Patentierung von Stammzellen?
Vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) steht aktuell ein Grundsatzurteil an: Es geht um die Frage, ob menschliche embryonale Stammzellen patentiert werden dürfen. Gegen das Urteil der Kammer wird es keine Einspruchsmöglichkeit mehr geben. Während des Verfahrens sind Stellungnahmen von dritter Seite aber ausdrücklich erwünscht.
Die Patentanmeldung (1) der Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) (2) betrifft eine Erfindung des US-amerikanischen Forschers James A. Thomson und beschreibt embryonale Stammzellen von Primaten. Der Patentanspruch erstreckt sich auch auf menschliche embryonale Stammzellen. Sie sind in dem Patent als Zellen charakterisiert, die sich in Kultur in undifferenziertem Zustand auch über mehr als ein Jahr hinweg vermehren und sich, je nach Kulturbedingungen, in Zellen aller drei Keimblätter (3) differenzieren können. Außerdem sind Methoden beschrieben, mit denen aus einem frühen embryonalen Zustand Stammzellen gewonnen und Stammzelllinien entwickelt werden können.
Rechtswidrige Ansprüche
Die Patentanmeldung wurde vom EPA zunächst geprüft und zurückgewiesen, da sie dem geltenden Recht des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) widerspricht. Bei der Prüfung wurde insbesondere bemängelt, dass der Antragsteller die Methode zur Isolierung von Stammzellen aus Embryonen patentieren lassen wollte, was gegen das im Europäischen Patentübereinkommen enthaltene Verbot der "Verwendung von Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" verstößt. WARF nahm die kritisierten Ansprüche daraufhin zurück und zog mit dem gekürzten Patentansprüchen vor die Beschwerdekammer des EPA. Beansprucht wurden immer noch die Zellkulturen: also alle embryonale Stammzellen von Menschen und anderen Primaten, welche die im Patentantrag beschriebenen Eigenschaften aufweisen.(4) Weil die Stammzellforschung an menschlichen embryonalen Stammzellen aber ein neues Fachgebiet betrifft, das ethische, wirtschaftliche und forschungspolitische Fragen aufwirft und die Entscheidung damit hohe politische Relevanz hat, wurde der Fall von der Technischen Beschwerdekammer an die Große Beschwerdekammer überwiesen.(5) Diese hat nun die Aufgabe, mit ihrem Urteil auch über die weitere Praxis im Umgang mit Patenten auf menschliche embryonale Stammzellen zu entscheiden. Bisher gibt es nur eine Entscheidung des EPA zu menschlichen embryonalen Stammzellen: Im Juli 2003 wurden in der Entscheidung zum so genannten "Edinburgh-Patent" (6) embryonale Stammzellen und jegliche Verfahren zu deren Gewinnung von der Patentierung ausgeschlossen. Ob diese Haltung weiterhin bestimmen bleibt, ist nun aber wieder offen: Mit der Weiterleitung des WARF-Patents an die Große Beschwerdekammer wurde die Frage, ob die Patentierung von menschlichen embryonalen Stammzellen und Stammzelllinien zugelassen wird, neu aufgeworfen. Die Große Beschwerdekammer muss sich im Wesentlichen mit folgenden Fragen auseinandersetzen:(7)
- Sind menschliche embryonale Stammzellen und deren Stammzelllinien patentierbare Erfindungen (falls die anderen Patentierungs-Voraussetzungen, wie Neuheit und erfinderische Tätigkeit, gegeben sind)?
- Sind solche Zellen patentierbar, wenn sie von anderen Quellen (zum Beispiel von vorhandenen Stammzelllinien) stammen, so dass kein Embryo getötet wird?
Was spricht gegen Patentierung?
Zur Urteilsfindung gibt es das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), die Biopatentrichtlinie (98/44/EG) und eine Entschließung des EU-Parlaments. Das EPÜ verbietet Patente, die gegen "die guten Sitten verstoßen" und schließt ausdrücklich Techniken aus, welche die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken beinhalten.(8) Auch nach der Biopatentrichtlinie gilt der Grundsatz, dass "der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich der Keimzellen ... nicht patentierbar ist". Diese Formulierung schließt auch Eizellen und Spermien mit ein. Eine entsprechende Entschließung hat das Europäische Parlament am 26. Oktober 2005 angenommen.(9) Darin wird ebenfalls die Patentierung von Keimzellen wie Spermien und Eizellen abgelehnt und bekräftigt, dass der Begriff "menschliches Lebewesen" die embryonale Phase mit einschließt und Forschungsinteressen nicht über die Würde des menschlichen Lebens gestellt werden dürfen. Das Parlament forderte ferner die Einrichtung eines Gremiums am EPA, das Patente, die ethisch heikel sind, vor der Erteilung überprüft. Davon abgesehen gibt es weitere Gründe, die gegen die Patentierung von Stammzellen sprechen: Erstens ist offensichtlich, dass Stammzellen keine Erfindung des Menschen sind. Werden embryonale Stammzellen patentiert, wird dadurch außerdem ein Anreiz gegeben, auf diesem Gebiet verwertungs- und marktbezogen weiterzuforschen und Embryonen zu zerstören. Das gilt übrigens genauso für Patente auf Stammzelllinien, denn diese werden ja direkt aus Stammzellen abgeleitet. Auch Zelllinien sind keine Erfindung. Entsprechend müssen auch die Methoden, die zu diesen Zelllinien führen unter das Patentierungsverbot fallen, so wie es im Fall "Edinburgh" entschieden worden ist.
Ethisch saubere ES-Zellen?
Seitdem das Thomson-Patent veröffentlicht wurde, hat sich die Stammzellforschung weiter entwickelt. Gerade ethische Einwände gegen die Verwendung menschlicher Embryonen haben manche Wissenschaftler auf neue Ideen gebracht. Neue Stammzellen sollen nun beispielsweise aus vorhandenen Stammzelllinien abgeleitet werden. Es gibt auch Versuche, Eizellen ohne Befruchtung, durch Zellverschmelzung zur Bildung eines "falschen" Embryos zu veranlassen. Doch all diese Ansätze greifen im Endeffekt auf lebensfähige Embryonen oder auf Eizellen zurück. Immer müssen Frauen Eizellen im Übermaß produzieren, auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit. Und selbst wenn nicht mehr direkt neue Embryonen verbraucht werden, setzt die Technik zur Gewinnung von Stammzelllinien voraus, dass zu einem früheren Zeitpunkt Embryonen zerstört wurden. Jede Patentierung von Verfahren und Erzeugnissen der embryonalen Stammzellforschung bedeutet eine Billigung und Belohnung der Embryonenzüchtung. Das war nicht der politische Wille des europäischen Gesetzgebers. Werden so genannte überzählige Embryonen verwendet, so wurden diese von Paaren für die Forschung gespendet. Daraus darf aber nicht automatisch abgeleitet werden, dass sie damit auch erlauben, dass aus ihren Embryonen Produkte werden, auf die irgendjemand Erfindungs- und Patentanspruch erheben kann.
Reine Auslegungssache?
Nach dem Patentrecht kann die Ausnahmeregelung in enger oder in weiter Auslegung praktiziert werden. Eine enge Auslegung bedeutet, dass nur das von der Patentierung ausgeschlossen ist, was wörtlich im EPÜ genannt ist, nämlich Embryonen und deren Verwendung zu industriellen oder kommerziellen Zwecken. Bei weiter Auslegung sind auch die Produkte der Embryonen, die Stammzellen und die Stammzelllinien mit eingeschlossen. Patente zielen auf Verwertung, auf Vermarktung, sie monopolisieren Nutzungsrechte. Patente auf Tiere, Pflanzen und Teile des Menschen sind unter anderem deshalb gesellschaftlich sehr umstritten. Das gilt in besonderem Maße für Patente, die auf eine Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner Teile hinauslaufen. Dies wäre bei der Patentierung von Stammzellen und Stammzelllinien der Fall, denn sie gehen im Entwicklungsprozess auf menschliche Embryonen oder Keimzellen zurück. Das EPA sollte die im Patentübereinkommen verankerten Ausnahmeregelungen daher immer weit auslegen. Die Versagung eines Patentes ist kein strafrechtliches Verbot, sie entzieht lediglich einen ökonomischen Anreiz. Die Anerkennung von Grenzen der Patentierung, der Monopole und der Vermarktungsmöglichkeiten ist im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und moralischer Grundsätze. Sie stärkt die gesellschaftliche Akzeptanz von Patenten. Sie gilt es auch zu wahren, wenn Forschungsprojekte mit nationalen oder EU-Geldern gefördert wurden oder werden.
Fußnoten
- WO 96/22362; EP 770125.
- WARF ist eine Stiftung, die sich um die Patentierung und Vermarktung von Forschungsergebnissen der Universität Wisconsin in Madison kümmert.
- Endo-, Meso-, Ektoderm.
- Link zur Akte dieses Patentes am EPA: www.ofi.epoline.org/view/GetDossier?dosnum=969035….
- Die Thomson-Beschwerde läuft unter Aktenzeichen G 2/06.
- EP695351.
- www.european-patent-office.org/epo/pubs/oj006/06_….
- www.european-patent-office.org/legal/epc/index_d….
- www.europarl.eu.int/omk/sipade3?SAME_LEVEL=1&LEVE… DE.
Ruth Tippe ist Sprecherin der Initiative Kein Patent auf Leben!
Briefaktion
Bis zum 15. Oktober 2006 kann jede und jeder einen so genannten amicus curiae-Brief beim EPA einreichen. Als Formulierungshilfe hat die Organisation Kein Patent auf Leben! einen Musterbrief formuliert. Bitte beteiligen Sie sich und schicken Sie den Brief an: Kein Patent auf Leben! Dr. Ruth Tippe Frohschammerstr. 14 80807 München oder per Fax an das Gen-ethische Netzwerk: Fax: 030/6841183 Die Briefe werden dann gesammelt übergeben. Briefe können auch per Fax (089-2399-4465) oder per Post direkt an das EPA geschickt werden: Europäisches Patentamt Erhardtstr. 27 80298 München
Kleines Lexikon zum EPA
Das Europäische Patentamt (EPA) erteilt Patente für alle Staaten, die dem Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) von 1977 beigetreten sind. Es ist das Exekutivorgan der Europäischen Patentorganisation (EPO), einer auf der Basis des EPÜ gegründeten zwischenstaatlichen Einrichtung und nicht wie man dem Namen nach vermuten könnte eine Einrichtung der Europäischen Union.
Das Europäische Patent Genauso wenig handelt es sich bei den Europäischen Patenten um Gemeinschaftspatente, die automatisch in ganz Europa oder der Europäischen Gemeinschaft Gültigkeit haben; vielmehr ermöglicht das EPA dem Antragsteller, in einem zentralisierten Verfahren ein Patent für mehrere Vertragsstaaten zu beantragen, in denen für die Erfindung Schutz begehrt wird. Diese Staaten müssen in der Patentschrift explizit benannt werden und für jeden Staat muss eine Benennungsgebühr entrichtet werden.
Prüfungsverfahren Nach der Einreichung der Unterlagen durch den Antragssteller durchläuft ein Patent beim EPA verschiedene Instanzen: Zunächst überprüft das Patentamt, ob die Anmeldung die formalen Voraussetzungen erfüllt. Parallel wird eine Recherche zum Stand der Technik begonnen, die sich auch über mehrere Jahre hinziehen kann. 18 Monate nach der Anmeldung wird der Patentantrag veröffentlicht. Damit genießt der Antragsteller einen vorläufigen Schutz: Wenn jemand seine Erfindung benutzt, kann er eine Entschädigung verlangen. Liegt der Recherchebericht zum Stand der Technik vor, wird überprüft, ob die Patentanmeldung den inhaltlichen Voraussetzungen für die Patentierung (wie Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit) genügt. Das Prüfungsverfahren kann zwischen einem und acht Jahren dauern.
Erteilung Rund ein Drittel aller Anmeldungen kommt zur Erteilung. Dann muss der Antragsteller innerhalb von vier Monaten die anfallenden Erteilungsgebühren entrichten und die Patentschrift wird inklusive eines Hinweises auf die Erteilung des Patents veröffentlicht. Ab diesem Zeitpunkt hat der Patentinhaber den vollen Rechtsschutz. Das Europäische Patent zerfällt dann allerdings wieder in nationale Patente das heißt, in jenen Staaten, in denen das Monopol beansprucht worden ist, müssen nun weitere Verfahren zum Beispiel die Übersetzung in die Landessprache durchlaufen werden.
Das Einspruchsverfahren Innerhalb von neun Monaten nach Veröffentlichung kann jeder beim EPA Einspruch gegen das erteilte Patent erheben mit der Begründung, dass das Patent bestimmte formale oder inhaltliche Bedingungen nicht erfüllt. Von dieser Möglichkeit wird bei sechs Prozent der erteilten Patente Gebrauch gemacht. Ein Einspruch wird zunächst schriftlich geführt, mündet jedoch meist in einer mündlichen Verhandlung, aufgrund derer dann die Einspruchsabteilung des EPA eine Entscheidung trifft. Sie kann einen Einspruch generell zurückweisen, das Patent widerrufen oder die Reichweite eines Patents begrenzen. Vom Einspruch bis zur Entscheidung sind normalerweise weitere zwei bis vier Jahre vergangen.
Beschwerde Gegen Entscheidungen der Einspruchsabteilung kann wiederum Beschwerde eingelegt werden allerdings nur von solchen Personen, die am bisherigen Verfahren beteiligt waren. Zuständig ist nun die Technische Beschwerdekammer des EPA, die vom EPA-Präsidenten weisungsunabhängig ist. Normalerweise wird hier eine endgültige Entscheidung getroffen. Spezielle Fälle von grundsätzlicher Bedeutung werden jedoch weitergeleitet an die Große Beschwerdekammer. Gegen die Entscheidung dieser Kammer gibt es keine weiteren Einspruchsmöglichkeiten.
Von der Prüfung in die Beschwerde In seltenen Fällen kann der Anmelder direkt aus der Prüfung - ohne Erteilung des Patentes - vor die Technische Beschwerdekammer gehen. Dies betrifft vor allem Fälle, bei denen der Patentanmelder die gängige Erteilungspraxis ablehnt und eine neue Grundsatzentscheidung herbeiführen will. Die hier beschriebene Patentanmeldung von WARF nahm diesen Weg.
(Monika Feuerlein, Ruth Tippe)
Quellen: EPA, Wikipedia