Warum überhaupt Kritik am neuen Test?

Selektion als gesellschaftlicher Konsens?

Der neue Bluttest, der eine risikolose frühe Diagnose der Trisomie 21 ermöglicht, scheint nur ein weiterer, logischer Schritt in der Entwicklung der Pränataldiagnostik zu sein. Tatsächlich muss aber an dieser Stelle die Frage, ob diese Art der Selektion gesellschaftlicher Konsens ist, dringend neu gestellt werden.

Der neue Test verspricht, die bisher schon geübte Praxis pränataler Diagnosen für das Vorliegen von Trisomien risikolos für „gesunde“ Embryonen und angenehmer für die Schwangeren zu gestalten, als es bisher invasive Untersuchungen wie Fruchtwasseruntersuchung oder Chorionzottenbiopsie erlauben. Und er verspricht, schon früh in der Schwangerschaft definitive Diagnosen zu ermöglichen - statt vage Risikoberechnungen, wie sie derzeit im ersten Schwangerschaftsdrittel via Bluttest und Ultraschall angeboten werden. Warum also lohnt es sich überhaupt, die Einführung dieses Testes zu kommentieren? Wenn wir annehmen, dass es sinnvoll ist, möglichst alle genetischen Abweichungen so früh wie möglich in der Schwangerschaft festzustellen, ist dieser Test nur ein konsequenter Schritt auf dem Weg zu einer durch-ge- screenten Schwangerschaft. Aber: Ist diese Art der vorgeburtlichen Selektion tatsächlich gesellschaftlicher Konsens? Die bisherige Entwicklung der Pränataldiagnostik folgt zwar dieser Logik, die Frage ist in letzter Konsequenz aber nie zu Ende diskutiert worden.

Die Politik hat die Verantwortung den ÄrztInnen zugeschoben

Mit der Neuregelung des Paragraphen 218 im Jahr 1995 ist die sogenannte „embryopathische“ Indikation - auch auf Druck der Behindertenrechtsbewegung - abgeschafft worden. Der Gesetzgeber wollte also damals explizit ausschließen, dass die zu erwartende Behinderung eines Kindes automatisch eine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch sein kann. Stattdessen wurde in der medizinischen Indikation formuliert, dass ein Abbruch durchgeführt werden kann, „um die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden“. Die Politik hat sich so um eine klare Haltung zur Frage der selektiven Abbrüche herumgedrückt, indem sie die Verantwortung scheinbar der Frau oder dem Paar überlässt. De facto liegt die Entscheidung jedoch weiter bei den ÄrztInnen: Zwar gibt es keine „Liste“ der Behinderungen oder Fehlbildungen, die eine Fortführung der Schwangerschaft für die Frau unzumutbar erscheinen lassen. Dennoch wird eine Schwangere eher eine ÄrztIn finden, die ihr eine medizinische Indikation für einen Abbruch ausstellt, wenn bestimmte genetische Abweichungen vorliegen als wenn eine Lippen-Kiefer-Daumen-Spalte beim Kind diagnostiziert wird. Die medizinische Indikation ist somit auch heute in den allermeisten Fällen eine „embryopathische“; aber Frauen haben kein „Recht“ auf einen Abbruch aus eugenischen Gründen, sondern sind auf Beurteilung ihrer Gesamtsituation durch ÄrztInnen angewiesen.

Was würde sich durch die Einführung des Tests ändern?

Heute bleibt es noch ein bisschen dem Zufall überlassen, wer wann Pränataldiagnostik in Anspruch nimmt. Schwangere mit bestimmten „Risiken“, also einem Alter über 35 Jahren, bestimmten Vorerkrankungen oder Fehlgeburten in ihrer Vorgeschichte werden sicher häufiger von ihrer GynäkologIn auf diese Untersuchung aufmerksam gemacht oder fragen von sich aus danach. Aber auch junge Erstschwangere entscheiden sich für das Ersttrimester-Screening; manche nutzen den Ultraschall auch als eine Art „Babyfernsehen“. Frauen sind heute zwar deutlich besser informiert als vor 20 Jahren, wirklich durchdacht haben aber die wenigsten die Konsequenzen eines auffälligen Ergebnisses. Da in über 95 Prozent der Fälle das Ergebnis unauffällig ist, sehen die allermeisten diese Untersuchungen als nette „Zusatzsicherheit“ an. Schwierig wird es erst bei einem auffälligen Befund, weil innerhalb sehr kurzer Zeit dann weitreichende Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn der Bluttest als Screening-Untersuchung möglich wird - und es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass das nicht so kommt - werden sich wohl kaum noch Frauen oder Paare einer solchen Untersuchung verweigern. Schließlich stellen sich gerade am Anfang auch bei erwünschten und geplanten Schwangerschaften viele Unsicherheiten ein: Passt es jetzt wirklich gerade zu meiner Lebenssituation? Traue ich es mir tatsächlich zu, (noch) ein Kind zu bekommen? Wenn in dieser Phase die Diagnose „Down-Syndrom“ oder eine andere genetische Besonderheit diagnostiziert wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die meisten für einen (dann frühen und im Rahmen der Fristenregelung möglichen) Abbruch entscheiden.

Kein Dammbruch, aber ein großer Schritt

Dieser Test ist kein Dammbruch, wie es in bio-ethischen Diskussionen oft formuliert wird, wohl aber ein großer Schritt hin auf dem Weg zu einer durch-gescreenten Gesellschaft. Bisher war es technisch und logistisch nicht möglich, tatsächlich alle Schwangeren auf alle bisher diagnostizierbaren genetischen Abweichungen zu untersuchen. Wenn aber durch eine einfache Blutentnahme der Embryo schon früh risikolos untersucht werden kann, ist es nicht schwer, sich die Konsequenzen auszumalen. Zu einem vermutlich noch höheren Prozentsatz als jetzt werden sich die Frauen oder Paare für einen Abbruch entscheiden. Die Öffentlichkeit nimmt die „Genforschung“ oft so wahr, als ob sie genetisch bedingte Abweichungen ausrotten könne wie die Pocken. Bisher kann alle pränatale Diagnostik aber nur verhindern, dass Menschen mit ganz bestimmten Merkmalen geboren werden. Dies ist eine der schlimmsten vorstellbaren Formen von Diskriminierung aufgrund von Behinderung und müsste eigentlich sowohl vom Antidiskriminierungsgesetz als auch von der UN-Behindertenrechtskonvention verboten sein. Beide beziehen sich aber nur auf geborene Menschen - auch, um das Recht auf Abtreibung an sich nicht in Frage zu stellen beziehungsweise die Diskussionen nicht miteinander zu vermischen. Dabei gibt es zwischen der Lebensschützer-Position und der Meinung, dass auf jeden Fall immer nur die Frau entscheiden darf, durchaus eine dritte Position: Selbstverständlich kann nur eine schwangere Frau entscheiden, ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens in ihrer ganz speziellen Lebenssituation eine Schwangerschaft austragen kann oder nicht. Sie hat aber kein Recht auf ein gesundes Kind - abgesehen davon, dass selbstverständlich keine medizinische Maßnahme ihr das je garantieren können wird. Ebenso wie sie nicht bestimmen können sollte, dass sie ein Kind eines bestimmten Geschlechts nicht bekommt, sollte sie auch nicht entscheiden können, ob sie ein Kind mit einer bestimmten genetischen Ausstattung nicht bekommen möchte. Die massenhafte Abtreibung von weiblichen Föten in Indien und China erscheint uns offensichtlich als diskriminierend. Die Gründe dafür sind aber ähnlich wie die, die in Deutschland vorgebracht werden, um zum Beispiel ein Kind mit Down-Syndrom nicht zu bekommen. Unbestritten ist das Leben mit einem besonderen Kind eine große Herausforderung, die viele Familien und oft besonders die Mütter an den Rand der Belastbarkeit führt. Dennoch ist eben auch nicht jede angeborene Auffälligkeit mit Leiden - weder für die Betroffenen noch für die Familie - gleichzusetzen, was ja insbesondere bei Menschen mit Trisomie 21 völlig offensichtlich ist.

Mit dem Test stellt sich die Grundsatzfrage ganz direkt

In der Vergangenheit tummelte sich die frauengesundheitspolitische Kritik an der Pränataldiagnostik oft auf Nebenschauplätzen: Thema waren die mangelhafte Aufklärung vor dem Eingriff und nach einer Diagnosestellung, die schlechte Betreuung während eines Abbruchs und danach, die Problematik der Spätabbrüche, die Unsicherheit der Diagnosen, das Risiko der Eingriffe. Durch technischen Fortschritt, neue Gesetzgebungen und veränderte Umgangsweisen hat sich daran vieles verbessert. Aber die Grundfrage, ob wir eine vorgeburtliche Auslese nach eugenischen Kriterien wollen, wurde lange nicht mehr in aller Deutlichkeit öffentlich gestellt. Die bisherige Praxis der Pränataldiagnostik folgt keinem eugenischen Masterplan. Es gibt keine Person oder Institution, die das Ziel verfolgt, die Anzahl von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft zu vermindern. Die handelnden AkteurInnen aus Forschung und Pharmaindustrie, aus Gynäkologie und Pränataldiagnostik, aus Humangenetik und psychosozialer Beratung verbinden ihre jeweils eigenen Interessen und Standpunkte nicht bewusst mit einer bevölkerungspolitischen Zielrichtung. Im Ergebnis führen aber alle bisherigen Maßnahmen genau in diese Richtung. Und der neue Bluttest wird diese Tendenz zu einer negativen Eugenik, also zur Aussortierung vermeintlich „schlechter“ Gene, verstärken und ihr eine neue Dimension verleihen. Die Einführung dieses Bluttests ist einerseits ein gewisser Endpunkt einer langen Entwicklung zu immer früheren und immer präziseren Aussagen über den Embryo. Andererseits ist sie erst der Beginn von völlig neuen Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnostik.

Erschienen in
GID-Ausgabe
211
vom Mai 2012
Seite 11 - 12

Mareike Koch ist niedergelassene Gynäkologin und Mitarbeiterin bei der Beratungsstelle Cara in Bremen.

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