Grundfalsche Welt
Von Freihandels- und Investitionsschutzabkommen profitieren nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Pharma-, Biotech- und Diagnostikindustrie - die Abkommen gefährden auch massiv Gesundheit, Versorgung und soziale Sicherungssysteme.
Wenn ein Unternehmen die Entscheidungen einer Regierung angreifen kann, die zum Schutz der Bevölkerung vor einem tödlichen Produkt getroffen wurden”, so Margaret Chan, Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), auf der letztjährigen Weltgesundheitsversammlung, „läuft aus meiner Sicht irgendetwas in dieser Welt grundsätzlich falsch.” Sie spielte damit auf Klagen an, die der Tabakkonzern Philip Morris gegen Uruguay und Australien eingereicht hat. Beide Staaten hatten Gesetze erlassen, die Aussehen und Gestaltung von Zigarettenschachteln regeln. Der weltgrößte Tabakkonzern sieht dadurch seine Gewinne beeinträchtigt und fordert Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe. Rechtliche Grundlage dafür sind bilaterale Investitionsschutzabkommen, die die beiden Staaten in den frühen 1990er Jahren mit der Schweiz beziehungsweise Hong Kong geschlossen haben, wo Philip Morris Niederlassungen besitzt.
Selbst wenn die beiden Schiedsgerichte, die über die Klagen entscheiden werden, die Forderungen des Tababkkonzerns abweisen sollten: Folgen für die Tabakregulierung und die öffentliche Gesundheit haben die Klagen schon heute. Auch Neuseeland beispielsweise plant die Einführung strengerer Regeln, wartet nun aber erst mal das Ergebnis der Streitfälle ab.
Nicht nur wegen solcher Klagemöglichkeiten gefährden Freihandels- und Investitionsschutzabkommen die Gesundheit. Mit Verträgen wie dem derzeit in der Prüfungs- und Übersetzungsphase befindlichen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der EU und Kanada oder der geplanten Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) mit den USA wird die ohnehin schon große Einflussnahme der Pharmalobby regelrecht institutionalisiert, die Versorgung mit Arzneimitteln kaum noch finanzierbar und Gesundheit zur bloßen Handelsware.
Während die WHO diese Gefahren erkannt hat, zeigen sich andere Akteure weniger besorgt - zum Beispiel die Bundesregierung, die weiterhin die Werbetrommel für TTIP und CETA rührt und Bedenken beiseite wischt - so etwa Ende Juli in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen. Dabei geraten gerade solidarische Gesundheitssysteme mit den Abkommen gehörig unter Druck: Pharmakonzerne könnten Staaten verklagen, wenn Obergrenzen für die Erstattung von Arzneimitteln ihre Profite einschränken, und private Versicherungsunternehmen könnten versuchen, gegen sozialpolitische Maßnahmen wie die Ausweitung der gesetzlichen Versicherungspflicht auf Besserverdienende vorzugehen. Gefährdet wird auch der Zugang zu neuen Medikamenten: mit der Angleichung des Patentrechtes, insbesondere der Verlängerung von Laufzeiten für Wirkstoffpatente, würden die für öffentliche Gesundheitssysteme bezahlbaren Nachahmerpräparate noch später auf den Markt kommen.
Unsere soeben erschienene Broschüre Bittere Medizin - Freihandel und Gesundheit, die kostenlos im GeN-Büro bestellt werden kann, enthält Beiträge von AutorInnen aus dem In- und Ausland, die die Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf die Gesundheitsversorgung analysieren. Im vorliegenden Heft beschränken wir uns auf Aspekte, die für GID-LeserInnen von besonderem Interesse sein dürften: Anne Bundschuh gibt einen Einblick in die Verhandlungen zu Biologicals und Biosimilars im TTIP, Deborah Gleeson und Ruth Lopert zeigen, warum diese Arzneimittel beinahe das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) zum Scheitern gebracht hätten, und Uta Wagenmann beschäftigt sich mit möglichen Auswirkungen des TTIP auf die Regulierung von Medizinprodukten und insbesondere von Gentests. BranchenvertreterInnen nehmen bei all diesen Themen massiv Einfluss auf die Verhandlungen - ganz besonders die Pharmaindustrie, wie der Beitrag von Pia Eberhardt belegt. Folgen von Freihandelsabkommen für die Gesundheitsversorgung in Ländern des Südens ist Thema bei Mareike Ahrens, Michael Butler umreißt die Auswirkungen von CETA auf das kanadische Gesundheitssystem, und Melinda St. Louis erzählt im Interview vom Widerstand gegen TTIP und TPP in den USA - wir hoffen, nicht nur ihr Bericht ermutigt GID-LeserInnen, die bittere Medizin des Freihandels nicht widerstandslos zu schlucken!
Eine in diesem Sinne inspirierende Lektüre wünscht
die GID-Redaktion
GID-Redaktion