Ende des Rechtsfriedens
Die FDP will das Stammzellgesetz kippen – und eine Handvoll Forscher wird von der DFG bedenkenlos unterstützt.
Auf den Mehrheitswillen der Bevölkerung konnte sich die FDP jedenfalls nicht berufen, als sie am vergangenen Donnerstag – fast auf den Tag fünf Jahre, nachdem der Deutsche Bundestag nach einer dramatischen Beratung den Kompromiss in Sachen Stammzellen verabschiedet hatte – eine Änderung des Stammzellgesetzes einbrachte. Denn gut 59 Prozent der Deutschen, so ergab eine Repräsentativumfrage kürzlich, sind auch heute noch dafür, dass Wissenschaftler statt an embryonalen lieber an adulten Stammzellen forschen sollten. Mit dieser Haltung bekräftigen sie den durch das Stammzellgesetz (StZG) gestifteten »Rechtsfrieden«, der die Forschung für humane embryonale Stammzellen (ES) nur an Linien erlaubt, die bis zum 1. Januar 2002 etabliert worden sind. Damit sollte dem Embryonenverbrauch zumindest von deutscher Seite ein Riegel vorgeschoben und ein Anreiz geschaffen werden, alternative Wege zu erforschen. Eine Weile schien die Front der deutschen Stammzellforschung beruhigt zu sein. Eigenartigerweise begannen die Begehrlichkeiten nach neuem »Material« ausgerechnet zu einem Zeitpunkt wieder laut zu werden, als der koreanische Klonforscher Hwang vom Wissenschaftsolymp fiel und als Betrüger entlarvt wurde. Sei es, weil die Europäer die viel besser ausgestattete südostasiatische Konkurrenz für eine Weile ausgeschaltet sahen, sei es, weil amerikanische Forscher mittlerweile neue Stammzelllinien gezüchtet hatten, die frei von Krankheitserregern und Fremdsubstanzen sind (eine Voraussetzung, damit sie überhaupt für klinische Studien herangezogen werden können), sei es, weil das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm neue Mittel für die ES-Forschung bereitstellt, jedenfalls ist die Kontroverse in Deutschland neu entbrannt. Und die FDP macht sich wieder einmal zur Zugmaschine der so genannten Wissenschaftsfreiheit. Argumentativen »Sprit« lieferte im Oktober 2006 die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), als sie empfahl, den deutschen Forschern neuere, im Ausland hergestellte und verwendete Stammzelllinien zugänglich zu machen, die Stichtagsregelung ersatzlos zu streichen und damit die mit dem Stammzellgesetz verbundene Strafandrohung aufzuheben. Die DFG begründet dies mit der schlechten Qualität der (noch) verfügbaren Stammzelllinien und mit der »berechtigten Hoffnung, dass Stammzellen in zunehmenden Maße als Basis für die Therapie heute noch nicht behandelbarer Krankheiten dienen werden«. Würden die deutschen Wissenschaftler durch rechtliche Restriktionen von diesem »weltweiten Erkenntnisfortschritt« ausgeschlossen, würden sie »isoliert« und dem Wissenschaftsstandort Deutschland entstünden Konkurrenznachteile. Interessant ist, dass selbst die DFG einräumen muss, dass auf der ganzen Welt neue regenerative Zelltherapien bislang nur mit adulten Stammzellen – etwa mit Knochenmarkzellen bei Leukämie – in der klinischen Phase laufen und aussichtsreich sind. In einzelnen Fällen, vor allem bei Kindern, werden auch aus Nabelschnurblut gewonnene Stammzellen eingesetzt, die ethisch unbedenklich sind. Doch obwohl Therapien mit ES-Zellen selbst auf längere Sicht gar nicht absehbar sind, behauptet die DFG, dass sich die »Hoffnung auf die funktionelle Gleichgewichtigkeit beider Zelltypen (also der adulten und der ES-Zellen/Red.) nicht erfüllt« hätte.
Noch in den Kinderschuhen
Susanne Donner vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags bestreitet diese Sicht in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie. Ihr Forschungsbericht benennt zahlreiche Bereiche, in denen die Therapie mit adulten Stammzellen aussichtsreich erscheint; die Arbeit an embryonalen Stammzellen dagegen, so Donners Fazit, steckt noch im Anfangsstadium und es »kann mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden«, dass sich »in den kommenden Jahren eine medizinische Therapie« etabliert. Unterstützt wird diese Auffassung ausgerechnet vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller. Deren Vorstandschef Bernd Wegener gab anlässlich einer Veranstaltung der Bündnisgrünen zu Protokoll, dass die Hoffnung auf Heilungschancen die embryonale Stammzellforschung so wenig rechtfertige wie die reklamierte Forschungsfreiheit. Sein Verband plädiere vielmehr für die adulte Stammzellforschung, die in absehbarer Zeit marktreife Produkte erwarten ließe. Dass Wegener weder das Embryonenschutzgesetz noch das Stammzellgesetz als Strafgesetz verändert sehen will, ist bemerkenswert angesichts der in der Öffentlichkeit immer wieder verhandelten angeblichen »Kriminalisierung« der Forscher. Doch nach Fällen gefragt, wo Wissenschaftler jemals nach dem Stammzellgesetz belangt, angeklagt oder gar verurteilt wurden, musste auch Henning Beier, Mitglied jener Kommission, die am Robert-Koch-Institut die mit embryonalen Stammzellen verbundenen Forschungsanträge prüft, passen: Bislang wurde kein einziger Fall aktenkundig. Beiers Bedrohungsszenario (»junge Wissenschaftler im Labor befürchten, immer mit einem Bein im Gefängnis zu stehen«) gehört also eher zur Stimmungsmache, als dass es die realen Verhältnisse abbildet. Und die Öffentlichkeit wird bewusst in die Irre geführt, wenn die DFG behauptet, Wissenschaftler würden aus internationalen Kooperationen ausgeschlossen. Paragraf 13 des StZG regelt, dass sich der Schutzbereich und damit auch die Strafbarkeit nur auf das Inland bezieht. In der Bundestagsdebatte haben mehrere Redner darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten es sich 2002 mit dem Kompromiss nicht leicht gemacht haben und keine Not besteht, das Paket wieder aufzuschnüren. Mit der Union, erteilte Eberhard Gienger der FDP eine Abfuhr, sei »eine Abschaffung des Stichtags nicht zu machen«. Doch es gibt bereits Stimmen, die eine »Verschiebung des Stichtags nach hinten« nicht ausschließen, je nachdem, wie die für den Mai geplante öffentliche Anhörung ausfällt. Dann hätte sich die unendliche Litanei einer Handvoll Forscher, die meinen, für sie gälten andere Regeln, am Ende doch gelohnt – und die »große« DFG dabei willig assistiert.
Quellen: Stammzellforschung in Deutschland – Möglichkeiten und Perspektiven. Oktober 2006 (www.dfg.de) Susanne Donner: Der Stand der Forschung zu und Potenziale von embryonalen und adulten Stammzellen. Deutscher Bundestag 20.12.2006. (WD 8-235/06)
Ulrike Baureithel ist freie Journalistin und Lehrbeauftragte an der HU Berlin. Sie arbeitet seit 1990 unter anderem im Bereich Bioethik und Reproduktionstechnologie.
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