Kein weißer Rauch in Sicht

Stand der EU-Verhandlungen zur neuen Gentechnik

Wie sollen die neuen Gentechniken reguliert werden? Dazu herrscht Uneinigkeit zwischen den EU-Institutionen und in der deutschen Bundesregierung. Strittige Punkte sind die Kennzeichnung und Patentierbarkeit. Ein Kompromiss scheint in weiter Ferne.

3 EU-Fahnen wehen vor dem europäischen Parlament

Wohin weht der Wind im aktuellen Trilog-Verfahren? Foto: Freepik.com

Wird auf Lebensmittelverpackungen künftig noch stehen, dass sie Zutaten aus gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen enthalten? Jein. Für Pflanzen, die mittels älterer Gentechnikmethoden entwickelt wurden, bleibt die Kennzeichnung verpflichtend. Doch bei Pflanzen, die mittels neuer Gentechnik (NGT) wie CRISPR-Cas verändert wurden, gilt diese Verpflichtung möglicherweise bald nicht mehr. Das ist einer der Punkte, die aktuell in Brüssel diskutiert werden. Neben der Kennzeichnung stehen auch Fragen der Patentierung, der Risikoprüfung und der Koexistenz von gentechnikfreier und mit Gentechnik arbeitender Landwirtschaft zur Debatte. Es geht darum, wie die EU-Staaten mit den Verfahren der neuen Gentechnik grundsätzlich und auf Jahrzehnte hinaus umgehen wollen. Eine große Herausforderung dabei ist, heute Regeln für Verfahren zu entwickeln, deren Potenzial sich schnell verändert und im Zusammenspiel mit anderen Technologien wie künstlicher Intelligenz sehr schwer voraussehbar ist.
Zur Vorgeschichte: Im Jahr 2018 bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass Organismen aus neuer Gentechnik unter den bestehenden EU-Gesetzesrahmen fallen.1 Im Juli 2023 legte die EU-Kommission daraufhin einen Verordnungsvorschlag zu aus „neuen genomischen Techniken“ gewonnenen Pflanzen vor, der einer weitgehenden Deregulierung des bestehenden Rechtes gleichkäme. Dieser Vorschlag gab den Startschuss für einen politischen Aushandlungsprozess, der bis zum heutigen Tag andauert.2 Das Europäische Parlament positionierte sich im Februar 2024 dazu, der Minister*innenrat im März 2025. In wichtigen Punkten weichen die Positionen der EU-Institutionen stark voneinander ab. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Kompromissfindung, die durch einen sogenannten Trilog erreicht werden soll. Dabei handelt es sich um eine informelle — wenngleich übliche — interinstitutionelle Verhandlung, an der Vertreter*innen des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission teilnehmen, um einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Dieser muss schließlich von Rat und Parlament formell angenommen werden, damit die neue Verordnung in Kraft treten kann.

Keine Risikoprüfung für die meisten NGT-Pflanzen?

Im wesentlichen Punkt sind sich alle drei Parteien einig3: NGT-Pflanzen mit Veränderungen an bis zu 20 Stellen auf der DNA und ohne den Einbau von genetischem Material gleichzusetzen mit Pflanzen aus konventionellen Züchtungsverfahren wie Mutagenese oder Kreuzung („NGT1“). Für diese Pflanzen würden damit unter anderem die Risikoprüfung, eine verpflichtende Kennzeichnung bis zum Endprodukt sowie Informationspflicht, Monitoring und Haftung wegfallen. Dies soll gleichermaßen für Nutz- und Wildpflanzen gelten. Laut einer Analyse des Bundesamtes für Naturschutz fallen 94 Prozent aller in Entwicklung befindlichen NGT-Pflanzen in die Kategorie „NGT1“.4 Hingegen sollen Pflanzen, die Fremdgene von artfremden Organismen beinhalten oder bei denen andere komplexe Veränderungen des Genoms vollzogen wurden – ob durch ältere Methoden oder die neuen Gentechniken – als „NGT2“ kategorisiert und gemäß der momentan geltenden Freisetzungsrichtline für gv-Organismen reguliert bleiben.

Mehrere nationale Behörden kritisierten, dass die Grenze von 20 Zielsequenzen willkürlich gezogen worden sei und keinen Rückschluss auf ein mögliches Risiko zulasse.5, 6 Zudem zeigt ein aktuelles theoretisches Experiment von den Gentechnik-kritischen Organisationen Testbiotech, Save our Seeds und Aurelia, dass im Zusammenspiel von KI und CRISPR-Cas Pflanzen erzeugt werden können, die durch ihre neuen Eigenschaften durchaus ein Risiko für die Umwelt bergen7, 8: In dem Experiment wurde über öffentlich zugängliche KI-Tools der Bauplan für einen insektengiftigen Mais erstellt, der in die NGT1-Kategorie fallen würde. Insektengiftigkeit müsste aber unbedingt unabhängig auf ihre Wirkung für andere Organismen geprüft werden, um Biodiversitätsverluste zu vermeiden. Insofern ist die vorgeschlagene Deregulierung von NGT1-Pflanzen einer der Punkte, in denen Kommission, Rat und Parlament sich einig sind, der aber für Naturschutz-, Bioanbau- und Verbraucher*innen-Verbände nicht akzeptabel ist.

Streit um Kennzeichnung und Patente

In der Handhabung von NGT1-Pflanzen unterscheiden sich die Positionen der EU-Institutionen, insbesondere bei den Punkten Kennzeichnungspflicht, Koexistenz mit der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie Patentierung. Zwar ist man sich einig, dass NGT1-Saatgut gekennzeichnet werden müsse, um Landwirt*innen zu informieren, aber bei allen weiteren Schritten der Produktionskette fordert nur das Parlament eine Kennzeichnungspflicht bis zum Endprodukt. Somit ist das Parlament auch die einzige der drei Institutionen, die explizit Wert auf die Vereinbarkeit mit dem Ökolandbau und der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie auf das Recht der Verbraucher*innen auf die Wahlfreiheit legt. Das Parlament fordert auch im Bereich Patente am meisten. Es will ein Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen durchsetzen. Der Rat fordert Transparenz durch ein Patentregister und möchte, dass eine Expert*innengruppe die Auswirkungen von Patenten auf die Verfügbarkeit von Saatgut und auf die Wettbewerbsfähigkeit prüft.
Momentan sieht es nicht nach einer schnellen Einigung aus, da die Positionen weit auseinanderliegen und Kompromissbereitschaft nur bedingt vorhanden ist.9 Im Parlament ist die Mehrheit nicht gesichert, wenn das Trilogergebnis zu weit von der Parlamentsposition abweicht und beispielsweise keine Lösung zu Patenten gefunden wird. Daher hat die konservative Berichterstatterin des Parlaments Jessica Polfjärd die Trilogverhandlungen kurz vor Redaktionsschluss unterbrochen. Sie möchte eruieren, welche Kompromisse das Parlament akzeptieren könnte. 

In Deutschland ist man sich uneinig

Auch die Position der deutschen Bundesregierung kann noch entscheidend sein, denn die finale Abstimmung im EU-Rat erfolgt durch die Minister*innen der Länder. Für Deutschland ist das Alois Rainer von der CSU. Tatsächlich ist sich die große Koalition noch uneinig in Fragen der Regulierung der neuen Gentechniken. In einer Bundestagsdebatte am 21. Mai zum Thema Kennzeichnungspflicht machte sich Isabel Mackensen-Geis (SPD) für eine Kennzeichnungspflicht bis zum Teller stark, Christoph Frauenpreiß (CDU) hingegen sprach von „unnötigen Warnhinweisen“ und Alexander Engelhard (CSU) möchte zwar den Verbraucher*innen die Wahl lassen, aber eine verpflichtende Kennzeichnung wäre dann doch zu viel Bürokratie.10 Die Grünen, die den Antrag zur Debatte gestellt hatten, befürworten die Kennzeichnungspflicht ebenso wie die Linkspartei; die AfD lehnt sie ab.

Laut dem Informationsdienst Gentechnik schrieb eine Sprecherin des Bundesumweltministers Carsten Schneider (SPD), dass dieser sich für eine Kennzeichnungspflicht einsetzen werde.11 Von Landwirtschaftsminister Alois Rainer liegt bis Redaktionsschluss keine konkrete Aussage vor. In seiner Regierungserklärung sagte er jedoch, dass die CSU „für mündige Bürgerinnen und Bürger [steht], die selbst entscheiden, was in den Einkaufskorb oder auf den Teller kommt. Sie sollen sich gut informiert für einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil entscheiden können“12.

In den letzten Abstimmungen des EU-Rates zum Deregulierungsvorschlag enthielt sich Deutschland. Um ein Gesetz zu verabschieden, braucht es im Rat eine qualifizierte Mehrheit.13 Würde Deutschland als bevölkerungsreiches Land bei der finalen Abstimmung gegen den Text votieren, wäre dies ein starkes Signal an die anderen Staaten und könnte möglicherweise auch eine Verabschiedung verhindern. Andere Mitgliedsstaaten, allen voran die dänische Ratspräsidentschaft, werden hingegen alles daransetzen, um die NGT-Deregulierung durchzusetzen. 

  • 1

    Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C 528/16 (25.07.2018) Online: www.kurzlinks.de/gid274-db. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 2

    Der vorliegende Artikel gibt den Kenntnisstand zur Zeit des Redaktionsschlusses im Juli 2025 wieder.

  • 3

    Siehe Tabelle der Vorschläge in General Secretariat of the Council (10.04.25): Regulation on New Genomic Techniques (NGT) – Initial positions of the institutions. Online: www.kurzlinks.de/gid274-dc. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 4

    Bohle, F. et al. (2024): Where does the EU-path on new genomic techniques lead us? In: Front. Genome Ed. Vol. 6. www.doi.org/10.3389/fgeed.2024.1377117.

  • 5

    ANSES (06.03.2024): New genomic techniques (NGTs): ANSES calls for appropriate regulations. Online: www.anses.fr/en/content/ntg-en. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 6

    BfN (2024): For a science-based regulation of plants from new genetic techniques. Online: www.kurzlinks.de/gid274-dd. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 7

    Testbiotech (27.05.25): Mit ChatGPT zu insektengiftigen NGT-Pflanzen. Online: www.testbiotech.org/aktuelles/mit-chatgpt-zu-inse…. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 8

    Ein weiteres Bespiel für eine risikobehaftete NGT1-Pflanze ist im Artikel „Filigranes Zusammenspiel“ auf Seite 24 in diesem Heft zu finden.

  • 9

    Siehe dazu auch den Artikel „Aus dem Schatten der EU-Verhandlungen“ auf der GeN-Webseite. Online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4843. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 10

    Deutscher Bundestag (21.05.25): 1. Lesung: EU-Verordnung über gentechnisch veränderte Pflanzen. Online: www.kurzlinks.de/gid274-de. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 11

    Informationsdienst Gentechnik (29.05.25): Bundesumweltminister für Gentechnik-Kennzeichnung. Online: www.kurzlinks.de/gid274-df. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 12

    Rede von Alois Rainer (15.05.25): Die Vielfalt unserer Landwirtschaft stärken: Bürokratie abbauen, Planungssicherheit herstellen, Vertrauen schaffen. Online: www.kurzlinks.de/gid274-dh. [Letzter Zugriff: 14.07.2025]

  • 13

    Die zustimmenden Länder müssen mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten oder 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Erschienen in
GID-Ausgabe
274
vom August 2025
Seite 22 - 23

Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.

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