrom-Tag.1 Wie reagieren Selbsthilfegruppen und Behindertenverbänden bisher auf den Test?
MK: Das Down-Syndrom-Info-Center, eine bundesweite Organisation von Eltern, hat eine Postkartenaktion zum Test mit dem Titel „unzumutbar?“ entwickelt.2 Das heißt aber nicht, dass alle Familien mit einem Down-Syndrom-Kind sich einig sind. Sie haben das Kind ja meist überraschend bekommen und sich nicht immer schon mit Fragen der Eugenik und Selektion auseinandergesetzt. Wichtig ist für uns, dass die Einführung des Tests damit zusammenfällt, dass Deutschland sich dazu verpflichtet hat, aktiv die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Wir haben in diesem Zusammenhang den Landesbehindertenbeauftragten von Bremen, Jo-achim Steinbrück, gewonnen, unsere Kampagne als Schirmherr mitzutragen und nach außen zu vertreten. JH: Die UN-Konvention beschäftigt sich zwar nicht direkt mit Pränataldiagnostik, weil sie sich nur auf das geborene Leben bezieht. Unseres Erachtens passt es aber nicht zusammen, dass sich Deutschland einerseits mit der Ratifizierung verpflichtet hat, die UN-Konvention aktiv umzusetzen - und andererseits das Bundesforschungsministerium die Entwicklung des Tests der Firma Lifecodexx mit über 230.000 Euro unterstützt. Die Behauptung, durch solche Testverfahren könne angeblich Leid verhindert werden - sprich das subjektive Leid der betroffenen Familien und der Menschen mit Trisomie 21 selbst - ist eine Anmaßung. Und die Werbung für dieses neue Selektionsverfahren, das eine bestimmte Gruppe von Menschen aussortieren soll, stellt eindeutig eine Diskriminierung und Abwertung dar. Betroffene Familien, Kinder, Männer und Frauen empfinden ihr Lebensrecht in Frage gestellt.
Wie wird sich die Kampagnengruppe zu möglichen BündnispartnerInnen verhalten, die sich prinzipiell gegen Abtreibung aussprechen?
MK: Es ist uns sehr wichtig, diese Kampagne ganz klar von den Lebensschützern abzugrenzen. Das ist nicht unsere Diskussionslinie und wir werden auch keinerlei strategische Bündnisse oder Kompromisse eingehen. Wir müssen verhindern, dass - auch angesichts der aktuellen Stimmungslage - das Abtreibungsrecht in Frage gestellt wird und die Kampagne nach hinten losgehen könnte.
Welche Forderungen hat die Kampagne an die Politik?
MK: Es macht unseres Erachtens heute keinen Sinn, auf die Straße zu gehen und ein Verbot des Tests zu fordern - auch wenn das selbstverständlich schon ein ganz guter Anfang wäre. Aber allein ein Testverbot als Ziel würde in der jetzigen Situation zynisch erscheinen: Wir würden damit implizit sagen, wir fänden es besser, dass Frauen erst in der 16. Schwangerschaftswoche eine Diagnose bekommen und den Abbruch erst dann machen können. Wir wollen wirklich erst einmal überhaupt von allen Beteiligten wissen, wie sie mit der neuen Situation umzugehen gedenken. JH: Ein wichtiger Punkt ist, dass wir das Recht auf Nichtwissen einfordern. Mit den pränataldiagnostischen Möglichkeiten nimmt der Druck auf werdende Eltern immer weiter zu. Wir befürchten, dass die Frage „Habt ihr es denn nicht gewusst?“ in Zukunft noch häufiger gestellt wird - gefolgt von dem Vorwurf „Das wäre heute doch nicht mehr nötig gewesen!“ Auch wenn sicherlich wieder mit der Entscheidungsfreiheit der Frau für den Test geworben werden wird, stellt sich doch die Frage: Wohin mit der Selbstbestimmung, wenn der gesellschaftliche Druck, ein gesundes, nicht behindertes Kind zu bekommen, weiter wächst? Außerdem: Einem positiven Befund folgt in der Regel ein Abbruch der Schwangerschaft. Es wäre vermessen zu behaupten, damit wäre die Sache erledigt. Jede Fehlgeburt, jeder Abbruch ist ein traumatisches Erlebnis, das mit Ängsten, Schuldgefühlen, Depressionen und Trauer einhergeht.Die psychosozialen Auswirkungen müssen ebenso thematisiert werden, wie die drohende „gläserne Schwangerschaft“.
Wie werden Schwangere in dieser Kampagne dargestellt - vor allem als Opfer dieser technologischen Entwicklungen?
MK: Früher haben wir gedacht, Aufklärung allein würde reichen, damit Frauen sich gegen die Pränataldiagnostik entscheiden. Damit waren für uns die Ärzteschaft und die Testindustrie die „Bösen“. Aber so einfach sehen wir das heute nicht mehr. Dennoch fragen wir: Gibt es eine bewusste gesellschaftliche Übereinkunft, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht mehr auf die Welt kommen dürfen? Interessant ist: Wenn ich Leuten von dem Test erzähle, die nichts damit zu tun haben, dann ist die Empörung meist sehr groß - anders als bei Leuten aus der Fachwelt. Es ist nicht mein Eindruck, dass es eine gesellschaftliche Grundhaltung gibt, die besagt: Wir wollen keine Menschen mit Down-Syndrom. Die meisten sagen: Selbstverständlich sollen Kinder mit Down-Syndrom zur Welt kommen! Etwas anderes ist, ob sie sich vorstellen können, selbst ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Und das ist etwas, was nicht zusammenpasst und worüber wir reden sollten. JH: Mir ist wichtig, die Argumentation aus der Sicht der Betroffenen zu führen. Sie werden oftmals überhaupt nicht als Teil unserer Gesellschaft anerkannt - und bleiben deswegen ungehört. Menschen mit Behinderung werden aber immer zu unserer Gesellschaft gehören. Menschsein beinhaltet diese Vielfalt, die es zu schützen gilt. Die Möglichkeit, einen kleinen Teil auszusortieren, einfach, weil es gerade möglich ist, verkennt diese Tatsache. Es ist ein kolossaler Irrtum zu meinen, mit der Pränataldiagnostik könne die Behinderung eines Ungeborenen medizinisch verhindert werden. Das Leben ist bunt und jedes Menschenleben ist einzigartig. Menschen mit Trisomie 21 gehören dazu. Sie führen ein lebenswertes Leben, wenn wir - die Gesellschaft, Eltern, Freunde, Ärzte, Arbeitskollegen oder Hebammen - es ihnen ermöglichen.
Viel Glück für den Start der Kampagne, wir werden im GID weiter darüber berichten!
Das Interview führte Susanne Schultz.
- 1Vgl. Pressemitteilung des Netzwerk gegen Selektion in der Pränataldiagnostik, 21.3.2012, www.netzwerk-praenataldiagnostik.de.
- 2www.ds-infocenter.de/html/aktionen.html.