Gentest-Espresso

Kommt das Genomscreening für die Pränataldiagnostik?

Der Ethikrat beriet Ende März über die enorme Beschleunigung in der Gendiagnostik durch den Einsatz von Hochdurchsatz-Technologien. Eine Frage war: Kommt das Genomscreening für die Pränataldiagnostik?

Ultraschall und Chromosomenanalyse sind seit 30 Jahren die Hauptinstrumente der Pränatalen Diagnostik (PND). Über die Jahre sind sie technisch weiterentwickelt und ihre Anwendung ständig ausgeweitet worden. Die PND blieb damit aber auf das im Ultraschall und unter dem Mikroskop Sichtbare begrenzt. Die molekulargenetische Analyse einzelner Gene ist aufwändig und teuer und wird deshalb eher selten und nur bei entsprechendem Anfangsverdacht angewendet. Die Kombination von zwei technischen Neuerungen könnte die pränatale Diagnostik radikal verändern und die molekulargenetische Diagnostik zum Standard in der PND machen. Die Rede ist von zwei bislang unabhängigen Entwicklungen: 1. Die Analyse fötaler DNA aus dem Blut einer Schwangeren ist inzwischen mit einem kommerziell vertriebenen Kit möglich. 2. Die Genomforschung verfügt über Hochdurchsatz-Analysemethoden, die die Sequenzierung von DNA - fast - zum Kinderspiel machen.

DNA-Sequenzierung auf der Überholspur

Regine Kollek, Vorsitzende der Arbeitsgruppe genetische Diagnostik im Deutschen Ethikrat, erklärt, dass die technische Beschleunigung in der DNA-Sequenzierung das bisher Dagewesene übertrifft: Das Human Genome Project (HGP) brauchte für die erste Sequenzierung eines menschlichen Genoms 15 Jahre. 2005 markierte ein Wendejahr: Eine neue Generation von Sequenzierapparaten kam auf den Markt, mit denen man ein komplettes Genom innerhalb von Tagen sequenzieren kann. Deshalb ist auch von Hochdurchsatz-Technologie die Rede. Miniaturisierung, Parallelisierung und Verbilligung kennzeichnen die Entwicklung. Die Sequenziertechnologie der zweiten Generation basiert auf der alten Technik aus HGP-Tagen, mit dem Unterschied, dass nun Tausende von Sequenziervorgängen gleichzeitig in tausenden Minilöchern einer handgroßen Pipettierplatte ablaufen - automatisch gesteuert und per Lichtsignal ausgelesen in einem Sequenzierapparat, der auf einem Labortisch Platz findet.

Die Diagnostikindustrie startet durch

Drei Firmen beherrschen den Markt für die neue Sequenziertechnologie: Life Technologies, Illumina und Roche Diagnostics. Das Interesse der Firmen ist, die neuen Techniken, die bislang fast nur in der Forschung Anwendung finden, in die Praxis zu bringen - dies tun sie mit Erfolg.1Seit letztem Jahr finden die Hochdurchsatz-Techniken international nach und nach Eingang in die pränatale Diagnostik. Der Test, den die LifeCodexx AG für Deutschland angekündigt hat, beruht darauf, dass er die Sequenziertechnologie der Firma Illumina anwendet, um die im Blut der Schwangeren befindliche fötale DNA zu analysieren. Der PraenaTest zielt auf die Trisomie 21 und ist damit der Versuch, die Chromosomendiagnostik auf eine molekulargenetische Grundlage zu stellen. Im Blut der Schwangeren schwimmen nämlich keine Chromosomen, sondern nur unterschiedlich große DNA-Fragmente des Embryo beziehungsweise Fötus. Der technische Kniff ist deshalb, aus der Häufigkeit, mit der zum Chromosom 21 gehörige DNA-Fragmente aus dem Blut herausgefischt und sequenziert werden, statistisch zu schließen, ob das Chromosom 21 zweifach oder – wie im Fall einer Trisomie - dreifach vorhanden ist. Erweiterungsoptionen auf Trisomie 13 und 18 sind vorgesehen. Eine weitere Ausweitung, insbesondere die Analyse einzelner Gene, ist laut der medizinischen Direktorin von LifeCodexx Wera Hofmann derzeit nicht geplant. Ansonsten hüllt sich die Firma in Schweigen - und das aus gutem Grund.

Technische Probleme

Eine Expertenanhörung des Deutschen Ethikrates (DER) befasste sich im März mit den neuen Testtechnologien.2 Im Prinzip, soweit war man sich einig, werde es in Zukunft möglich sein, das gesamte fötale Genom aus der Blutprobe einer Schwangeren zu sequenzieren. Die Hochdurchsatztechniken haben allerdings einige Schwächen, die den Experten Kopfschmerzen bereiten: vor allem die hohe Fehlerrate bei der Sequenzierung. In den Zwischenschritten des komplizierten Verfahrens summieren sich, wie man weiß, Fehler schnell auf. In der Forschung kann man mit solchen Fehlerraten leben, in der Diagnostik nicht. Die Verlässlichkeit der Testergebnisse lässt sich nach einem einfachen Prinzip verbessern: Man erhöht die Zahl der Sequenzierdurchgänge („reads“) soweit, bis die Fehlerrate auf einen akzeptablen Wert abgesunken ist. Eine Ringstudie hat gezeigt, dass diese Strategie funktioniert, wenn die Voraussetzungen gut sind (IRON Study: Interlaboratory Robustness of Next Generation Sequencing). Dazu zählt, dass die Qualität des Ausgangsmaterials hoch ist. In der Pränataldiagnostik ist das der Fall, wenn im Zuge einer Amniozentese ganze Zellen des Fötus aus dem Fruchtwasser gewonnen werden. Komplizierter wird es im Fall des neuen Bluttests, denn im Blut der Schwangeren schwimmen nur DNA-Fragmente, die zudem mit solchen der Schwangeren vermischt sind. Der Aufwand, die Statistik zu verbessern, ist ungleich größer und könnte auch an prinzipielle Grenzen stoßen. Die Experten auf der Anhörung des DER befürchten deshalb, dass die Häufigkeit von falsch-positiven Testergebnissen sehr hoch sein könnte. Genaues lässt sich aber erst sagen, wenn die Ergebnisse aus den klinischen Vortests zum PraenaTest vorliegen. Sie werden entscheidenden Einfluss darauf haben, mit welcher Vermarktungsstrategie LifeCodexx den Test auf den Markt bringen wird.

Genomdiagnostik pränatal?

Ungeachtet der bestehenden Schwierigkeiten schreitet die Forschung voran. Eine Studie liegt bereits vor, in der das gesamte fötale Genom, das nur in Fragmenten im Blut der Schwangeren vorliegt, aus 3.931 Milliarden mittels Hochdurchsatz sequenzierten Minisequenzen („reads“) rekonstruiert worden ist. Dabei wurde testweise der Mutationsstatus für eine Blutkrankheit - ß-Thalassämie - festgestellt. Die Experten, die vor dem DER eine unabhängige und gründliche Validierung von genetischen Testverfahren forderten, werden deshalb in Zukunft noch einiges zu tun bekommen.

  • 1Ein Bereich, in dem man voll auf Hochdurchsatztechniken setzt, ist die personalisierte Medizin. Pharma- und Diagnostikindustrie arbeiten Hand in Hand bei den zurzeit laufenden klinischen Versuchen. Auch der MammaPrint - ein Test in der Brustkrebs-Diagnostik, bei dem 70 Gene auf Mutationen hin untersucht werden - basiert auf Hochdurchsatz-Sequenzierung.
  • 2Programm der Anhörung und Audioprotokoll: www.ethikrat.org/veranstal tungen/anhoerungen.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
211
vom Mai 2012
Seite 15

Alexander v. Schwerin lehrt an der TU Braunschweig Wissenschafts-, Technik- und Pharmaziegeschichte und ist Mitarbeiter im Forschungsprogramm zur „Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft“ am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin.

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