Aufgeklärte Vernunft gegen christlichen Fundamentalismus?
Die Achillesferse der bioethischen Skeptiker in der PID-Diskussion
In der Präimplantationsdiagnostik (PID)-Diskussion hat sich wieder einmal die Achillesferse der bioethischen Skeptiker bemerkbar gemacht. Demnächst wird das Embryonenschutzgesetz aufgerollt werden und es ist Gelegenheit, aus Fehlern zu lernen.
Mutige Entscheidung“. „Bundestag setzt reproduktive Rechte um“. „Endlich ein Ausweg!“. „Im Zweifel für die Eltern“. „Es wird keine Designer-Babys geben“. Das sind nur einige wenige Schlagzeilen, mit denen die deutsche Presse die Entscheidung des Deutschen Bundestags dafür lobte, der „gefühlten“ Pro-PID-Stimmung in der Bevölkerung Rechnung getragen zu haben. Und sie sparte auch nicht mit menschelnden Einblicken in die Gemütslage der „bis zu Tränen gerührten“ Abgeordneten, die es sich bei dieser Abstimmung „nicht einfach gemacht“ hätten. Einzig die Nachrichtenagentur Reuters muss auf einer anderen Veranstaltung gewesen sein, denn sie meldete am 7.11.2011 um 15.34 Uhr, der Bundestag habe „mehrheitlich für ein striktes Verbot der PID“ gestimmt.1 Wo sich in der Journaille kritische Stimmen erhoben, nahmen sie ausschließlich Bezug auf Vertreter der Kirchen: Vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, einem erklärten PID-Gegner, bis hin zu EKD-Ratspräsident Nikolaus Schneider, der zwar nicht ganz grundsätzlich gegen die PID plädiert hatte, sich aber etwas engere Grenzen gewünscht hätte.
Polarisierung im Vorfeld der Abstimmung
Das Schwarz-Weiß-Bild, das nach dem „schwarzen Tag für die Bioethik“ gemalt wurde, ist nicht zufällig. Denn tatsächlich hatten sich die Lager in den Monaten, nachdem der Bundesgerichtshof sein folgenreiches PID-Urteil 2 verkündet hatte, scheinbar säuberlich sortiert: Auf der einen Seite diejenigen, die sich als Fighter für die reproduktiven Rechte der Eltern und deren Selbstbestimmungsrecht stilisierten, auf der anderen Seite die Lebensschutzfraktion, die in der beseligenden Verschmelzung von Samen und Eizelle den Beginn der göttlichen Schöpfung erkennt und deshalb nicht nur die Bastelei an Embryonen verboten, sondern am liebsten gleich auch das Recht auf Abtreibung rückgängig gemacht sehen möchte. Aus dieser Perspektive erscheint die Bundestagsentscheidung wie der Sieg der aufgeklärten Vernunft, die die Rechte des Individuums gegen alle fundamentalistische Willkür verteidigt. Dass die katholischen Bischöfe kurz vor der Bundestagsabstimmung von der Kanzel herab noch einmal ihr gesamtes Gewicht in die Wagschale warfen und selbst fragwürdige Vergleiche nicht scheuten 3, komplettierte den Eindruck, dass man als PID-Gegner entweder christlichen Prämissen folgt oder als „Betroffener“ spricht - zum Beispiel, weil man sich als behinderter Mensch nicht ausgesondert sehen möchte. Interessant ist zunächst einmal, dass es im öffentlichen Diskurs offenbar unterschiedliche Wertungen von „Betroffensein“ gibt: Denn ist es nicht vor allem das Leid der „betroffenen“ Paare, das die PID-Befürworter vor sich hertragen und das die Freigabe von Tests an Embryonen legitimiert? Und warum wiegt das sicher nicht abstreitbare Leid dieser Wenigen mehr als der Schmerz der vielen Behinderten, die sich angesichts der PID-Entscheidung fragen müssen, ob sie künftig noch ein Lebensrecht in diesem Land haben? Zum zweiten ist bemerkenswert, dass, wer sich als „säkularer“ PID-Gegner positionieren will, ohne sofort der Lebensschutzfraktion zugeschlagen zu werden, im Namen dieser zweiten Betroffenengruppe - also der Behinderten - sprechen und gegen das von den Befürwortern in Anschlag gebrachte Selbstbestimmungsrecht andere Rechtsgüter, zum Beispiel das Antidiskriminierungsgebot, setzen muss.4 Bioethische Fragen aber von konkret Betroffenen abhängig zu machen, ist fast so problematisch wie öffentlichen Stimmungen nachzugeben. Das führt zu Hierarchisierungen und in Abwägungszwänge von Gruppeninteressen, die den Kern der Sache verschleiern.
Ethik jenseits von Lebensschützertum
In der PID-Debatte allerdings war wieder einmal zu beobachten, wie schwer es überhaupt ist, dem Gravitationsfeld christlicher Begründungszusammenhänge zu entkommen und eigenständig zu argumentieren. Ein symptomatisches Beispiel ist das Sondervotum der ausgesprochen großen Minderheit des Deutschen Ethikrats vom März 2011.5 Es stellt zwar, mustergültig belegt, die Argumente bereit, die über alle Lebensschutzargumente hinaus eine skeptische Beurteilung der PID nahelegen: Die besondere Verantwortungsbeziehung der Eltern gegenüber dem Embryo, der vor dem „selektiven Blick“ der Gesellschaft geschützt werden müsse; die Gefahr, dass sich die Anwendungsbereiche der PID immer weiter ausweiten könnten; die Folgen, die die Zulassung der PID für das Embryonenschutzgesetz hätte und nicht zuletzt die gesellschaftspolitischen Auswirkungen. Doch auch das Minderheitenvotum basiert - aus nachvollziehbaren Koalitionserwägungen im Rat - auf den Annahmen zum moralischen Status und Schutz des Embryos, selbst wenn der Schwangerschaftskonflikt dezidiert gegen die Entscheidungssituation bei der PID abgegrenzt wird.6 Dass sich die PID-Befürworter im Bundestag durchsetzen konnten, ist eine Folge davon, dass es ihnen gelang, auch die jenseits von Embryonenschutz und christlichen Werten argumentierenden Skeptiker unter Ideologieverdacht zu stellen. Das funktionierte auch deshalb, weil diese, um Anschlussfähigkeit bemüht, Lebensschutzargumente und Gruppeninteressen in der Auseinandersetzung miteinander vermengten und die Behinderten - gewollt oder nicht - als Betroffenengruppe instrumentalisierten. Diese wog jedoch, obwohl zahlenmäßig ungleich größer, am Ende weniger als die Eltern, die in der PID eine Hoffnung sehen und von Fortpflanzungsmedizinern, die mittels der PID den Reproduktionsmarkt erweitern wollen, ihrerseits vor den Wagen gespannt werden. Diese durchaus vergleichbare strategische Ausrichtung, die auf der öffentlichen Bühne darüber hinaus mit „realen Betroffenen“ operierte, weil Embryonen nun mal nicht auftrittsfähig sind, hinterlässt im Nachhinein einen schalen Geschmack.
...und wie weiter?
Dass die PID das Einfallstor werden würde, um das Embryonenschutzgesetz (ESchG) aufzurollen, wurde vereinzelt schon in der 2004 erheblich profunder geführten PID-Debatte vermutet und in den letzten Monaten als Tatsache konstatiert. Die Ethikrätin Ulrike Riedel schrieb in Bezug auf den nun verabschiedeten Flach-Hintze-Entwurf von einem „interessegeleiteten Ignorieren von Wortlaut und Ziel des Embryonenschutzgesetzes“.7 Und tatsächlich lässt der „Focus“ am Tage der Abstimmung den Münchner Reproduktionsmediziner Markus Kupka auftreten: „Es gibt so viele Bereiche, in denen wir als Ärzte und in der Wissenschaft durch das Embryonenschutzgesetz sehr beeinträchtigt sind“, verkündet er und wird dann sehr deutlich: „Wir dürfen keine Embryonen zur Adoption freigeben oder an ihnen forschen.“8
Neue Begehrlichkeiten
Dann geht es also doch gar nicht um das Leid der wenigen betroffenen Paare, zu deren Entlastung dieses Gesetz angeblich gemacht wurde? Sondern vielleicht eher um die überzähligen Eier, die bei der PID nun anfallen und mit denen, so wird demnächst argumentiert werden, ja etwas „Sinnvolles“ angestellt werden muss, statt sie nutzlos und teuer zu konservieren? Nachdem der Gesetzgeber A gesagt und die PID erlaubt hat, muss er nun auch B sagen, nicht wahr? Wenn das ESchG ohnehin geändert werden muss, warum es also nicht gleich ganz aus den Angeln heben? Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CDU), erwartet jedenfalls seine baldige Novellierung.9 Was die noch ausstehende Ausführungsverordnung zur PID betrifft, blickt er skeptisch in die Zukunft: Die Verordnung, vermutet er, werde das meiste der Ethikkommission überlassen müssen, etwa die Frage, „was eine schwere Behinderung ist“. Zöller glaubt, dass „die PID künftig zum Standard bei der künstlichen Befruchtung“ gehören wird und die dabei anfallenden Nebenbefunde zu einem großen Problem für Ärzte und Betroffene werden. Der für Zynismus eigentlich nicht bekannte Politiker weist dabei auf eine besonders bittere Pointe hin: In der Ethikkommission, die die Kriterien für die PID erarbeitet, sollen wünschenswerterweise auch Vertreter der Lebenshilfe oder aus dem Behindertenrat sitzen: „Menschen mit Behinderung, die nach dem PID-Gesetz eigentlich gar nicht auf der Welt wären.“
- 1Bundestag für striktes Verbot von Gentests an Embryonen, Reuters 07.07.11, 15:34 Uhr.
- 2BGH/Präimplantationsdiagostik AZ: 5 StR 386/09: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsp….
- 3Im Domradio verglich der Münsteraner Bischof Felix Genn seine Situation mit dem Kampf Kardinal von Galens gegen die Nazis. Vgl. Es wird Leben getötet. In: Domradio vom 05.07.11.
- 4So argumentiert etwa Oliver Tolmein in seinem FAZ-Blog vom 08.07.11.
- 5Präimplantationsdiagnostik. Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, 08.03.11.
- 6Einen Präzedenzfall, der die politisch-pragmatischen Koalitionen aufbrach, gab es im Nationalen Ethikrat im Jahre 2004 anlässlich der Stellungnahme zum Forschungs-Klonen: Damals lieferten die Klongegner zwei verschiedene Voten ab, die erkennen ließen, dass der Dissens auf das Lebensschutzkonzept zurückzuführen war.
- 7Vgl. Ulrike Riedel: Man wird mehr und noch mehr Embryonen brauchen. In: FAZ, 01.07.11.
- 8PID-Einigung: Chance auf ein gesundes Baby. In: Focus online, 07.07.11.
- 9Gentests an Embryonen - wird der Mensch zum Ersatzteillager? Interview mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Wolfgang Zöller. In: Der Westen, 18.07.11.
Ulrike Baureithel ist freie Journalistin und Lehrbeauftragte an der HU Berlin. Sie arbeitet seit 1990 unter anderem im Bereich Bioethik und Reproduktionstechnologie.