People's Caravan: Nahrungsmittelsouveränität!

Im September fand in Asien und Europa die "People's Caravan for Food Sovereignty" statt. Mit insgesamt etwa vierzig Veranstaltungen stellten VertreterInnen einer breiten NGO-Koalition ihre Forderungen vor. Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft ist eines von mehreren zentralen Themen. Der GID hatte Gelegenheit, mit drei asiatischen Gästen des europäischen Zweiges der Caravan zu sprechen

Schon vor vier Jahren gab es eine People's Caravan. Damals war das Thema die Nahrungsmittelsicherheit im Sinne der Produktion von gesunden Nahrungsmitteln ohne Gifte. Wie ist es in diesem Jahr?

IF: Bei der letzten Caravan im Jahre 2000 war die Verwendung von Pestiziden ein sehr wichtiges Thema, der Titel damals war "Citizens on the Move for Land and Food without Poisons".(1) Dieses Mal sind die Themen sehr viel grundsätzlicher. Es hatte sich ergeben, dass es notwendig ist, globale Themen zu besetzen, die das Leben der Menschen beeinflussen, so zum Beispiel die Forderung, die Welthandelsorganisation aus der Landwirtschaft heraus zu halten. Dieser Punkt ist für uns sehr wichtig, weil es im nächsten Jahr ein Treffen der WTO in Hongkong geben wird. Das heißt, die Caravan ist in diesem Sinne auch auch eine Mobilisierung für den Protest des nächsten Jahres. Das Interesse an der Caravan ist phantastisch gewesen und so ist es gelungen, in diesem Jahr eine Koalition von mehr als zweihundert Organisationen zusammen zu bringen. Die Gruppen vertreten Bauern und Fischer, es sind Frauen-Organisationen und andere beteiligt, sie kommen aus dreizehn verschiedenen asiatischen Ländern. Hinzu kommen Gruppen aus drei europäischen Ländern: aus Deutschland, Frankreich und Belgien.

Was passiert auf den Veranstaltungen der Caravan?

IF: Das Konzept sieht vor, dass es eine bunte Mischung von Aktivitäten geben wird oder bereits gegeben hat.(2) Dazu zählen Bildungsveranstaltungen und Seminare, Workshops und Foren, Demonstrationen und andere Formen des Protestes zur Sicherung der Nahrungsmittel-Souveränität. Zentrales Thema ist der selbstständige Zugang zu Land und zu Nahrungsmitteln. Analysiert man, wer von Hunger betroffen ist, stellt man immer wieder fest, dass es sehr häufig Menschen sind, die selbst in der Landwirtschaft arbeiten. In Kapar (Selangor, Malaysia) zum Beispiel machten wir eine Veranstaltung über die Rechte der Farm-Arbeiter und -Arbeiterinnen, es kamen etwa einhundert Menschen aus der Umgebung.

Wie müssen sich unsere LeserInnen die Caravan vorstellen? Es ist ja nicht so, dass zehntausende von Menschen durch Asien wandern...

IF: Tatsächlich reisen nur wenige Repräsentanten der Caravan von Ort zu Ort. Die meisten kommen nur zu den Veranstaltungen in ihrer Region. Es gibt eine Zeremonie, die bei den meisten Stationen abgehalten wird, das ist die Weitergabe von Saatgut und von Erde aus der jeweiligen Region. Bei den einzelnen Treffen und Veranstaltungen kann es auch zu Verbindungen zwischen den Stationen oder Ländern kommen. Wenn ich ein Beispiel geben darf: Wir haben in Malaysia eine Untersuchung gemacht mit den Frauen, die auf den Feldern arbeiten und die Pestizide einsetzen (dort sind es zumeist Frauen). Bei dem eingesetzten Pestizid handelt es sich oft um Paraquat. Nach unserer Untersuchung und einer großen Kampagne gegen den Einsatz ist es uns gelungen, dass die Regierung ein Verbot für Paraquat ausgesprochen hat. Syngenta, der Hauptproduzent und Verkäufer von Paraquat hat seine Aktivitäten dann nach China verlegt. China ist nun der zweitgrößte Produzent und Verwender von Pestiziden, insbesondere von Paraquat. So bin ich dann nach China in die Region Yunnan gefahren, um mich dort mit Landwirten und Organisationen, mit Menschen aus den Universitäten und anderen zu treffen und über die Wirkung von Pestiziden zu diskutieren. Was dabei rauskam ist, dass es im nächsten Jahr ein Beobachtungsprogramm geben wird, wie die Pestizide wirken. Die Gesundheit der Farmer, aber auch das Verhalten der Unternehmen soll untersucht werden: Wie machen sie Werbung, welche Informationen werden weitergegeben und so fort. Wir werden das Thema mit der Caravan auch nach Indonesien bringen, wo Paraquat vermehrt eingesetzt wird. Außerdem gibt es im September ein Treffen zur Rotterdam-Konvention, wo es um die Erneuerung der so genannten PIC-Liste (3) gehen wird. Wir haben die Regierung von Malaysia aufgefordert, Paraquat auf die PIC-Liste setzen zu lassen. Damit würde zum Beispiel Syngenta umfangreiche Informationen bereitstellen müssen, bevor Länder entscheiden, ob sie Paraquat zulassen oder nicht.

Welche Bedeutung hat der europäische Teil der Caravan?

IF: Gestern traf ich eine Kollegin aus Argentinien, die erzählte, dass auch dort sehr viel Paraquat eingesetzt wird. So ergibt sich die Möglichkeit, Informationen auszutauschen und Kampagnen zu machen, Ideen weiter zu geben oder gemeinsame Aktionen zu planen. Oder auch das Zusammentreffen mit Lovemore Simwanda aus Sambia war sehr wichtig. Wir wollen versuchen, einen Austausch von Saatgut zwischen den Regionen [dem südlichen Afrika und Asien] zu organisieren. Ein anderer wichtiger Punkt, der uns auch bei der Entwicklung einer Konvention über Nahrungssouveränität (4) weiterhelfen wird, ist die Frage von Nahrungsmittelhilfslieferungen mit gentechnisch veränderten Bestandteilen und ob, oder besser unter welchen Bedingungen, diese abgelehnt werden können. Nahrungsmittelhilfe ohne Gentechnik ist in dieser geplanten Konvention ein kritischer Punkt. Gerade das Thema Hunger ist in der letzten Zeit in Asien wieder wichtiger geworden. Das werten wir als eine Folge der Globalisierung, wie sie unter den WTO-Bedingungen stattfindet. GT: Und es stärkt die Kampagne, wenn die Leute wissen, dass es in den anderen Ländern ähnliche Probleme gibt. Die Leute wissen jetzt Bescheid über die Probleme, die Bauern mit gentechnisch veränderter Baumwolle in Indien oder anderen Ländern haben, wie zum Beispiel auch den Philippinen. IF: Wichtig für die Caravan wird auch der Blick auf die Konzerne sein, die den Verkauf von Agrarchemikalien in Asien vorantreiben. Das steht im Zusammenhang mit der WTO, weil die Konzerne von den Regelungen der WTO profitieren und bei den Verhandlungen, auf den Treffen der WTO, sehr präsent sind.

Sie sprachen das Thema Hunger und Hungerhilfe an. Was gibt es für Erwartungen an Nahrungsmittelhilfe?

GT: Das Thema der Nahrungsmittelhilfe steht in engem Zusammenhang mit der Art, mit der auch in anderen Bereichen - unabhängig von gentechnisch verändert oder gentechnikfrei - die Produkte mit Dumping-Preisen in die Märkte gebracht werden. IF: Die Nahrungsmittelhilfe muss in Verbindung stehen mit einem Prozess, der darauf hinausläuft, die Regionen zu stärken. Sie darf nicht in eine Abhängigkeit führen. Die Nahrungsmittelhilfen müssen die Rechte der Gemeinschaften respektieren, die diese Hilfen bekommen, und sie sollten zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Entwicklung der Regionen und Gemeinschaften führen, so dass diese ihre eigenen Nahrungsmittel produzieren können.

Sie haben erwähnt, dass die Menschen keinen Zugang zu Land haben und dass sie nicht selbst entscheiden können, welches Saatgut eingesetzt werden wird. Können Sie in kurzen Zügen erläutern, wie es dazu kommt? Wer entscheidet, wer hat den Zugang zum Land?

GT: In den Philippinen sind siebzig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Der allergrößte Teil des Landes, auf dem diese Farmer arbeiten, gehört jedoch nur einer kleinen Gruppe von etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Diese wiederum schließen Kooperationen mit großen - oft transnationalen - Firmen. Zum Beispiel verkauft Cargill auf den Philippinen das Saatgut für Monsanto. Und diese Firma schließt dann ein Abkommen mit einem großen Landbesitzer, in diesem Fall ist das Ayalla. So wird dann der Farmer die Pflanzen anbauen, die der Landbesitzer ihm vorschreibt. Dies ist in der Regel Reis. Der größte Anteil landwirtschaftlicher Aktivitäten auf den Philippinen ist jetzt Export-orientiert, so dass wir nicht in der Lage sind, den eigenen Bedarf an Reis zu bedienen. Das heißt, der Reis, den wir essen, wird importiert! IF: Als ich jetzt in China war, erzählten mir die Farmer, dass sie nun das Land mit Zierblumen bestellen - das heißt, die Flächen, die bisher zur Produktion von Reis da waren. Diese Veränderung hängt zusammen mit dem Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO). Das Land, das nach wie vor staatlich ist, wird vertraglich an die Produktion der Zierblumen gebunden, die ihrerseits für den Export - zum Beispiel nach Europa - bestimmt sind. Die Farmer müssen jetzt Nahrungsmittel kaufen, was sie nie getan haben. Die Farmer werden zu landwirtschaftlichen Arbeitern, die nicht mehr entscheiden können, was angebaut wird. Sie arbeiten für den Export von verschiedenen landwirtschaftlichen Produkten. Das kann Reis sein, den sie aber nicht konsumieren dürfen, weil die Ernte Teil eines Vertrages ist - und diesem Vertrag entsprechend dem Export vorbehalten ist. Eine solche Entwicklung kann man in verschiedenen Ländern Asiens beobachten: in Vietnam, in Indien, in Sri Lanka... Sri Lanka ist ein besonders krasses Beispiel: Ehemals mit Reis bebaute Flächen sind umgewandelt worden zur Produktion von Erdbeeren für den Export.

Kommen wir zu der so genannten grünen Revolution, von der immer wieder behauptet wird, sie habe den Hunger in Asien deutlich gesenkt. Was ist Ihre Meinung dazu?

IF: Die grüne Revolution hat nie gehalten, was sie versprochen hat. Gehen wir dreißig Jahre zurück, dann wurde damals gesagt, wir würden - in Asien - mit den Ergebnissen der grünen Revolution erreichen, dass wir selbst unsere Nahrungsmittel produzieren können. Aber das ist nie eingetroffen, weil die grüne Revolution nie die fundamentalen Probleme angesprochen hat, wie zum Beispiel die Verteilung des Landes. Die grüne Revolution hat immer nur die Technologien bereit gestellt, mit denen höhere Erträge erzielt werden könnten. Doch der Bedarf der kleinen Farmer hat nie eine Rolle gespielt. Vielmehr hat es uns in die Situation gebracht, dass wir durch die neuen Sorten einen immensen Bedarf an externen Hilfsmitteln, mineralische Dünger und Pestizide, haben. Diese werden - selbstredend - von den bekannten großen Agrochemie-Firmen angeboten. Auch hat die Verschuldung der Länder in Asien erheblich zugenommen und ist mittlerweile so hoch wie nie zuvor. Das kann man in Indonesien oder auch den Philippinen und vielen anderen asiatischen Ländern sehen. KW: Ein aktuelles Beispiel in diesem Zusammenhang ist auch die Kampagne für Hybrid-Reis, die derzeit vom IRRI (5) durchgeführt wird. Obwohl die eigenen Untersuchungen des IRRI gezeigt haben, dass der Hybrid-Reis keinen Nutzen für kleine Farmer bringt, plädieren die Vertreter für seine Anwendung. Daran erkennt man auch, dass die Politik des IRRI nicht auf die kleinen Farmer zielt, sondern vielmehr die großen Firmen im Blick hat. Und: Die Zahlen, die zum Rückgang des Hungers in Asien durch die grüne Revolution häufig präsentiert werden, sind sehr interessant: Nimmt man aus diesen Zahlen China heraus, dann erhält man eine Zunahme von hungernden Menschen in Asien. Und China ist speziell, weil es in China - im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern - einen Prozess gab, bei dem eine große Zahl von kleinen Farmern auf eigenen Flächen eigene Pflanzen anbauen konnte (ungeachtet der oben beschriebenen Entwicklungen nach Chinas Eintritt in die WTO).

Man hört immer wieder, dass Menschen wegen der finanziellen Belastungen Selbstmord begehen. Was ist dran an den Geschichten?

IF: Es ist so, dass die Menschen auf Grund der neuen Situation in eine Schuldenfalle getrieben werden. Wenn sie nicht mehr nach den traditionellen Methoden Landwirtschaft machen können, sondern viel stärker von Betriebsmitteln abhängig sind, das heißt Saatgut und zum Beispiel Pestizide kaufen müssen. Gerade in Indien haben in den letzten Jahren eine Reihe von Bauern die Konsequenz gezogen, Selbstmord zu begehen.

Eine letzte Frage: In Südamerika gab es in den letzten Jahren eine neue Bewegung, in der die Landlosen einfach losgegangen sind, um die Felder zu besetzen, sie haben sich das Land genommen. Gibt es ähnliche Strömungen in Asien?

IF: Tatsächlich haben sich auch in verschiedenen Ländern Asiens Initiativen für diesen Weg entschieden. Besonders in Indien hat diese Art der Aktion in einigen Regionen stattgefunden, vor allem in Andra Pradesh. Aber auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Thailand nimmt diese Art des Widerstandes definitiv zu.

Das Interview führte Christof Potthof

Fußnoten:

  1. "Citizens on the Move for Land and Food without Poisons" (etwa: BürgerInnen unterwegs für Land und Essen ohne Gifte): siehe zum Beispiel: www.panap.net/caravan/history.cfm
  2. Das Interview wurde am 14.09.04 in Köln geführt. Anlässlich des ABIC2004-Kongresses der Gen- und Biotech-Lobby fanden am 12. und 13.09. kritische Veranstaltungen statt.
  3. Die Rotterdam-Konvention beinhaltet eine Liste von Pestiziden und anderen chemischen Stoffen, bei deren Grenzübertritt der Exporteur gewisse Mindest-Informationen bereitstellen muss, um dem Zielland eine informierte Zustimmung (Prior Informed Consent - PIC) zu ermöglichen. Entsprechend der niederländischen Stadt ihrer Verabschiedung wird sie Rotterdam-Konvention genannt. www.pic.int
  4. Im Rahmen der Caravan wird ein Entwurf für eine Konvention über Nahrungsmittelsouveränität diskutiert, die voraussichtlich 2006 verabschiedet werden soll.
  5. Das IRRI (International Rice Research Institute) auf den Philippinen ist eine nicht-kommerzielle Forschungseinrichtung, die in erster Linie den Reisfarmern und -konsumenten mit einem niedrigen Einkommen zugute kommen soll (www.irri.org).
Erschienen in
GID-Ausgabe
166
vom Oktober 2004
Seite 7 - 9
Dr. Giovanni Tapang arbeitet für AGHAM ( Philippinen), eine Organisation, die sich für die Kooperation von Forschern und Bauern einsetzt.

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Dr. Irene Fernandez ist Mitarbeiterin von Tenaganita, einem Frauennetzwerk aus Malaysia. Sie ist engagiert in der People's Caravan for Food Sovereignty, die im September asienweit in 13 Ländern stattfand.

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Karsten Wolff, Geograph und Agrarwissenschaftler, hat bis März 2010 als Berater für die südindische Organisation THANAL gearbeitet, die auch Mitglied in der Koalition für ein gentechnikfreies Indien ist.

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