Die teure Unmöglichkeit der Koexistenz

Für die dauerhafte Absicherung der Landwirtschaft ohne Gentechnik fehlen wesentliche Voraussetzungen. Abstandsregeln allein reichen nicht aus.

Öko-Lebensmittel werden ohne Gentechnik hergestellt. Dass gründet sich in gesetzlichen Vorgaben (1), der Erwartung der Konsumenten und dem Selbstverständnis der Unternehmer und Bauern. Das Anliegen ohne Gentechnik zu produzieren teilen die Öko-Hersteller mit dem größten Teil ihrer konventionellen Kollegen. Für sie alle wird es bei einer Ausweitung der Gentechnik eine immer größere Herausforderung, ihre Produkte gegen Kontaminationen abzusichern. Der gesetzliche Rahmen ist für den Schutz der Lebensmittelproduktion ohne Gentechnik noch nicht geeignet. Bisher müssen in erster Linie Importeure und Verarbeiter von Soja und Mais erhebliche Anstrengungen untenehmen, um ihre Produkte frei von Gentechnik zu halten. Das ist mit erheblichen Kosten verbunden, die zu Lasten der Ertragssituation der Betriebe und der Verbraucherpreise gehen. Sollte sich die Agro-Gentechnik in Deutschland weiter ausweiten, sind auch immer mehr Landwirte davon betroffen. Ihnen entstehen zusätzliche Kosten für die aufwändigere Qualitätssicherung, die nur in Ausnahmefällen vom Verursacher eingefordert werden können. Bezahlt werden müssen Analysen, die von Abnehmern verlangt werden, sowie Aufwendungen für die Beweissicherung. Diese sind im Falle des Eintretens eines durch das Gesetz abgedeckten Schadensfalles notwendig, um erfolgreich auf Ausgleich klagen zu können. Die Kosten für Beweissicherung und Analysen werden wahrscheinlich nur im Erfolgsfall vom Verursacher bezahlt. Darin liegt eine wesentliche Lücke beim Haftungsrecht.

Haftung muss ausgebaut werden

Die Regelungen zur "gesamtschuldnerischen" und "verschuldensunabhängigen" Haftung im geltenden Gentechnikgesetz sind für Öko-Bauern begrüßenswert, sie reichen aber keineswegs aus, um sicher und dauerhaft eine Lebensmittelwirtschaft ohne Gentechnik zu gewährleisten. Vor allem die Frage des Grenzwerts, ab dem eine Kontamination als Schaden gilt, ist nicht geklärt. Die Regierung in Berlin diskutiert, ob Schäden unter 0,9 Prozent Verunreinigung mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht gänzlich von der Haftung ausgenommen werden sollten. Dies wäre fatal, lehnen konventionelle wie ökologische Verarbeiter doch Rohwaren bereits mit geringsten Kontaminationen ab, um den Erwartungen ihrer Kunden gerecht werden zu können. Sie müssen dies auch aufgrund der Ungenauigkeiten bei Analysen die - je nach Verarbeitungsgrad, Mischungspartner und Kultur - zirka 20 bis 80 Prozent betragen. Weiterhin müssen sie für die Risiken, die durch zufällige oder technisch unvermeidbare zusätzliche Kontaminationen bei Lagerung und Transport entstehen, einen Sicherheitspuffer bei den Grenzwerten einplanen. Und es kommen noch weitere Probleme dazu: Aus Sicht der Behörden dürfen Öko-Bauern ihre Produkte zwar mit bis zu 0,9 Prozent GVO als "bio" auf den Markt bringen, allerdings dürfen Verarbeiter oder Händler diese nicht verwenden, solange noch Öko-Waren mit geringeren GVO-Kontaminationen auf dem Markt sind. Aufgrund dieser Rechtslage kann es für Bauern zu der absurden Situation kommen, dass sie ein geringfügig mit GVO kontaminiertes Produkt zwar als "bio" vermarkten dürfen, es aber ihren Abnehmern untersagt ist, dies zu verwenden. Unklar ist also, ob Bauern, die ohne Gentechnik wirtschaften, Schäden unter 0,9 Prozent erstattet bekommen. Ebenso unklar ist, inwieweit die Kosten für den vorbeugenden Schutz und notwendige Beweissicherungsmaßnahmen, insbesondere wenn kein Schaden auftritt, geltend gemacht werden können. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies derzeit nicht der Fall. Für Imageschäden und ökologische Schäden hat der Gesetzgeber keine Haftungsregeln vorgesehen. Ebenso wenig ist geregelt, wer die Kosten für notwendige längere Wartefristen bei der Umstellung auf eine ökologische Bewirtschaftung trägt, wenn dort vorher gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut wurden, deren Ausfallsamen im Boden teils viele Jahre überdauern können.

Essentieller Schutz

Verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft ohne Gentechnik sind essentiell für ihr Fortbestehen. Gleichwohl müssen sich Landwirte und Verarbeiter bei einer Ausweitung der Agro-Gentechnik in Deutschland gegen GVO-Kontaminationen absichern. Für sie gilt zunächst, das individuelle Risiko im Hinblick auf mögliche Gentechnik-Einträge abzuschätzen: Werden in meiner Region gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut? Können Importprodukte mit genetisch veränderten Organismen in Berührung gekommen sein? Fand eine strikte Warenstromtrennung statt? Wurden konventionelle Zutaten und Hilfsstoffe für Ökoprodukte tatsächlich ohne Gentechnik hergestellt? Sind meine Lieferanten vertrauenswürdig? Bin ich gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen gewappnet? Wer Schäden vor Gericht geltend machen will, sollte an kritischen Punkten der Produktionskette Beweise sichern, um die Quelle des GVO-Eintrags eindeutig bestimmen zu können. Für Landwirte können Rückstellproben des Saatguts, der Ernte auf dem Feld und im Lager sinnvoll sein. Für Verarbeiter können beim Wareneingang separierte Quarantänelager, die erst nach Vorliegen von Analyseergebnissen freigegeben werden, Risiken vermindern.

Präzedenzfall Mais

Als einzige kommerziell genutzte transgene Pflanze wird in Deutschland auf einigen hundert Hektar gentechnisch veränderter (gv) Mais - Bt-Mais - von wenigen Landwirten, vor allem in Brandenburg, angebaut. Es sind insbesondere Großbetriebe mit eigenem Maschinenpark, die den genmanipulierten Mais für Silage nutzen. Darüber hinaus wird der gv-Mais auf einigen kleineren Versuchsflächen in etlichen Bundesländern angebaut. Da Mais bei uns keine wilden Verwandten hat und seine Körner im Winter frostbedingt absterben, treten durch ihn geringere Koexistenzprobleme auf als bei Kulturen wie Raps oder Zuckerrüben. Jedoch kann aus dem bisherigen kommerziellen Anbau und aus Versuchen in Deutschland nicht auf ein funktionierendes Nebeneinander geschlossen werden, da bisher ausschließlich Fragen der Pollenübertragung untersucht wurden. Aus den jüngsten noch nicht veröffentlichten Erhebungen wurde auf einen notwendigen Abstand von 150 Metern geschlossen, um die Kontaminationen auf Nachbarfeldern unter 0,9 Prozent zu halten. Nicht berücksichtigt wurden bei den Untersuchungen weitere Kontaminationsquellen, beispielsweise mit GVO verunreinigtes Saatgut, verunreinigte Transport- und Erntegeräte oder Ungenauigkeiten bei Analytik und Probenahme in der Verarbeitungskette. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie bei Gemüsemais, der als Kolben in den Handel gelangt, Gentechnikfreiheit sichergestellt werden kann. Gleiches gilt für Honig.

Verschleppung

Wie problematisch die Verschleppungsgefahr für die Herstellung von Lebensmitteln ohne Gentechnik sein kann, zeigt ein Verschleppungsversuch, der im Rahmen einer vom schweizerischen Bundesamt für Gesundheit beauftragten Studie durchgeführt wurde. In einer Maisverarbeitungsanlage wurden zuerst fünf Tonnen genmanipulierter Mais verarbeitet, danach fünf Tonnen konventioneller Mais zu Grieß, Mehl und Schale. Dazwischen fand eine "betriebsübliche" Reinigung der Anlage statt. Während des Verarbeitungsprozesses wurden zahlreiche Proben an verschiedenen Stellen der Anlage genommen. Es stellte sich heraus, dass trotz Reinigung nach über drei Stunden Verarbeitung von konventionellem Mais noch 0,5 und 1,3 Prozent GVO-Anteil in den Endprodukten nachzuweisen war. Daraus wird deutlich, dass eine zeitlich getrennte Verarbeitung in ein und derselben Anlage mit hohen Verschleppungsrisiken verbunden ist.(2)

Gesamte Herstellungskette betrachten

Für die Hersteller von Produkten ohne Gentechnik ist dieses Risiko nicht nur relevant, wenn im eigenen Betrieb parallel mit GVO-Produkten gearbeitet würde, sondern auch, wenn dies im vorgelagerten Bereich, zum Beispiel bei der Herstellung von Verarbeitungshilfs- und Zusatzstoffen, bei der Nutzung von Lohnlagern oder Fremdspeditionen oder bei der Vergabe von Lohnaufträgen beispielsweise an eine Sojatoasterei geschieht. Ein Verzicht auf die Verarbeitung von GVO oder daraus hergestellte Produkte im eigenen Betrieb genügt also nicht, um Lebensmittel sicher ohne Gentechnik herstellen zu können. Bereits heute müssen Lebensmittelhersteller umfangreiche Maßnahmen ergreifen: - Abschluss detaillierter vertraglicher Vereinbarung mit Vorlieferanten und Dienstleistern (beispielsweise Spediteuren), um Kontaminationen der Vorprodukte zu vermeiden; - Veranlassung von Audits bei Vorlieferanten und Dienstleistern zur Überprüfung der Einhaltung vereinbarter Qualitätsstandards; - Bei Öko-Lebensmitteln: Einholen einer speziellen GVO-Zusicherungserklärung (3) für kritische konventionelle Zutaten, Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffen; - Überprüfen der Ware beim Wareneingang (sachgerechte Kennzeichnung und Warenidentität, sensorische Prüfung); - Durchführen von Rückstellproben und Rückstands-Untersuchungen an Lieferchargen in geeigneten Laboren, gemäß den Vorgaben der betriebsinternen Qualitätssicherung. Unternehmer, die ohne Gentechnik produzieren, haben eine Reihe von Möglichkeiten, die Risiken zu mindern, die ihnen und ihren Kunden aus der Gentechnik erwachsen. Dies kostet Geld und verteuert die Produktion zum Teil erheblich, insbesondere wenn sich die Gentechnik weiter ausbreiten sollte. Bei der derzeit in Berlin diskutierten Novelle des Gentechnikgesetzes muss das Verursacherprinzip weit stärker als bisher berücksichtigt werden, um die Produktion ohne Gentechnik nicht zu benachteiligen. Insbesondere Analysekosten müssen vom Verursacher getragen werden, beispielsweise durch ein vorzuschreibendes Auskreuzungsmonitoring, das Landwirte, die Gentechnik nutzen, auf den Nachbarfeldern durchführen müssen. Nicht praxisgerecht sind die Pläne der Bundesregierung, nach denen Schäden erst ab 0,9 Prozent geltend gemacht werden können. Für Landwirte tritt der Schaden bereits deutlich darunter ein. Dies muss Berücksichtigung finden.
Der Artikel ist eine überarbeitete Version eines Beitrages, der unter gleichem Titel in der Ökologie & Landbau (4/2006) veröffentlicht wurde.
Literatur: Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Forschungsinstitut für biologischen Landbau, Öko-Institut (2006): Praxishandbuch Bio-Produkte ohne Gentechnik. Das Praxishandbuch beschreibt, was Landwirte, Verarbeiter und Händler tun können, um Gentechnikeinträge in ihre Produkte zu verhindern und Schäden erfolgreich einklagen zu können. Unternehmer finden hier fundierte Informationen zur rechtlichen Situation sowie Checklisten und Entscheidungshilfen, um Risikobereiche identifizieren zu können. Das Handbuch gibt Empfehlungen für die Kommunikation mit Kunden, erläutert naturwissenschaftliche Grundlagen zu Auskreuzung und Verschleppung von Gentechnikpflanzen und erklärt, wie Beweise gesichert werden müssen, um Schadensersatzansprüche erfolgreich geltend machen zu können. Kosten und Effizienz der Qualitätssicherungsmaßnahmen werden beispielhaft dargelegt. Es ist kostenlos abrufbar unter www.bioXgen.de. Es kann auch in gedruckter Form im Sammelordner mit Register für 50 Euro (inklusive Versandkosten) bei Peter Röhrig bestellt werden (eMail: roehrig@boelw.de).

  1. Verordnung des Europäischen Rates über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel (EU-Verordnung 2092/91)
  2. Wenk, N., D. Stebler, R. Bickel (2001): Warenflusstrennung von GVO in Lebensmitteln. Prognos AG - Europäisches Zentrum für Wirtschaftsförderung und Strategieberatung, Basel
  3. www.infoxgen.de -> Rechtliches -> Zusicherungserklärung
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
178
vom Oktober 2006
Seite 18 - 20

Peter Röhrig ist Diplom-Agraringenieur und arbeitet für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft in Berlin. Kontakt: eMail: roehrig@boelw.de.

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Rolf Mäder ist Diplom-Agraringenieur und arbeitet in der Abteilung für Qualitätssicherung beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frankfurt/Main.

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