Handel gegen Umwelt

Deutsche Nichtregierungsorganisationen erheben Einspruch gegen das Urteil im Gentechnikstreitfall der Welthandelsorganisation. Sie warnen damit vor einer weitreichenden Schwächung von internationalen Umweltabkommen durch Handelsabkommen.

Wenn es nicht die Europäische Kommission tut, dann machen wir es eben selber. So oder ähnlich werden die deutschen Nichtregierungsorganisationen vermutlich gedacht haben, bevor sie sich dazu entschlossen, die Entscheidung des Streitschlichtungsgremiums der Welthandelsorganisation (WTO) im Biotech-Streitfall zwischen den USA und anderen Ländern gegen die Europäische Union anzufechten. Vor wenigen Wochen ist der Streitfall zu Ende gegangen. Es ging im Wesentlichen um die Fragen "Gab es in Europa ein Moratorium gegen gentechnisch veränderte Organismen?", "War dieses Moratorium konform mit den Regeln der Welthandelsorganisation?" und verschiedene Maßnahmen europäischer Länder im Kontext der Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Das WTO-Gremium hatte befunden, ja es gab ein Moratorium gegen die Zulassung von GVO in der EU, und nein, dieses war nicht konform mit den Regeln der Organisation und es ist auch nicht rechtens, dass verschiedene Mitgliedsstaaten der EU - bis heute - nationale Verbote gegen bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen ausgesprochen haben. Diese Verbote seien nicht ausreichend wissenschaftlich begründet. Diese Entscheidungen waren so oder ähnlich erwartet worden. Kaum jemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass sich Richter der WTO auf die Seite des Vorsorgeprinzips stellen würden, mit dem die EU im Sinne ihrer Mitgliedsstaaten argumentiert hatte - nicht zuletzt, weil das Vorsorgeprinzip bereits seit 1992 die Basis der europäischen Umweltpolitik darstellt. Die Rechtfertigung der nationalen Verbote einzelner Länder gegen bestimmte GVO dürfte der Kommission im Übrigen nicht leicht gefallen sein, da sie selbst in den EU-internen Debatten ihrerseits gegen genau diese nationalen Verbote vorgeht. Im WTO-Verfahren - und wie die EU-Sektionen von Greenpeace und der Freunde der Erde betonen (1) - hinter verschlossenen Türen bekannte sich die EU-Kommission durchaus zu den Zweifeln bezüglich der Sicherheit von GVO: "Aus den wissenschaftlichen Empfehlungen, die dem Ausschuss jetzt vorliegen, geht hervor, dass es keinen eindeutigen, absoluten, wissenschaftlichen Schwellenwert gibt, um zu entscheiden, ob ein GV-Erzeugnis sicher ist oder nicht." "[...] nach bisherigem Erkenntnisstand […] ist es unmöglich zu bestimmen, ob, abgesehen von akuten Vergiftungen, die Einführung von GV-Lebensmitteln irgendwelche gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen gehabt hat."(2) Nationale Verbote sind als Notmaßnahme zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips in der Schutzklausel der EU-Freisetzungsrichtlinie im europäischen Recht verankert. Sie müssen wissenschaftlich begründet sein.(3) Sechs Länder haben bisher nationale Verbote auf der Basis der Schutzklausel erlassen: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich und Ungarn. Polen ist über eine Sortenrechtsbestimmung einen ewas anderen Weg gegangen, hat aber de facto ein nationales Verbot ausgesprochen. Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren mehrfach versucht, gegen die nationalen Verbote vorzugehen, ist damit aber bisher regelmäßig, das heißt in etwa 20 Abstimmungen, im Ministerrat gescheitert.(4)

Kein Recht der WTO

Doch um die Anerkennung der Rechtmäßigkeit nationalen Verbote einzelner GVO geht es den nun zum wiederholten Male in dieser Sache aktiv gewordenen NGO auch nicht. Ihnen geht es um nichts weniger als das "große Ganze": "Aufgrund der Intransparenz des Verfahrens und der Ignoranz der WTO-Streitschlichtung gegenüber Umweltschutzbelangen sprechen sie der WTO das Recht und die Fähigkeit ab, Urteile in Konflikten zu fällen, die das Verhältnis von Welthandelsrecht und Umweltschutz betreffen".(5) Nach Stefanie Hundsdorfer, die für die globalisierungskritische Organisation attac den Streitfall verfolgte, haben die drei WTO-Richter "im Konflikt zwischen Handelsrecht und internationalen Umweltabkommen eine weitreichende Entscheidung gegen den Umweltschutz gefällt". Diese haben in ihrem Urteil festgestellt, dass das Protokoll über Biologische Sicherheit, das Staaten beim grenzüberschreitenden Handel mit gentechnisch veränderten Organismen zur Anwendung des Vorsorgeprinzips ermächtigt, im Streitfall keine Rolle spielt. "So unterlaufen sie mit ihrer Entscheidung nicht allein dieses internationale Umweltabkommen", vielmehr bestehe, so Stefanie Hundsdorfer weiter, die Gefahr, dass "auch andere handelsrelevante Umweltabkommen wie zum Beispiel das Kyoto-Protokoll in zukünftigen WTO-Streitfällen dem Welthandelsrecht unterliegen".

2.400 Seiten Urteil

Handels- oder Umweltrecht - was geht vor? - das war die eigentliche Frage, um die es in der Auseinandersetzung vor den WTO-Richtern in den letzten dreieinhalb Jahren ging. So lange hat das Gremium für die Anhörung von ExpertInnen, von VertreterInnen der beteiligten Länder - neben der EU waren außerdem Argentinien und Kanada an der Seite der USA beteiligt - und diverse weitere Verfahrensschritte gebraucht. Herausgekommen ist ein 2.400 Seiten umfassendes Urteil (6), das nun wirksam wird, da die Streitparteien, auf ihr Einspruchsrecht verzichtet haben. Interessant bleibt WTO-intern allein die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang, Strafzölle möglich werden, die dann der EU, respektive ihren Mitgliedsstaaten im internationalen Handel auferlegt werden können. Davor scheint aber die Kommission der EU keine große Angst zu haben, hält sie dieses Urteil doch nur für historisch interessant, wie sie es nennt.(7) Sie glaubt sich auf der sicheren Seite, da ein Moratorium - wenn es dies je gegeben hat - nicht (mehr) existiert, weil in Europa in den vergangenen Jahren verschiedene GVO zugelassen worden sind. Für weitere Fragen, die sich aus dem Urteil ergeben, interessiert sie sich jedoch nicht.

Auswirkungen auf andere Länder

Von der möglichen Art anderer Folgen des Urteils konnten verschiedene Länder bereits im Verlauf der Auseinandersetzung eine Ahnung bekommen, hat doch die USA in den letzten Jahren an verschiedener Stelle mit weiteren Klagen in Sachen Gentechnik gedroht. Für den Fall, dass ein Land eigene - nicht-US-konforme, sondern am Vorsorgeprinzip orientierte - Wege in der Regulierung von GVO gehen will, machten die USA deutlich, dass sie auch gegenüber anderen Ländern das WTO-Recht nutzen wollen, um - nach ihrer Interpretation - Handelshemmnisse aus dem Weg zu räumen. So zum Beispiel Bolivien und Sri Lanka, denen von den VertreterInnen der USA mit kostspieligen WTO-Auseinandersetzungen gedroht wurde. Damit wird auch die Schieflage im System einmal mehr deutlich. Die industrialisierten - und reichen - Länder des Nordens können allein aufgrund ihrer Ressourcen weitaus nachdrücklicher auf ihrem Recht bestehen, als dies kleineren oder ärmeren Ländern möglich ist.

Einspruch!

Die deutschen NGO haben ihren Einspruch in einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Beschwerdekammer der WTO, den indischen Wirtschaftsexperten Arumugamangalam Venkatachalam Ganesan, geschickt. Da nicht mit einer substantiellen Reaktion zu rechnen ist - die WTO hat im gesamten Verlauf des Verfahrens die Eingaben der Zivilgesellschaft ignoriert -, halten die NGO es für zentral, dass außerhalb der WTO, das heißt im Rahmen der Vereinten Nationen, "Prozesse in Gang gesetzt werden, in denen klare Entscheidungskriterien und -regeln für Konflikte zwischen MEAs [multilateralen Umweltabkommen] und WTO-Recht gefunden werden". Für diese Konflikte bedarf es eines Streitschlichtungsgremiums außerhalb der WTO, "beispielsweise beim Internationalen Gerichtshof der UN".(7)

  1. Hidden Uncertainties - What the European Commission doesn’t want us to know about the risks of GMOs, im April 2006. Deutsche Übersetzung im Netz unter: www.greenpeace.de/themen/gentechnik/nachrichten/a….
  2. Eingabe der EU vor dem Schlichtungsausschuss der Welthandelsorganisation, 28. Januar: European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products (DS291, DS292, DS293). Comments by the European Communities on the scientific and technical advice to the panel. 28 January 2005; www.foeeurope.org/biteback/EC_case.htm.
  3. Die so genannte Schutzklausel findet sich in der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18, Artikel 23. Dort heißt es: " Hat ein Mitgliedstaat aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen, (...) berechtigten Grund zu der Annahme, dass ein GVO als Produkt oder in einem Produkt (...) eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann er den Einsatz und/oder Verkauf dieses GVO als Produkt oder in einem Produkt in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend einschränken oder verbieten."
  4. Siehe zum Beispiel: www.foeeurope.org/GMOs/pending/votes_results. htm und www.foeeurope.org/ban_risky_gm_food/index.php.
  5. Pressemitteilung des Forums Umwelt und Entwicklung vom 28.11.06 "Das akzeptieren wir nicht! - Nichtregierungsorganisationen legen Einspruch gegen WTO-Urteil im Gentechnikstreitfall ein", Bonn. Im Internet unter: www.forum-ue.de. Dort auch das Hintergrundpapier der Nichtregierungsorganisationen als pdf-Datei zum Download: "Gentechnik-Streitfall: Keine Sicherheit mehr für das Biosafety-Protokoll".
  6. Das Urteil des WTO-Streitschlichtungsgremiums findet sich auf der Internetseite der Organisation, im Netz unter: www.wto.org.
  7. Zitiert nach "Gentechnik-Streitfall: Keine Sicherheit mehr für das Biosafety-Protokoll" von Stefanie Hundsdorfer für die AG Handel im Forum Umwelt und Entwicklung (siehe auch Fußnote 5).
Erschienen in
GID-Ausgabe
179
vom Dezember 2006
Seite 52 - 53

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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