Die Zukunft des Waldes

Selbstregulierung und Vielfalt als Schlüssel zum Erfolg

Wald ist nicht gleich Wald. Und was den Namen Wald im ökologischen und biologischen Sinne wirklich verdient, birgt noch vieles, was wir gar nicht ganz verstehen. Eines ist aber klar: die Herausforderungen der Zukunft werden weder durch gentechnische Änderungen eines Merkmals gemeistert, noch durch die Übertragung landwirtschaftlicher Praktiken auf die Waldnutzung.

Portrait Erwin Hussendörfer

Foto: © privat

Herr Hussendörfer, stellen Sie sich vor, Sie gehen in 100 Jahren durch den Nationalpark Bayerischer Wald – dort, wo heute die Kernzone ist und jeglicher Eingriff verboten. Was für einen Wald sehen Sie?

Mir würde das Herz aufgehen, wenn ich durch diesen Wald laufe. Denn die Dynamik in diesem Gebiet erkennt man schon jetzt und in 100 Jahren wahrscheinlich noch deutlicher. Wir werden eine Vielzahl von Baumarten finden, vor allem Pionierbaumarten, wobei sich die Waldstrukturen weiterentwickeln werden, weil andere Baumarten einwandern. Es wird wieder ein Wald entstehen, der definitiv den Namen Wald im ökologischen und biologischen Sinne verdient.

Und was wäre der größte Unterschied zu dem Wald, den Sie heute sehen?

Der größte Unterschied wäre für mich diese „Unordnung“. Es gibt keine Wege, es gibt keine Gassen, es gibt keine erkennbare Struktur, die auf Nutzung hindeutet. Stattdessen Bäume, die umgeworfen wurden, Bäume, die absterben, Bäume, die abbrechen, eine Vielzahl von Bäumen nebeneinander in unterschiedlicher Dimension.

Hier vor meiner Haustür in Brandenburg sehe ich einen Kiefernforst mit monotonen Strukturen, wo alle Bäume im gleichen Alter sind. Ist das auch ein Wald?

Die gesetzliche Definition von Wald ist sehr umfassend und differenziert kaum. Selbst eine baumlose Fläche, die durch den Borkenkäfer entwaldet wurde und mit einer oder mehreren Baumarten wie zum Beispiel Douglasie aufgeforstet wird, fällt darunter. Genauso wie der von ihnen genannte Kiefernforst – das ist ein künstliches Produkt. Aus dem ökologischen Blickwinkel steckt viel mehr in dem Begriff Wald. Er bezeichnet eine ganze Lebensgemeinschaft mit typischen Pflanzen und den dazugehörigen Lebewesen, in deren Zusammenspiel sich eine gewisse Struktur einstellt, zu der auch der Boden gehört. So etwas gibt es kaum noch in Deutschland.

Was sind die größten Herausforderungen für den Wald?

Aus Sicht des Waldes ist die größte Herausforderung immer noch der Mensch und wie wir mit ihm umgehen. Die meisten alten Bäume sterben immer noch durch die Motorsäge, die wenigsten durch Schadorganismen. Für uns Menschen ist die größte Herausforderung, den Wald mit seinen Leistungen für die kommenden Generationen zu erhalten. Das heißt, die Bereitstellung von nachhaltigem, gutem Trinkwasser, die Speicherung von CO2 und auch, einen Ort zur Erholung zu haben. All dies ist heute wichtig und wird in Zukunft noch wichtiger werden. Der Rohstoff Holz spielt dann vielleicht eine geringe Rolle. 

Ein Baum kann sich nicht fortbewegen. Er steht an dem Fleck, wo er gewachsen ist, und das vielleicht über 100 oder mehr Jahre. Welche Mechanismen haben Bäume, um auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren?

Bäume haben, wie viele Lebewesen auch, eine sogenannte Reaktionsnorm und damit eine gewisse Plastizität, um auf Änderungen zu reagieren. Auf Hitze und Trockenheit könnte der Baum mehr Wasser pumpen, um sich zu kühlen, seine Blattform verändern und Inhaltsstoffe einlagern, damit sich die Außenhaut verändert. Wichtig ist aber, den Baum als Teil eines Systems zu sehen. Die Bäume prägen zusammen das typische Waldklima und stehen durch ihr unterirdisches Wurzelwerk in Verbindung und Austausch. Ähnlich ist es bei der Genetik, auch hier sollten wir mehr auf das System, in diesem Fall die Population, schauen, als auf den einzelnen Baum. 

Können Sie uns das erläutern? Wie hilft diese genetische Vielfalt bei der Anpassung an die Umwelt?

Eine Population hat eine gewisse Resilienz gegenüber Umwelteinflüssen, bei der ein Baum noch überlebt, wo der andere vielleicht abstirbt. Vielleicht sollten wir es eher als Anpassungsfähigkeit oder Viabilität bezeichnen. Viele Baumarten in Mitteleuropa besitzen einen doppelten Chromosomensatz, genauso wie wir Menschen, nur sind wir im Vergleich genetisch sehr verarmt. Wenn uns kalt ist, ziehen wir einen Pullover an, das kann der Baum aber nicht. Die genetische Variation des Baums kann ihm helfen, gewisse Zeiträume zu überbrücken. Die Umwelt kann aber auch die Ausprägung von Genen beeinflussen, was man als Epigenetik bezeichnet. Das einfachste Beispiel dafür sind die Bienen. Wenn man einer Bienenlarve eine bestimmte Nahrung zur Verfügung stellt, dann entwickelt sie sich zu einer Königin, und ansonsten bleibt es eine Arbeiterbiene. Durch epigenetische Variation kann ein Baum genetische Informationen aus der Vergangenheit wachrütteln, um auf bestimmte Umwelteinflüsse zu reagieren.

Was halten Sie von der Idee, Baumarten aus anderen ökologischen Systemen hierher zu bringen?

Es hat immer einen Reiz, etwas einzubringen, von dem man glaubt, es würde ein System für die Zukunft resilienter machen. Aber die Entwicklungen sind schwer vorauszusehen und wir begehen wieder den Fehler, uns zu sehr auf den Baum zu konzentrieren und das System außer Acht zu lassen. Klimazonen können dabei nicht einfach verschoben werden. Eine südländische Baumart, die gelernt hat, mit Trockenphasen umzugehen, kennt keinen Spätfrost, welchen es hier vielleicht noch in 50 Jahren geben wird. Gleichzeitig müsste für die Gesundheit der Bäume der Boden auch mitgebracht werden, denn die Bäume bilden mit Organismen wie Mykorrhiza-Pilzen eine Lebensgemeinschaft. Diese ist extrem wichtig für die Bäume, denn ohne die Lebensgemeinschaft ist ein Baum schwer überlebensfähig. Bei einem Einbringen dieser Pilze besteht dann aber wieder die Frage, wie sie sich gegenüber den anderen Mykorrhiza Gesellschaften verhalten. Werden sie unterlegen sein, arrangieren sie sich mit den anderen oder verdrängen sie diese? 

Neben dem Boden und den Lebensgemeinschaften, worauf wird in der Waldnutzung noch zu wenig geachtet?

Ein Kollege aus Österreich hat es schön auf den Punkt gebracht: Wir haben 2.000 Jahre lang versucht, unsere Wälder mit landwirtschaftlichen Methoden auf Vordermann zu bringen. Wir müssen einen anderen Ansatz fahren. Im Grundsatz müssen wir das System umdenken. In der Forstwirtschaft sollen die Bäume das gleiche Alter haben, damit sie gleichzeitig geerntet werden können und möglichst einer Art angehören. Beides reduziert und vereinfacht die Arbeitsschritte. In Naturwäldern hingegen stehen viele verschiedene Individuen unterschiedlichen Alters nebeneinander, welche unterschiedliche Umwelterfahrungen gemacht haben. Die einen haben die Erfahrung gemacht, dass es mal trocken war, die anderen, dass es mal nass war. Fortlaufend wird das Erbgut durchmischt und die Selektion kann greifen. Die gezielte menschliche Auswahl von Individuen, welche resistent gegen Borkenkäfer sind, müssen nicht überlebensfähig sein bei anderen Umweltfaktoren und vielleicht verliert sich ihre Resistenz gegen den Käfer auch bald. Diese Widerstandsfähigkeit gegen Schadinsekten oder Krankheiten funktioniert nicht einmal in der Landwirtschaft vernünftig, wo Spritzmittel, Düngung und Bewässerung eingesetzt werden können. Dabei muss bei Getreide oder anderen Feldfrüchten nur ein paar Monate vorausgeschaut werden, bei Bäumen sind es ganz andere Zeitdimensionen. Der kurzzeitige Vorteil einer Resistenz wird hier nicht lang anhalten, da die Natur versucht, eine Balance zu erreichen und Käfer oder Pilze sich ständig weiterentwickeln.

Wie Kartoffeln oder Getreide gezüchtet werden, kennen wir aus der Landwirtschaft. Wie werden denn eigentlich Waldbäume gezüchtet?

Was Züchtung anbelangt, sind Bäume undankbar, zumindest die meisten. Wenn Sie zwei Bäume kreuzen, dann müssen Sie 50, 60 Jahre warten, bis wieder Nachkommen produziert werden. So alt wird dummerweise fast kein*e Forscher*in und dementsprechend kann man das Ergebnis schwer testen. Auch die Mengen, die man bräuchte, um richtige verifizierbare Tests durchzuführen, sind schwierig zu erhalten. Rückkreuzungen oder Erfahrungen mit der Stabilität der Merkmale mal ganz ausgenommen. Diese Tests sind dennoch wichtig, weil das größte Risiko, das wir haben, ist, dass solche Züchtungsprodukte plötzlich in die falsche Richtung laufen und sich dann exorbitant verbreiten. Das betrifft natürlich besonders die gentechnisch veränderten Bäume. Bei kurzlebigen Baumarten wie Pappel und Weide lässt sich das Risiko etwas eingrenzen, da diese sehr leicht unfruchtbar gemacht werden können, durch die Erzeugung eines dreifachen Chromosomensatzes zum Beispiel. Aber eine Eiche im Gegensatz ist einfach sehr schwer züchterisch zu handhaben. Weltweit ist das schon ein Thema, aber in Deutschland ist es eher untergeordnet. Ziele sind Anpassungen an den Klimawandel, Resistenzen gegen Schadorganismen und Leistungssteigerung. Eine Leistungssteigerung wird versucht zu erzeugen durch einen höheren Zellulosegehalt, höhere Wuchsleistungen oder eine Vermeidung von Blüten, da die auch Energie kosten.

In den USA wird seit Jahren an einer gentechnisch veränderten Kastanie geforscht, die resistent sein soll gegenüber einer Krankheit. Nun besteht in den USA generell ein anderer Umgang mit Gentechnik als in der EU. Aber auf EU-Ebene wird gerade diskutiert, wie die neuen Gentechniken einzuschätzen sind und laut des neuen Gesetzesentwurfs könnten auch wild lebende Organismen wie Bäume deutlich leichter freigesetzt werden. Wie sehen Sie die Anwendung von Gentechnik bei Waldbäumen? 

Wissenschaftlich ist das höchst spannend und in der Grundlagenforschung wurden schon interessante Erkenntnisse durch die neuen Gentechniken gewonnen. Den Einsatz von gentechnisch veränderten Bäumen im Freiland sehe ich aber durchaus kritisch. Ein Grund ist die lange Zeit, die ein Baum lebt, wir sprechen bei einer Eiche von 300 bis zu 400 Jahren und in dieser langen Zeit werden sich Umweltbedingungen, Krankheit und Schadorganismen sehr verändern. Es ist überhaupt nicht vorherzusehen, welche spezifischen Eigenschaften der Baum haben sollte, um zu überleben. Gerade in Bezug auf den Klimawandel ist klar, dass sich etwas verändern wird, aber was das lokal bedeutet, wissen wir nicht. Ähnlich ist es mit den Schadorganismen und Krankheiten. An Corona konnten wir live miterleben, wie Viren sich verändern und ähnliches beobachten wir auch in der Landwirtschaft mit den Wildkräutern. In einer wilden Population von Bäumen steckt aber eine so gewaltige Bandbreite an genetischer Variabilität, dass es sehr gut möglich ist, dass in ihr schon eine Überlebenschance für die Population enthalten ist. Gleichzeitig ist es in Anbetracht dieser genetischen Vielfalt für mich schwer vorstellbar, dass es einen Steuerungsmechanismus gibt, der für alle Baum-Individuen gleich gut funktioniert. Wir sollten aber nichts tun, um diese Vielfalt einzuschränken und ich denke, das wäre die Konsequenz aus dem Einsatz von Gentechnik. Man würde sich auf ein paar Merkmale konzentrieren, die man verändern möchte. Das passiert im Labor und dann muss damit weitergezüchtet werden und die Bäume müssten künstlich auf die Flächen gebracht werden. Das kann man nicht mit Tausenden von unterschiedlichen Bäumen machen. Deswegen sehe ich da eigentlich ein größeres Risiko in einer vermeintlichen Sicherheit, die man schaffen möchte, aber die möglicherweise nicht funktionieren wird, weil es doch anders kommt, als angenommen. Wir haben auch so viel noch nicht verstanden im Bereich der Genetik. Es gibt Bäume mit genetisch identischen Kopien, die dennoch unterschiedlich reagieren – warum? Wir wissen einfach ganz viel noch nicht.

Sie haben viel über Lebensgemeinschaften und Systeme gesprochen. Welche Wechselspiele oder welche Zusammenhänge im Wald haben Sie in Ihrer Laufbahn am meisten überrascht? 

Vor über 20 Jahren gab es im Schwarzwald den starken Orkan Lothar, welcher große Waldflächen zerstört hat. Das Überraschende war für mich, welch entscheidende Rolle das Bodenleben für die Wiederbesiedlung mit Bäumen spielte. Für mich waren das neue Erkenntnisse, die ich so im Studium nicht erfahren habe. Erschreckend wurde mir bewusst, wem wir da eigentlich mit schwerstem Gerät über die Füße fahren und wie verwoben die unterirdische Welt durch Mykorrhiza-Pilze ist, denn die können mehrere Hektar groß werden. 

Wir haben auch noch einiges zu lernen, wie Selektion in der Natur abläuft. Ich habe an der Uni gelernt, dass ein dicker, gerader Baum mit großer Krone vital ist. Überrascht hat mich dann in der Natur, dass wenn größere Bäume absterben und die nebenstehenden Bäume endlich Platz haben zum Wachsen, diese eine unglaubliche Energie aufrufen können und dann – nach Jahrzehnten des „Dornröschenschlafes“ – hochwachsen. Diese Bäume sind oft viel älter als erwartet. Der Umgang mit Ressourcen könnte dabei als zweites Standbein für Vitalität betrachtet werden, und unser Blick sollte weg von der Dimension hin zu Widerstandsfähigkeit und Überlebensfähigkeit wandern.

Das dritte ist, dass Bäume traditionell alleinstehend betrachtet werden und in Konkurrenz zu anderen Bäumen stehen. Dabei schützen und fördern sich Bäume gegenseitig, denn sie können über ihre Wurzeln und ein Pilznetzwerk verbunden sein und sogar Nährstoffe austauschen. Diese natürlichen Prozesse und Verbindungen fördern die Widerstandsfähigkeit und sollten im Wald mehr berücksichtigt werden. Denn dieses kooperative Verhalten könnte im Klimawandel entscheidend sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Judith Düesberg
Redaktionelle Bearbeitung von Thomas Bleß.

Erschienen in
GID-Ausgabe
271
vom November 2024
Seite 17 - 19

Dr. Erwin Hussendörfer ist Professor an der Hochschule Weihenstephan Triesdorf, mit dem Lehrgebiet Waldbau, Waldökologie und Genetik. Er beschäftigte sich mit diversen Projekten im genetischen Bereich und ist aktiv im Naturschutz und FSC-Siegel.
 

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