Darf es ein bisschen Gentechnik sein?

Die Weltnaturschutzorganisation ringt um eine Position

Haben gentechnische Verfahren Platz im Naturschutz? Diese Frage stellte sich die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) auf ihrem Kongress im September. Eine Antwort wurde nicht gefunden, aber ein neuer Prozess gestartet, dessen Vorlauf von Interessenkonflikten geprägt war. Interview mit Mareike Imken, Mitarbeiterin der Initiative Save Our Seeds im Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und Initiatorin der Stopp Gene Drive-Kampagne.

Imken Portrait

Interview mit Mareike Imken. Foto: © privat

Frau Imken, Sie wurden von dem Deutschen Naturschutzring ausgewählt, nach Marseille auf die Mitgliederversammlung der Weltnaturschutzorganisation IUCN zu fahren. Sie sollten sich dort für einen auf dem Vorsorgeprinzip basierenden Umgang mit Gentechnik und im Speziellen gegen Gene Drive-Organismen einsetzen. Waren Sie erfolgreich oder werden bald Gene Drive-Mücken und gentechnisch veränderte Korallen in den Ökosystemen freigesetzt?

Ich glaube nicht in absehbarer Zeit, nein. Zumindest nicht, weil die IUCN es so verfügt hat. Die IUCN hat beschlossen sich drei Jahre lang Zeit zu geben, um eine mitgliederinterne, sehr breit aufgestellte, inklusive Diskussion darüber zu führen, wie sie mit Fragen der Anwendung von Gentechnik im Naturschutz umgehen möchte.1 Mit diesem Resultat können wir relativ zufrieden sein.

Was für Schritte beinhaltet dieser dreijährige Prozess?

Wenn dieser Prozess, der in der Resolution 75 beschrieben ist, so durchgeführt wird, wie er verhandelt wurde, dann würde zuerst eine Arbeitsgruppe erstellt werden. Diese soll sehr divers aufgestellt sein und unterschiedliche Perspektiven, Hintergründe, Weltsichten und auch verschiedene Gruppierungen und Wissenssysteme beinhalten. Die Aufgabe dieser Gruppe ist es, den Prozess aufzubauen und inhaltlich zu steuern. Der Prozess soll dazu dienen, offene ökologische, ethische, soziokulturelle, sozioökonomische und rechtliche Fragestellungen im Kontext von synthetischer Biologie für die Anwendung im Naturschutz, beziehungsweise zum Schutz der Biodiversität, zu sammeln. Dafür sollen partizipative Methoden für eine gemeinschaftliche Technikfolgenabschätzung zum gemeinsamen Wissensaufbau angewendet werden. Das soll nicht nur Konsultationen beinhalten, sondern auch runde Tische, regionale Foren, Online-Diskussionen und Diskussionsveranstaltungen, die vor allem auch indigene Gruppierungen, lokale Gemeinschaften und Menschen mit vom wissenschaftlichen Wissen abweichendem Wissen einbeziehen sollen.

Was soll mit dem gesammelten Wissen passieren?

Auf Grundlage dieser Arbeit, soll die Gruppe eine erste Position formulieren, die auf jeden Fall das Vorsorgeprinzip berücksichtigen muss. Die IUCN Mitgliederversammlung muss später auf Grundlage dieses Prozesses entscheiden, ob sie über genügend Wissen verfügt, um sich in Fragen bezüglich des Einsatzes von gentechnischen Verfahren zu positionieren. Über die Positionierung stimmen die IUCN-Mitglieder dann bei dem nächsten Weltkongress 2024 ab.

Ich höre da noch viele Zweifel und Konjunktive heraus, ob die nächsten Schritte dann tatsächlich wie gewünscht ablaufen. Worauf begründen sich Ihre Zweifel?

Meine Zweifel beziehen sich darauf, dass der Prozess davon abhängig ist, wer am Ende in dieser Arbeitsgruppe eingesetzt wird, um diesen Prozess zu gestalten und zu begleiten. In der Vergangenheit wurden zu solchen Arbeitsgruppen eine Großzahl von Gentechnik-Forschenden und -Entwickler*innen eingeladen, die eine enthusiastische Haltung vertreten haben.2 Dies hat sich auch in den Verhandlungen um diese Resolution widergespiegelt.
Deswegen wird es sich erst zeigen müssen wie sehr dieser Prozess solchen Interessen, die sehr gut organisiert sind, Stand halten kann. Dabei ist es auch wichtig, eine größere Menge von bislang unbeteiligten IUCN-Mitgliedern dazu zu bewegen sich mit diesem Thema zu beschäftigen und an diesem Prozess zu beteiligen. Wenn es weiterhin so bleibt, dass nur die verhärteten Fronten aufeinandertreffen, die schon ganz klar wissen, welches Ergebnis sie wollen und welche offenen oder nicht offenen Fragen sie haben, dann kann es sein, dass am Ende haarscharf für Gentechnik entschieden wird. Nur weil der Prozess jetzt inklusiv, partizipativ und unter Berücksichtigung vieler Wissenssysteme und Perspektiven angelegt worden ist, bedeutet das nicht, dass am Ende eine gentechnikkritische Haltung dabei rauskommt.

Ich erinnere mich an den letzten Bewertungsbericht: „Genetic Frontiers for Conservation“.3 Verschiedene NGOs kritisierten die Zusammensetzung der verantwortlichen Arbeitsgruppe, weil sie von Gentechnik-Befürworter*innen mit Interessenkonflikten dominiert war.2 Gab es dazu eine Auseinandersetzung auf dem Kongress?

Ja, es gab eine Diskussion bei der Vorstellung des Berichts auf dem Kongress. Dort gab es ein paar kritische Nachfragen zu diesem Bericht. Letztendlich wurde das aber nicht besonders vertieft oder irgendwo festgehalten. Die ursprüngliche Resolution 86 aus dem Jahr 2016 von Hawaii hatte das Mandat erteilt, dass die IUCN eine Positionierung zum Thema synthetische Biologie und im speziellen Gene Drives entwickeln sollte. Dafür wurde dieser Bewertungsbericht verfasst. Leider gab es einen Überhang an Autor*innen, die an der Erforschung von gentechnischen Anwendungen arbeiten, und somit deutliche Interessenkonflikte hatten. Verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln, dass viele Risiken der Gentechnik in dem Bericht nicht erwähnt oder unzureichend behandelt und somit das Mandat aus der Resolution 86 nicht erfüllt wurde. Leider spiegelt sich das nicht in der neuen Resolution 75 wider. Letztendlich wurde beschlossen, dass die IUCN sich neutral zum Thema synthetische Biologie verhalten soll, bis eine Positionierung gefunden wird. Es bleibt zu hoffen, dass der Prozess hin zu einer Positionsfindung dieses Mal besser läuft als bislang.

Ist denn dieses Mal gewährleistet, dass die Besetzung der Arbeitsgruppe anders verläuft und nicht der gleiche Fehler wieder gemacht wird?

Also einige Vorgaben sind jetzt durchaus anders als vorher. Alleine, dass die Besetzung aus IUCN Mitgliedern bestehen soll, ist hilfreich. Vorher bestand die Gruppe vor allem aus externen Expert*innen mit wissenschaftlichem Hintergrund und hier vorwiegend aus der Molekularbiologie. Diesmal ist die klarere Vorgabe, dass es eine Balance geben muss, eine Ausgeglichenheit zwischen verschiedenen Wissenshintergründen, Positionierungen und auch Mitgliedstypen. Die IUCN ist eine Organisation die aus Regierungen, NGOs und Indigenen besteht. Diese Gruppen sollen alle ausgeglichen in der Arbeitsgruppe vertreten sein. Das heißt, wenn sich an diese Vorgaben gehalten und das nicht am Ende doch anders interpretiert wird, dann gibt es Hoffnung, dass der Prozess deutlich ausgeglichener ausfällt aus letztes Mal.

Meinen Sie die IUCN ist nach diesem Prozess dann in der Lage, sich in 2024 auf eine Position zur Anwendung von gentechnischen Verfahren im Artenschutz zu einigen?

Wenn man, wie es in der Resolution 75 geschrieben ist, das Vorsorgeprinzip wirklich ernst nimmt, dann denke ich, dass die Wissenslage einfach viel zu ungenügend ist, um einen Einsatz dieser Verfahren zu rechtfertigen. Das gilt vor allem für Anwendungen, die die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in die Natur vorsehen und insbesondere für Gene Drive-Organismen. Daher denke ich nicht, dass die IUCN sich in 2024 mit gutem Gewissen für die Nutzung der Technologie aussprechen wird. Unter den Begriff der synthetischen Biologie fallen aber auch Verfahren, die „biologische Systeme“ im Labor umbauen, um zum Beispiel Produkte herzustellen, die vorher durch die Ausbeutung von Wildtieren gewonnen wurden. Ein Beispiel ist das besonders reine Blut des Pfeilschwanzkrebses, das für Tests von Medikamenten genutzt wird. Für solche Anwendungen in geschlossenen Systemen sehe ich viel weniger offene Fragen und eher die Chance, dass die IUCN hier Vorteile für den Naturschutz sieht und sich dafür ausspricht. Wenn die IUCN das Vorsorgeprinzip ernst nimmt, denke ich, das keine befürwortende Position seitens der IUCN nach diesem dreijährigen Prozess für Gentechnikanwendungen in offenen Systemen rauskommen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Judith Düesberg. Danke an Lilly Presser für die Transkription.

  • 1Resulotion 075 - Towards development of an IUCN policy on synthetic biology in relation to nature conservation. Online: www.iucncongress2020.org/motion/075 [letzter Zugriff: 04.10.21].
  • 2a2bDüesberg, J. (2020): Interessenkonflikte in der Weltnaturschutzorganisation? Wie Befürworter*innen der neuen Gentechnik Einfluss nehmen. In: Gen-ethischer Informationsdienst, Nr. 253, S.8-9.
  • 3Redford, K.H. et al. (2019): Genetic frontiers for conservation: An assessment of synthetic biology and biodiversity conservation. Technical assessment. Gland, Switzerland: IUCN.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
259
vom November 2021
Seite 26 - 27

Mareike Imken ist Mitarbeiterin der Initiative Save Our Seeds im Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

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