Upsi, Darling
Das schockierende Ende eines Gentechnik-Traums
Der Traum der Wissenschaftler*innen des American Chestnut Research & Restoration Project, die Amerikanische Kastanie mittels Gentechnik zu retten, erlitt 2023 einen schweren Dämpfer – der möglicherweise das Ende dieses Projekts bedeutet. Was war passiert?

Der Antrag auf Freisetzung der transgenen Kastanien wurde trotz des Laborfehlers nicht zurückgezogen, er pausiert lediglich Foto: Pexels
Im Dezember 2023 zog sich die American Chestnut Foundation (TACF) aus dem Projekt zurück und beendete ihre Unterstützung bei der beantragten Freisetzung vor der US-Behörde United States Department of Agriculture (USDA).1 Der verbleibende Projektpartner, das College of Environmental Science and Forestry (SUNY-ESF) der State University of New York, hingegen wartet weiterhin auf die behördliche Genehmigung und möchte die gv-Kastanie unverändert verbreiten.2 Die TACF nannte als Grund für ihren Rückzug die schlechten Ergebnisse der laufenden Versuche. Bei den Bäumen wurde eine auffällige Variabilität in der Pilz-Toleranz, ein schlechtes Wachstum sowie eine erhöhte Sterblichkeit festgestellt. Aber warum?
Darling 54 statt 58
Der gröbste Fehler im Laufe des Projekts war wohl die falsche Beschriftung einer Probe. In der Konsequenz wurde später nicht der Pollen von der gewünschten Linie Darling 58 für die Befruchtung verwendet, sondern von der Linie Darling 54. Dies passierte wahrscheinlich bereits 2016 und in der Folge arbeiteten die Forscher*innen über Jahre hinweg mit einer anderen Baumlinie, als sie dachten. Erschreckenderweise fiel dieser gravierende Fehler bis 2023 niemandem auf, was laut der Wissenschaftlerin Ricarda Steinbrecher darauf hindeutet, „dass in all den Jahren niemand die Stabilität und Unversehrtheit des eingefügten Transgens und seiner Nachbar-DNA getestet hat, was ein Standardverfahren sein sollte. Dies hätte auch die Verwechslung aufgedeckt.“3
Zerstörung wichtiger Gene
Bei Darling 54 wurde das Genkonstrukt an einem anderen, deutlich ungünstigeren Ort im Genom eingebaut als bei Darling 58, nämlich direkt in ein Gen der Kastanie (SAL1).4 Weiterhin gingen in dem Prozess 1069 Basen vom Gen verloren, sodass es nicht mehr funktionsfähig war. Welche Auswirkungen dies auf den Baum hatte, ist nicht klar. Bei anderen Pflanzen steuert das SAL1-Gen die pflanzenphysiologische Reaktion auf Trocken- oder Salzstress. Sicher ist jedoch, dass man unbedingt vermeiden möchte, Gene auf der Ziel-DNA in ihrer Funktion zu beschädigen, weswegen dieses Szenario immer untersucht werden sollte.
Aufs falsche Pferd gesetzt?
Um die gv-Kastanien resistenter gegenüber der Pilzkrankheit Cryphonectria parasitica zu machen, entwickelten die Wissenschaftler*innen ein Genkonstrukt mit DNA-Sequenzen von unterschiedlichen Organismen. Ein OxO-Gen aus Weizen sollte zu einer Erhöhung des Enzyms Oxalate Oxidase führen, das die giftigen Stoffe des Pilzes abbaut. Ein Promoter (35CaMV), eine die Genexpression regulierende DNA-Sequenz aus einem Pflanzenvirus, sollte die Aktivität des OxO-Gen steuern. Von 35CaMV war bekannt, dass er auf längere Sicht unzuverlässig arbeitet. Diese Auswahl an Genen könnte ein weiterer Faktor sein, der den gv-Bäumen zu schaffen machte. So zeigten die gv-Bäume ein deutlich schlechteres Wachstum und weniger Vitalität (Überlebensrate 65%) als ihre konventionellen Geschwister (Überlebensrate 95%).3 Auch der beobachtete Rückgang der Resistenz der gv-Bäume, also der Produktion von Oxalate Oxidase, könnte auf ungeahnte Wirkweisen des Genkonstrukts hindeuten.
Noch ist vieles unergründet und beruht auf Hypothesen. Was bleibt, ist die Frage, wie diese Fehler über all die Jahre unbemerkt bleiben konnten – sowohl bei den Wissenschaftler*innen vom American Chestnut Research & Restoration Project als auch bei der USDA. Nur dem selbstkritischen Verhalten der TACF ist es zu verdanken, dass die Öffentlichkeit über die Prozesse Einblick erhalten hat. Die SUNY-ESF hat den Antrag auf Freisetzung der gv-Kastanie Darling 54 bei der USDA nicht zurückgezogen, aber der Prozess pausiert, bis die USDA mehr Informationen bekommt.2 Eine Freisetzung dieses degradierten Baumes würde jedoch sicherlich nicht zum Erhalt der Population beitragen.
- 1
The American Chestnut Foundation (08.12.23): TACF Discontinues Development of Darling 58. Online: www.kurzlinks.de/gid271_de [Letzter Zugriff: 22.10.24]
- 2a2b
Grandoni, D. (24.12.23): Genetic engineering was meant to save chestnut trees. Then there was a mistake. Washington Post. Online: www.kurzlinks.de/gid271_dd [Letzter Zugriff Onlinequellen: 22.10.24]
- 3a3b
Steinbrecher, R.A. (2024): Genetically Engineered American Chestnut: Discussion of the performance limitations of Darling 58/54. Briefing Econexus. Online: www.kurzlinks.de/gid271_df [Letzter Zugriff: 22.10.24]
- 4
Die Wissenschaftler*innen benutzten das Bakterium Agrobacterium Thumifencis zum Einbringen des Gen-Konstruktes. Bei dieser Methode wird das Gen-Konstrukt an einem zufälligen Ort in die Ziel-DNA eingebaut. [Letzter Zugriff: 22.10.24]
Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.