De facto klammheimlich

Von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, werden seit Jahren gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Eine Diskussion darüber hat es öffentlich nicht gegeben. Wie auch? Die Kammer hat weder Nachbarn noch das zuständige Ministerium noch sonst irgendwen informiert.

Bereits am 27. Juli 2006 fand im münsterländischen Saerbeck eine Versammlung des Westfälischen Landwirtschaftsverbands (WLV) statt. Ein ungewöhnlicher Termin für eine Bauernversammlung, da Mitte Juli die Getreideernte beginnt und die Zeit bis mindestens Ende August als tabu für alle landwirtschaftlichen Veranstaltungen gilt. Wer Bauern erreichen will, macht um diese Zeit eigentlich einen weiten Bogen. Die Bauern, die an diesem Nachmittag dennoch gekommen waren, wurden Zeugen eines beiläufigen Geständnisses, das tief in den Umgang deutscher Agrarverwaltung mit dem Thema Gentechnik blicken lässt. Anlass der Versammlung war der diesjährige Genmais-Anbau in der Region. Bis zu diesem Tag hatte der Bauernverband bei der Kommunikation mit seinen Mitgliedern grobe Fehler gemacht. Er sah sich aus den eigenen Reihen wachsender Kritik an seiner Informationspolitik ausgesetzt. Es darf vermutet werden, dass die Versammlung dazu dienen sollte, das Heft wieder in die Hand zu bekommen. Eher beiläufig und sich der Tragweite seiner Ausführungen augenscheinlich nicht bewusst, erklärte Dr. Josef Steinberger vom Bundessortenamt an diesem Nachmittag, dass im Auftrag seines Amtes unter anderem durch die Landwirtschaftskammer bereits seit fast zehn Jahren an zahlreichen Standorten in Nordrhein-Westfalen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) angebaut worden seien.

Über 40 Flächen betroffen

Aus den Antworten der Landesregierung auf verschiedene Anfragen (1) ergibt sich mittlerweile folgendes Bild: Zwischen 1997 und 2004 wurde in Nordrhein-Westfalen in 40 Fällen gentechnisch veränderter (gv) Mais und in zwei Fällen gv-Raps angebaut. In 31 Fällen handelte es sich um Wertprüfungen im Rahmen der Sortenzulassung von Mais mit den Genkonstrukten Bt176, MON810 und T25, in neun Fällen um "Anbau zu wissenschaftlichen Zwecken" mit diesen GVO.(2) Auf zwei Flächen im Kreis Paderborn und in Biemsen wurden Wertprüfungen mit Sorten durchgeführt, die das transgene Raps-Konstrukt MS1Bn x RF1Bn für eine Herbizidresistenz enthielten. Um welche Flurstücke es sich handelte, hat das Bundessortenamt bis heute nicht mitgeteilt, ebenso wie bei 18 Maisflächen. Auftraggeber der Wertprüfungen war das Bundessortenamt, Auftragnehmer in vielen Fällen die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (damals noch Rheinland und Westfalen-Lippe) oder aber private Unternehmen. Ein gängiges Vorgehen im Zulassungsverfahren neuer Sorten. In diesem Verfahren wurde offenbar kein grundsätzlicher Unterschied zwischen konventionellen und GVO-Sorten gemacht.

Ein Fall von bundesweiter Bedeutung?

Wenn man davon ausgeht, dass die Gentechnik ihren Weg in die deutsche Landwirtschaft sehr viel eher über die schleichende Verunreinigung von Futtermitteln und Saatgut als über eine bewusste Entscheidung von Verbrauchern und Politik nehmen wird, so sind die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen alarmierend. Es geht hier um die Rolle von Institutionen wie der Landwirtschaftskammer und dem Bauernverband, die den Flaschenhals des Informationsflusses in die Landwirtschaft bilden und damit in der Lage sind, über Informationen Politik zu machen.

Exklusive, unvermeidlich einseitige Information

Die deutsche Landwirtschaft ist bestens organisiert. Der Deutsche Bauernverband mit seinen zahlreichen Unterorganisationen informiert die Landwirte über die Landwirtschaftlichen Wochenblätter intensiv und nahezu exklusiv. Für viele Bauern bildet das Wochenblatt, ergänzt durch die Versammlungen des Bauernverbandes, die Hauptinformations- und Meinungsquelle. Unvermeidlich, dass es dabei zu Einseitigkeiten in der Information kommt. Dass Landwirte ­ immerhin potentielle Anwender dieser Technologie - oft deutlich schlechter über die Grüne Gentechnik informiert sind als Verbraucher, ist hinlänglich bekannt und spiegelt sich in den entsprechenden Märkten deutlich wider. Während nach wie vor kaum gentechnisch veränderte Lebensmittel im Handel sind und bei Lebensmitteln zunehmend mit Gentechnikfreiheit geworben wird, sieht es insbesondere auf dem Futtermittelmarkt gerade umgekehrt aus. Hier ist die Kennzeichnung "kann Gentechnik enthalten" mittlerweile weit verbreitet, auch wenn sie EU-rechtlich nicht zulässig ist.(3) Die Futtermittelindustrie vermittelt auf diese Weise - gewollt oder nicht - den Eindruck, dass es kein GVO-freies Futter mehr gebe und der Bauernverband, für beste Kontakte zu den Futtermittelerzeugern bekannt, sieht keinen Anlass, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Viele Bauern haben das mittlerweile akzeptiert und nehmen die Gentechnik an dieser Stelle der landwirtschaftlichen Praxis als unvermeidlich hin.

Landwirtschaftskammer baut für Monsanto GVO an

Vor dieser Szenerie ist das Verhalten der Landwirtschaftskammer zu sehen und zu bewerten. Die Landwirtschaftskammer übt eine intensive Beratungsfunktion für die Landwirte aus und hat damit ebenfalls eine Schlüsselfunktion bei der Übermittlung und Interpretation von Politiken und Informationen für die Bauern inne. Die Kammer nimmt einerseits hoheitliche Aufgaben wahr und bildet den größten Posten im Haushalt des Landwirtschafts- und Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen. Zugleich ist die Kammer ein Organ der "Selbstverwaltung", an die jeder Bauer Zwangsbeiträge zu entrichten hat, die so genannte Kammerumlage. Mitglieder des Bauernverbands besetzen zahlreiche einflussreiche Posten in der Kammer. Zum Dritten finanziert sich die Kammer über Dienstleistungen, etwas für die Firma Monsanto, in deren Auftrag sie mit eigenem Personal und eigenen Maschinen Versuche mit Genmais durchführt. Was Monsanto dafür zahlt, ist nicht bekannt.

Rein rechtlich gesehen nicht zu beanstanden

Nach bisherigem Kenntnisstand hat sich die Kammer in dem aktuellen Fall rechtlich gesehen nichts zu Schulden kommen lassen. Die verwendeten gentechnischen Konstrukte waren und sind nach dem Gentechnikrecht der Europäischen Union zugelassen. Ein Anbauregister gab es nicht, folglich gab es auch keine Veröffentlichungs- oder Informationspflicht. Weder die benachbarten Bauern noch das Landwirtschaftsministerium als Kontrollbehörde hätten informiert werden müssen. Auch die Dienstleistungen für Monsanto sind offenbar durch das Kammergesetz gedeckt. Ein Problem kann die Kammer denn auch partout nicht erkennen. "Ein Standortregister existiert erst seit 2005. Es gab also keine Veranlassung, den Anbau zu veröffentlichen", so Frau Dr. Ruland, Leiterin der Abteilung Pflanzenproduktion bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.(4) Auf Anfragen des BUND erklärt die Kammer sich als nicht zuständig für die Versuche und verweist an das Bundessortenamt.(5) Man baue an, so war zu hören, was das Bundessortenamt schicke. Worum es sich dabei jeweils handele, sei nicht Sache der Kammer. Dennoch hätte es gute Gründe gegeben, zumindest die benachbarten Landwirte als potentiell Betroffene und das Ministerium als Aufsichtsbehörde zu informieren. Dass dies nicht geschah, ist Politik. Und hier liegt das eigentliche Problem.

Kammer kanalisiert Gentechnikdebatte

Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen steht beispielhaft für ein strukturelles Problem in der deutschen Agrarverwaltung. Seit langem wird die Intransparenz der nordrhein-westfälischen Landwirtschaftskammer beklagt. Durch ihre Verflechtung von staatlichen, berufsständischen und privaten Aufgaben ist sie zu einem schier undurchdringlichen Dickicht geworden, das von Agrarfunktionären geprägt ist und sich der politischen Kontrolle allzu leicht entzieht. Durch ihre zentrale Stellung zwischen Politik und Landwirtschaft kanalisiert sie zu großen Teilen, wie die Gentechnikdebatte an der landwirtschaftlichen Basis ankommt. Das Verhalten der Kammer im aktuellen Fall ist dazu angetan, die schleichende Einführung der Gentechnik in der Landwirtschaft voranzutreiben. Nicht nur, dass durch die Geheimhaltung der Versuche möglicherweise aufgetretene Auskreuzungen nicht haben entdeckt und damit eingegrenzt werden können. Hier wird der Anbau von GVO zum Normalfall erklärt, denn nur über den Normalfall muss niemand gesondert informiert werden. Es ist davon auszugehen, dass die Beratungsangebote der Kammer für die Landwirte keine wesentlich anderen Botschaften enthalten. Der aktuelle Beschluss des Kammer-Hauptausschusses in Reaktion auf die Diskussion lässt denn auch keine Kurskorrektur erkennen: "Der Hauptausschuss beschließt, weiterhin Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchzuführen, um auf neutraler und objektiver Basis Beratungsunterlagen zu erhalten. Die mit dem Anbau verbundenen Nachteile wie erhöhter Prüfaufwand, kritischere Öffentlichkeitsarbeit und das Zerstörungsrisiko müssen in Kauf genommen werden. Auch das MUNLV [Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen] erachtet Erfahrungen aus Versuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen für sinnvoll." (Aus dem Beschluss des Hauptausschusses der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen vom 8.11.2006.)

Intransparenz und Ineffizienz

Auch in einem anderen Sinne scheint der Anbau in Nordrhein-Westfalen beispielhaft zu sein, wird doch gerade im Moment auch in Baden-Württemberg ermittelt, in welchem Umfang dort Geheimanbau praktiziert wurde (siehe Kasten). Ein noch von der rot-grünen Vorgängerregierung in Düsseldorf in Auftrag gegebenes Gutachten bescheinigt der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen ein hohes Maß an Intransparenz und Ineffizienz. Eine grundlegende Reform der Kammerstrukturen ist unter dem derzeitigen Landwirtschaftsminister Eckhard Uhlenberg (CDU) jedoch weder zu erkennen noch realistisch zu erwarten. Umso notwendiger ist erstens eine Gesetzgebung, die Institutionen wie die Landwirtschaftskammern zu mehr Transparenz in Sachen Gentechnik zwingt. Das unterstreicht die Notwendigkeit des öffentlichen Standortregisters, wie es - noch - im Gentechnikgesetz steht. Gleichzeitig ist eine vielfältige Informations- und Beratungsarbeit, wie sie unter anderem von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Bio-Anbauverbänden und den Umweltverbänden geleistet wird, von großer Bedeutung. Welchen Unterschied unabhängige Information machen kann, zeigt sich derweil im Münsterland. Hier hat sich innerhalb der Landwirtschaft aus Verärgerung über den eigenen Verband und die eigene Kammer eine Bewegung entwickelt, die sich selbst mit Informationen versorgt und derzeit die vitalste gentechnikfreie Initiative in Nordrhein-Westfalen darstellt.

Fußnoten:

  1. Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 14/2683: Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 913 des Abgeordneten Johannes Remmer. Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 14/2679: Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 900 der Abgeordneten Svenja Schultze.
  2. Gentechnikrechtlich werden Zulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU bezüglich der so genannten events, das heißt der neu eingefügten Genkonstrukte in Verbindung mit einer bestimmten Pflanzenart (zum Beispiel Mais), ausgesprochen. Entsprechend werden Freisetzungen der gv-Pflanzen reguliert. Bei den in Nordrhein-Westfalen freigesetzten Pflanzen handelte es sich um Mais mit den Genkonstrukten Bt176 und MON810 (beide insektenresistent) und T25 (herbizidresistent). Sie wurden im Rahmen von Wertprüfungen freigesetzt, die ihrerseits zur sortenrechtlichen Zulassung notwendig sind. In der Wertprüfung wird zum Beispiel eine bestimmte Maissorte, die in Deutschland oder der EU in den Handel gebracht werden soll, auf ihre Eigenschaften, vor allem den so genannten "landeskulturellen Wert" getestet. Diese Prüfung umfasst unter anderem den Ertrag, die Homogenität oder auch bestimmte Schädlingsresistenzen. Erst wenn die sorten- und die gentechnikrechtliche Zulassung für eine gentechnisch veränderte - zum Beispiel - Maissorte mit dem Genkonstrukt XY vorliegt, kann diese in die deutsche oder die europäische Sortenliste eingetragen werden, und erst nach diesem Eintrag ist ihr Vertrieb legal.
  3. Korrekterweise müsste "genetisch verändert" oder "aus genetisch verändertem [Bezeichnung der Zutat/des Organismus] hergestellt" als Kennzeichnung Verwendung finden oder in dem Falle, dass keine Verunreinigung mit GVO vorliegt, eine Kennzeichnung unterbleiben.
  4. Interview mit dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe 46/2006.
  5. Recherche des BUND Nordrhein-Westfalen zum Gentech-Anbau in Nordrhein-Westfalen 1996-2004. Im Netz unter: www.bund-nrw.de/documents/UIG_AnfrageGTUebersicht….
Erschienen in
GID-Ausgabe
179
vom Dezember 2006
Seite 24 - 27

Tobias Leiber, Diplomagraringenieur, arbeitet für die Informationststelle gentechnikfreie Landwirtschaft der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Nordrhein-Westfalen (www.gentechnikfrei-nrw.de).

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Bundessortenamt-System

Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen im Rahmen der Wertprüfung von neuen Sorten wurden in verschiedenen Bundesländern vom Bundessortenamt (BSA) initiiert und vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Das allein ist schon nicht schön. Dass das Bundessortenamt aber Freisetzungen hat durchführen lassen, ohne unmittelbar Betroffene, insbesondere Nachbarn, aber auch die zuständigen Landesministerien respektive -behörden darüber zu informieren ist ein dicker Hammer. Interessant, dass der Anbau nicht nur von Privatunternehmen, sondern auch von Landwirtschaftskammern durchgeführt wurde. Presseberichte, die zum Teil noch auf ihre Bestätigung durch die offiziellen Stellen warten, ergänzen das in dem nebenstehenden Artikel von Tobias Leiber skizzierte Bild zur Sachlage in Nordrhein-Westfalen. Dieses erscheint mittlerweile schon - so bleibt zu hoffen - einigermaßen komplett. Auch wenn es nach wie vor noch geheimgehaltene Orte gibt, scheint der Umfang doch mittlerweile bekannt. Dem ist in den anderen Bundesländern nicht so. Dabei setzt sich fort, was durchaus als ,System Bundessortenamt' bezeichnet werden kann: Das BSA sagt kein Wort mehr, als es unbedingt muss. Es macht sich damit zum Vollstrecker der Interessen der Gentechnik-Firmen, die ihrerseits den geheimen Weg gewählt haben, anstatt offen mit ihrem Interesse an der Einführung der neuen Technologie umzugehen. Stand der Dinge ist derweil, dass es Freisetzungen in mindestens vier Bundesländern gibt. Neben Nordrhein-Westfalen sind dies Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein. Die Frankfurter Rundschau berichtet von einer Liste mit 15 Orten, an denen gentechnisch veränderter (gv) Raps versuchsweise freigesetzt worden ist und schreibt weiter: "Nach Angaben des Sortenamtes wurden auch an anderen Orten weitere Gen-Raps-Konstrukte im Rahmen der Sortenzulassung angesät." Öffentlich ist bisher nur das Genkonstrukt mit der Bezeichnung "MS1xRF1", das wohl als das gleiche zu werten ist, das in Nordrhein-Westfalen zum Einsatz kam (MS1Bn x RF1Bn). Doch besteht auch Anlass zu der Vermutung, dass es neben den hier genannten Bundesländern auch noch Freisetzungen in Baden-Württemberg gab. Dort soll es sich um gv-Mais gehandelt haben. Die Grünen im Kreis Ortenau (westliches Baden-Württemberg mit den Städten Offenburg und Kehl) haben sich mit einer Reihe von Fragen an ihren Landrat, Klaus Brodbeck, gewandt. Es ist von insgesamt elf betroffenen Gemeinden die Rede. Details sind bisher aber noch nicht bekannt. (pau) Quellen: Mittelbadische Presse, 27.11.06 Frankfurter Rundschau, 4.12.06 taz NRW, 2.12.06 www.bund-nrw.de