Koexistenz? Kontamination!

Die Europäische Kommission schlägt derzeit Pfähle ein, wie die zukünftige Gentechnikpolitik der EU auszusehen hat. Sie entwirft Konzepte, verteilt üppige Forschungsgelder für die Gentechnik, lässt neue gentechnisch veränderte Nutzpflanzen zu und verweist die rechtliche Regelung von Kontamination und Koexistenz in die Mitgliedsstaaten. Dabei setzt sie sich über den Willen der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Regierungen vieler Mitgliedsstaaten hinweg.

Die österreichische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) hat das Thema bereitwillig aufgenommen. Im Jargon der EU wird von "Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen" gesprochen, bei den Kritikerinnen und Kritikern seit jeher von "Kontamination". "Es ist hinlänglich bekannt, dass in Österreich eine breite Mehrheit der Gesellschaft - von den Landwirten bis hin zu den Konsumenten - den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ablehnt", erklärte der Wiener Umweltminister Josef Pröll und ließ damit die sonst für das Land der Ratspräsidentschaft übliche Zurückhaltung vermissen.(1) So schien dieses heikle Thema bei der österreichischen Regierung in guten Händen, als sie bereits im letzten Jahr ankündigte, die Agro-Gentechnik zu einem wichtigen Thema ihrer Präsidentschaft zu machen. Doch hat die österreichische Regierung die Rechnung ohne den sprichwörtlichen Wirt, die Europäische Kommission, gemacht.

Freedom of Choice

Zu der Konferenz "Co-existence of genetically modified, conventional and organic crops - Freedom of Choice" (2), die einen hohen Status in dieser Auseinandersetzung einnimmt, hat nicht allein die österreichische Regierung, sondern ebenso die Europäische Kommission eingeladen. Auf der Tagesordnung fanden sich weitgehend solche Erfahrungsberichte, von denen die Kommission hoffen konnte, dass sie Koexistenz als ohne großen Aufwand machbar darstellen würden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Zudem war es ein "closed shop", wie es im Englischen heißt, eine geschlossene Gesellschaft. Zum Beispiel waren nur die VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen (NRO) zugelassen, die auch im europäischen Kontext, das heißt in Brüssel arbeiten. Die EU-Sektion der Freunde der Erde (3) bemerkte darin eine gewisse Widersprüchlichkeit: Einerseits mache die EU-Kommission die Koexistenzdebatte zu einer nationalen Angelegenheit der Mitgliedsstaaten, auf der anderen Seite schließe sie nationale NRO für die Konferenz in Wien aus. Fallstudie Nicht zuletzt durch die erst jüngst veröffentlichte Studie der gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (4) ist die Diskussion um Koexistenz und Kontamination erneut voll entbrannt. Die Autorinnen und Autoren analysieren, welche Maßnahmen notwendig sind, um die Koexistenz abzusichern. Dabei spielt - nicht nur - ihrer Meinung nach der Grenzwert für die Verunreinigung von Saatgut mit gentechnisch verändertem Material die zentrale Rolle. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein Grenzwert von 0,5 Prozent für Mais-Saatgut ausreicht, um den Grenzwert von 0,9 Prozent Verunreinigung mit transgenem Material in Lebensmitteln zu gewährleisten. Dabei wurden die ermittelten Daten in einer sehr speziellen Anbausituation gewonnen. Für die Mais-Fallstudie wurde ein Anbausystem zugrunde gelegt, wie es in bestimmten Regionen von Frankreich für die Herstellung von Saatgut angewendet wird. Benachbarte Felder werden in so genannten Clustern zusammengefasst, auf denen dann ausschließlich Saatgut einer bestimmten Varietät produziert wird. So werden dann auch die Felder mit gentechnisch veränderten Sorten zu Clustern zusammengefasst und in eine Modellierung eingebracht, die ihrerseits den Grenzwert von 0,5 Prozent für die Saatgut-Verunreinigung als Ergebnis ausgespuckt hat. Doch bleibt es im Dunkeln, wieso dieses Beispiel prädestiniert ist, den Maisanbau in Europa zu repräsentieren. Auch die Landwirtschaftskommissarin der EU, Mariann Fischer Boel, wird nicht faul zu betonen: "Die Lage ist in jedem EU-Staat eine andere. Nicht wegen der Agrarstrukturen, sondern auch wegen des Klimas oder den Produktionsmethoden."(5) Die genannten 0,9 Prozent zufälliger und technisch nicht zu vermeidender Anteile in konventionellen und ökologischen Produkten ist für die Europäische Kommission der Prüfstein der Koexistenz. Zudem ist sie nach der Lesart der Europäischen Kommission ein rein ökonomisches Problem und entsprechende Maßnahmen zu ihrer Gewährleis-tung werden in aller Regel auf den landwirtschaftlichen Sektor beschränkt und nicht auf die Weiterverarbeitungs-Kette ausgeweitet.

Falsche Orientierung

Die Freunde der Erde kritisieren die EU-Politik in dieser Sache auf ganzer Linie. Sie halten zum Beispiel den Ansatz, die Koexistenz-Maßnahmen an der Einhaltung des Grenzwertes von 0,9 Prozent in Produkten zu messen, für grundlegend fehlerhaft. Dieser sei nicht relevant für die zu beschließenden Maßnahmen, vielmehr gehe es bei der Sicherung der Koexistenz um die Vermeidung "(unbeabsichtigter) Verunreinigung von Produkten", wie es in einer juristischen Expertise genannt wird, die von der Umweltorganisation in Auftrag gegeben wurde.(6) Auch Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ist mit der Kommission alles andere als zufrieden: "Koexistenz darf nicht am Ackerrand enden. Koexistenzmaßnahmen sind vielmehr für die gesamte Produktionskette zu treffen: von der Saatguterzeugung über den Anbau bis zur gemeinsamen Maschinennutzung von Landwirten bei Aussaat und Ernte sowie für Lagerung, Transport und Verarbeitung."(7)

Beispiel Spanien

Greenpeace zeigt in dem Bericht "Impossible Coexis-tence" (8), der pünktlich zur Konferenz in Wien erschienen ist, dass auch die bisherigen Erfahrungen auf dem europäischen Kontinent die Europäische Kommission nicht unterstützen, sondern klar widerlegen. An Fallbeispielen aus verschiedenen spanischen Regionen zeigt sich, dass Koexistenz von gentechnisch veränderten, konventionellen und ökologischen Kulturen dort nicht funktioniert. Genau das Gegenteil ist aber die Quintessenz aus dem genannten Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle. Deren AutorInnen hatten aus ihren Begutachtungen des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Spanien geschlussfolgert, eine strikte Warentrennung sei in den Anbaugebieten nicht notwendig, da "der Markt dies nicht nötig macht", wenn die Ernten als Futter verwendet werden. In dem Bericht werden Verunreinigungen auf Feldern dokumentiert, die im zweistelligen Prozentbereich liegen.

Selbstbestimmungsrecht der Regionen

Anlässlich der Konferenz in Wien rief die Plattform "Gentechnikfreie Regionen und Länder" (9) zu einem Marsch für ein gentechnikfreies Europa auf. Die Veranstalter betonen in besonderer Weise das Recht der Regionen auf Selbstbestimmung, ob in ihren Grenzen Gentechnik in der Landwirtschaft zum Einsatz gebracht werden dürfen soll oder nicht. Denn, so ihr Tenor, die Regionen wüssten selbst am besten, wie ihre Landwirtschaft strukturiert ist. Die Plattform fordert die "verantwortlichen Institutionen der Europäischen Union sowie die nationalen Regierungen und Parlamente auf, auf ein gentechnikfreies Europa hinzuarbeiten und bis Ende 2007" weitere - detailliertere - Forderungen "der Bürgerinnen und Bürger Europas rechtlich zu verankern" [siehe Kasten 1: Krakauer Erklärung für ein gentechnikfreies Europa ]. Das Selbstbestimmungsrecht setzt entsprechend die Idee von Frau Fischer Boel konsequent auf die regionale Ebene um, was aber die Europäische Kommission ihrerseits bisher nicht anerkennt. Das Selbstbestimmungsrecht steht neben der Garantie einer gentechnikfreien Produktion im Zentrum der "Wiener Erklärung".

Zehnjähriges Moratorium

Einen anderen Umgang mit der Kontamination-Koexistenz-Frage halten die UnterstützerInnen der Krakauer Erklärung für notwendig: Da Koexistenz nicht möglich ist, fordern sie ein zehnjähriges Anbau- und Handelsmoratorium für GVO in Europa. Verabschiedet wurde sie von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz "Ein geeintes Nein zur Gentechnik", zu der etwa 120 VertreterInnen aus Landwirtschaft, Umweltschutz und Verwaltungen aus 14 europäischen Ländern Ende Februar 2006 in Krakau (Polen) zusammenkamen. Die " europäischen Regierungen und die Europäische Kommission [werden aufgefordert], die Meinung ihrer BürgerInnen zu respektieren und alle Importe von und den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Saatgut sowie dessen Anbau zu beenden." Ob Krakauer oder Wiener Erklärung ist nicht egal, insbesondere nicht für diejenigen, die sie unterschreiben und unterstützen wollen. Doch müssen sie in der Bewegung behandelt werden wie die zwei Seiten der Medaille. Das Ziel ist die gentechnikfreie und von der Gentechnik befreite Landwirtschaft - dazu ist mehr als ein Weg, mehr als eine Strategie, notwendig.

Fußnoten

  1. "Wiener Erklärung für gentechfreies Europa bei GVO-Konferenz übergeben", Mitteilung vom 5. April 2006 von pressetext in Kooperation mit dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Österreich) im Internet unter: www.pressetext.at/pte.mc?pte=060405046.
  2. "Koexistenz von gentechnisch veränderten, konventionellen und biologischen Nutzpflanzen - Die Freiheit der Wahl". Zu den Ergebnissen und Folgen der Konferenz, die vom 4. bis zum 6. April 2006 in Wien stattgefunden hat, im nächsten GID.
  3. Friends of the Earth Europe, siehe im Internet www.foeeurope.org. Die Friends of the Earth werden in Deutschland vertreten durch den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
  4. "New case studies on the coexistence of GM and non-GM crops in European agriculture" der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (Joint Research Center). Zum Herunterladen aus dem Internet: www.jrc.es/home/pages/eur22102enfinal.pdf.
  5. Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten am 4. April 2006. Im Netz unter: www.nachrichten.at/politik/landespolitik/435306?P….
  6. Siehe zum Thema zum Beispiel: "Contaminate or legislate? - European Commission policy on 'coexistence". Friends of the Earth Europe Position Paper, April 2006. Im Internet zum Download unter: www.foeeurope.org/publications/2006/contaminate_o….
  7. "BUND-Hintergrund zur EU-Koexistenzrichtlinie", Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, März 2006.
  8. Deutsch etwa: Unmögliche Koexistenz - Sieben Jahre GVO haben ökologischen und konventionellen Mais contaminiert: Eine Auswertung der Fälle [der spanischen Regionen] Katalonien und Aragon. Im Internet unter: www.greenpeace.org/raw/content/international/pres….
  9. Die Plattform "Gentechnikfreie Regionen und Länder" trat am 5. April 2006 in Wien als Veranstalterin des Marsches für ein gentechnikfreies Europa anlässlich der Konferenz "Koexistenz von gentechnisch veränderten, konventionellen und biologischen Nutzpflanzen - Die Freiheit der Wahl" auf.
Erschienen in
GID-Ausgabe
175
vom April 2006
Seite 59 - 61

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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Krakauer Erklärung für ein gentechnikfreies Europa

Wir, die TeilnehmerInnen der Krakauer Konferenz "Ein geeintes Nein zur Gentechnik" fordern die europäischen Regierungen und die Europäische Kommission auf, die Meinung ihrer BürgerInnen zu respektieren und alle Importe von und den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Saatgut sowie dessen Anbau zu beenden. Wir unterstützen deshalb die Einführung eines zehnjährigen Moratoriums gegen Gentechnik in Europa und die Neuorientierung der derzeitigen und zukünftigen Forschung und Entwicklung hin zu diversifizierten und ökologisch vernünftigen Landnutzungssystemen, die langfristig die Fruchtbarkeit, Biodiversität und Gesundheit unserer Böden, Pflanzen und Tiere erhalten und verbessern.

Krakau (Polen), den 24. Februar 2006

Angenommen von 120 TeilnehmerInnen (Bäuerinnen und Bauern, BehördenvertreterInnen, PolitikerInnen und AktivistInnen) aus 14 Ländern Europas auf der Krakauer Konferenz "Ein geeintes Nein zur Gentechnik", die von ICPPC ­ International Coalition to Protect the Polish Countryside (www.gmo.icppc.pl) organisiert wurde.

Wiener Erklärung für ein gentechnikfreies Europa

Aufgrund der demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger und eingedenk der kulturellen Vielfalt Europas verlangen wir das Selbstbestimmungsrecht der europäischen Regionen und Länder für eine gentechnikfreie Umwelt und Ernährung. (...) Wir unterstützen das Europäische Netzwerk der gentechnikfreien Regionen und Länder, die gentechnikfreie Lebensmittel und Landwirtschaft vorantreiben mit all unserer Kraft. Wir fordern die verantwortlichen Institutionen der Europäischen Union sowie die nationalen Regierungen und Parlamente auf, ein gentechnikfreies Europa weiterhin zu ermöglichen und bis Ende 2007 folgende Forderungen der Bürgerinnen und Bürger Europas so rasch als möglich rechtlich zu verankern: - Das Recht der europäischen Konsumentinnen und Konsumenten auf eine gentechnikfreie Ernährung und das Recht der Bäuerinnen und Bauern auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft muss umfassend gewährleistet werden. Der Anspruch auf freie Konsumwahl inkludiert das Recht auf Nahrungsmittel ohne jede GVO-Verunreinigung. - Die EU muss die Möglichkeit der weiteren Entwicklung von gentechnikfreien Regionen rechtlich absichern und das Selbstbestimmungsrecht über GVO anerkennen. - Die Europäische Lebensmittelagentur (EFSA) muss reformiert und eine fundierte, unabhängige GVO-Risikoforschung etabliert werden. Das derzeitige EU-Zulassungsverfahren für GVO muss dem Vorsorge-Prinzip untergeordnet werden, wie es in EU-Gesetzen und internationalen Abkommen wie dem Biosafety-Protokoll festgelegt ist. - Die Sicherung einer gentechnikfreien Landwirtschaft muss Vorrang vor neuen, risikobehafteten GVO-Anbau haben. Technische Standards sind so festzulegen, dass die Gentechnikfreiheit des ökologischen Landbaus und der konventionellen Erzeugung gewährleistet werden kann. - Die Erzeugung von gentechnikfreiem Saatgut muss so geregelt werden, dass jede Verunreinigung mit GVO vermieden wird. Dieser derzeit gültige österreichische Standard (österreichisches Reinheitsgebot für Saatgut), der auch vom europäischen Parlament unterstützt wird, muss zum EU Standard werden. Gentechnikfreie Anbaugebiete für Saatgut sind einzurichten. - Die Verursacher von GVO-Verunreinigungen - diejenigen die GVO anbauen und die Biotech-Unternehmen, die die Zulassung für die GVO halten - müssen für alle Schäden aus GVO und GVO-Kontaminationen verantwortlich und haftbar gemacht werden. - Der WTO-Bericht zum Gentechnik-Panel, sowie alle von der EU dazu in Auftrag gegebenen Expertisen sind der europäischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. (...) Wien, 5. April 2006, Plattform "Gentechnikfreie Regionen und Länder"

(Die Erklärung ist hier nicht vollständig dokumentiert. Der ganze Text findet sich im Internet, zum Beispiel unter: www.global2000.at/files/Wiener_Erklaerung.pdf)