Zwischen Forschungsförderung und leisen Bedenken

Mit gentechnischen Wunderpflanzen soll der Hunger in der Welt zu bekämpfen sein, meinen einige Wissenschaftler und die Werbeabteilungen aus der Gentechnikbranche seit Jahren. Schon bald könnten trockenresistente, ertragsreiche oder mit Eiweiß angereicherte Pflanzen auf die Felder in Entwicklungsländern kommen.

Die Visionen der Gentechnikbranche zeigen sich mit dem Slogan "We feed the world" – damit warb in den 1990ern der Weltmarktführer für Gentechniksaatgut Monsanto. Das Ziel von Agrarkonzernen, die Welt zu ernähren, konzentriert sich vor allem auf den Absatz von Saatgut und Spritzmittel. Übergangen werden dabei die zentralen Beteiligten bei der Lebensmittelerzeugung: die Menschen, die das Land bebauen und ernten. Jüngster Vorstoß von Wissenschaftsseite, die Gentechnik als erfolgreich im Kampf gegen den Hunger anzupreisen, kam 2006 von der deutschen Union der Akademie der Wissenschaften: gerade für Kleinbauern in Entwicklungsländern seien gentechnisch veränderte Pflanzen besonders hilfreich.(1) Durch stete Wiederholung gewinnt das Argument jedoch nicht an Überzeugungskraft. Mit einer rein technischen Lösung werden die vielfältigen Ursachen für Hunger nicht zu lösen sein. Die Strategie der Bundesregierung zur Gentechnik für die Hungerbekämpfung lässt sich als "ein Instrument unter anderen" beschreiben.

Kampf gegen Bauern

Als im Jahr 2004 die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung, FAO, erklärte, dass Gentechnik die Produktivität und die Einkommen von Bauern erhöhen und damit einen Beitrag zur Welternährung leisten könne, gab es deutliche Reaktionen. 650 Organisationen der Zivilgesellschaft erklärten öffentlich, dass die FAO mit dieser Position sich dem Kampf gegen Bauern statt dem Kampf gegen den Hunger verschreibe und äußerten Zweifel an der Unabhängigkeit der FAO. Die heftige Kritik an gentechnischen Pflanzen zur Hungerbekämpfung basiert auf folgenden Argumenten: Rund 80 Prozent der circa 854 Millionen Hungernden leben in ländlichen Regionen als Kleinbauern, Landarbeiter oder Landlose – genau an den Orten, wo Lebensmittel produziert werden. Für Kleinbauern in Entwicklungsländern stellt der Kauf von Saatgut eine der Hauptausgaben für die Erzeugung dar und muss teils über Kredite finanziert werden. Fällt dann die Ernte zum Beispiel durch schwierige Witterung deutlich geringer als erhofft aus, sind die Kleinbauern verschuldet und müssen im schlimmsten Fall ihr Land verlassen. Zugang zu lokal angepasstem Saatgut wird über den Tausch und Handel mit traditionellen Sorten am risikoärmsten organisiert. Ein Blick auf das tatsächliche Angebot verrät, dass nur vier gentechnisch veränderte Pflanzen in großem Stil angebaut werden: Soja, Mais, Raps und Baumwolle mit zwei veränderten Eigenschaften: Herbizid- und/oder Insektenresistenz. Der Großteil der GVO-Pflanzen landet in europäischen oder nordamerikanischen Futtertrögen. Die Erfahrungen mit der Gentechnik machen deutlich: Den Hungernden auf dem Land fehlt es an Zugang zu Ressourcen wie Land und Wasser und an Kaufkraft, nicht an gentechnisch verändertem Saatgut.

Lizenzen verringern Einnahmen der Bauern

Hinzu kommt, dass das Saatgut patentgeschützt und damit nochmals teurer als die modernen Hochertragssorten ist. In Indien gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und dem dortigen Tochterunternehmen von Monsanto (MMB) über die Höhe der Lizenzgebühren auf gentechnisch veränderte Baumwolle. Eine indische Behörde entschied, dass durch das Monopol von Monsanto zu hohe Lizenzen gefordert würden. Monsanto solle die Lizenzen auf das gleiche Niveau wie in China absenken, also auf 40 Rs. je Saatgutpackung. 2005 hat Monsanto noch 1.250 Rs. (ungefähr 25 Euro) verlangt und erst 2006 auf 900 Rs je Packung reduziert. Selbst in den USA zahlen Farmer nur Lizenzen um die 108 Rs. Schulden nach schlechten Ernten bei niedrigen Weltmarktpreisen haben in den letzten Jahren mehrere hundert indische Baumwoll-Bauern in den Selbstmord getrieben. Für die Kleinbauern rechnet sich der Anbau der gentechnischen Bt-Baumwolle nicht: Die indische "Andhra Pradesh Coa- Um den Stellenwert gentechnisch veränderter Pflanzen für die Bundeslition in Defence of Diversity" befragte über mehrere Jahre Kleinbäuerinnen und Kleinbauen nach ihren Erfahrungen im Baumwoll-Anbau. Lokal angepasster Baumwoll-Anbau ohne Einsatz von Pestiziden hatte 35 Prozent bessere Einnahmen je Flächeneinheit als die Bt-Baumwolle von Monsanto. Auch in anderen Regionen ist gentechnisches Saatgut deutlich teuerer als konventionelles: Auf den Philippinen kostet der gentechnische Bt-Mais das Doppelte von dem an sich schon teuren Hybrid-Saatgut für Mais.

Vorfahrt bei der Forschungsförderung

Um den Stellenwert gentechnisch veränderter Pflanzen für die Bundesregierung einzuschätzen, ist ein Blick auf die Geldströme in der Landwirtschaftsforschung aufschlussreich. Seit Jahren gibt es über verschiedene Programme öffentliche Gelder für die Biotechnologie. In ihrem neuen Forschungsprogramm "Neue Impulse für Innovation und Wachstum" sagte die Bundesregierung zu, Wettbewerbe wie "Bio-Regio" oder Unternehmensgründungen durch "GO-Bio" zu fördern und die Gelder für solche Programme der Vorgängerregierung weiter aufzustocken. In beiden Fällen steht "Bio" nicht für ökologisch sondern für moderne Biotechnologie, und das bedeutet größtenteils Gentechnologie. Überschlägt man die einzelnen Förderungen des Forschungsministeriums, liegt die Summe um die 200 Millionen Euro pro Jahr für Gentechnik im Bereich Pflanzen. Zum Vergleich: Ökologische Pflanzenzüchter müssen sich in Deutschland nahezu ausschließlich privat oder mit Stiftungsgeldern finanzieren. Auch auf EU-Ebene hat sich durch die neue Bundesregierung in Bezug auf die Gentechnik wenig in der Forschungspolitik geändert. Im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm versteckt sich hinter dem Titel "Lebensmittel, Landwirtschaft und Biotechnologie" vor allem die Gentechnik. Nahezu 90 Prozent der Gelder werden in den Bereich Biotechnologie fließen. Wenn sich die Forschung für Landwirtschaft und Ernährung so stark auf die Gentechnik konzentriert, haben andere Bereiche kaum Zugang zu öffentlichen Geldern, und die Weichen werden mittelfristig in Richtung Gentechnik gestellt. Angepasste Landnutzungsmodelle, konventionelle Zuchtmethoden und Ökolandbau werden in der Forschung an den Rand gedrängt und können nur unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen Ergebnisse erzielen. International setzt die EU damit ein Zeichen für teure Hochtechnologien statt für angepasste und weiterentwickelte Landnutzungsmodelle. Prominentes Beispiel ist der so genannte Vitamin-A-Reis. Zum Hintergrund: Reis ist für Arme, etwa in den Philippinen, vom Grundnahrungsmittel zum einziges Lebensmittel geworden. Das führt zu gravierenden Gesundheitsfolgen bis zur Erblindung vor allem von Kindern. Mittels gentechnisch angereichertem Vitamin A im Reis wollen ForscherInnen dafür eine Lösung finden. Dem halten KritikerInnen entgegen, dass Vitamin-A-Mangel sich auch ohne diese Millionen schwere Forschung angehen lässt, im akuten Fall durch billige Vitamin-A-Pillen und mittelfristig, wenn neben Reis auch vitaminreiches Palmöl oder Blattgemüse auf die Teller der Armen kommt.

Leise Bedenken

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer verschließt sich den Versprechen der Gentechnik-Branche für die Zukunft nicht und äußerte im Deutschlandfunk die Hoffnung, "dass... möglicherweise weltweite Hungersnöte mit der Gentechnik bekämpft werden könnten? Das sind Perspektiven, die müssen wir doch als hochentwickeltes Land erforschen."(2) Die Haltung im Bundeslandwirtschaftsministerium hat sich ausdifferenziert. Vor allem die CSU kommt in den letzten Monaten den gentechnikkritischen VerbraucherInnen und LandwirtInnen entgegen. Der CSU-Generalsekretär Marcus Söder hatte im Tagesspiegel sogar ein fünfjährigen Anbaustopp für gentechnische Pflanzen vorgeschlagen: "Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte über die ethischen Grenzen gentechnischer Eingriffe in die Natur."(3) Nach monatelangen Gesprächen gab es von Seiten der Saatgutindustrie keine Bereitschaft, für mögliche Verunreinigungen von herkömmlichen Ernten aufzukommen. Das wäre ein internationaler Präzedenzfall gewesen. In den USA werden LandwirtInnen von Monsanto wegen Verstößen gegen das Patentrecht verklagt, wenn Nachbarflächen mit gentechnischen Einkreuzungen verunreinigt sind und das Erntegut zur Wiederaussaat verwendet wird. Strenge Regeln in Europa würden kleinbäuerlichen Betrieben und Regierungen in Entwicklungsländern den Rücken stärken, die weiterhin ohne Gentechnik wirtschaften. Denn mächtige Partner und Qualitätsvorgaben wie "gentechnikfrei" für europäische Märkte unterstützen sie in ihrer Ablehnung von gentechnischen Nahrungsmittelhilfen aus den USA.

Kompetenzbildung in Entwicklungsländern

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) äußert sich selten zur Gentechnik. Im Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung schreibt Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul "Mit der modernen Biotechnologie sind einerseits Chancen im Hinblick auf Zuchtfortschritte und die Entwicklung neuer Produkte im Agrarbereich [...] verbunden. Für die Beseitigung der zumeist politischen Ursachen des Hungers – mangelnder Zugang zu Land, Saatgut, Wasser und unzureichende Einkommensmöglichkeiten – bietet die Biotechnologie indes keine Lösungsansätze." Gefördert werden in mehreren Ländern Programme zur Umsetzung des Cartagena-Protokolls. In dem Protokoll werden unter anderem Kennzeichnungsregeln bei Ein- und Ausfuhr von keimfähigem, gentechnisch verändertem Material geregelt. In Entwicklungsländern wird meist nicht zwischen der Verwendung als Lebensmittel oder als Saatgut unterschieden. Umso wichtiger ist es für Länder mit schwacher Verwaltung und Mangel an Laboren, die das Vorhandensein von GVO feststellen können, dass schon beim Import verständliche und genaue Kennzeichnungen beachtet werden. Während die Umsetzung des internationalen Regelwerks die Interessen der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stärken kann, ist ein thematisch ähnlich ausgerichtetes, bei der Weltbank angesiedeltes Projekt zu kritisieren.(4) Das Ziel des Global Environment Facility Programme besteht darin, bei der Umsetzung des Cartagena-Protokolls für den Anbau von gentechnischen Pflanzen einen Gesetzesrahmen zu erarbeiten. Das klingt zunächst harmlos. In der Praxis heißt das aber, dass Regierungen Schritte einleiten sollen, um ausgerechnet den Anbau jener gentechnisch veränderten Pflanzen wie Kartoffeln, Mais, Baumwolle und Cassava voranzutreiben, die ihren Ursprung in den beteiligten lateinamerikanischen Ländern haben. Die Regierungen werden dazu gedrängt, Gesetze zu verabschieden und den Anbau von Pflanzen freizugeben, ohne zuvor eine eigenständige Kosten-Nutzen-Analyse über Vor- und Nachteile von gentechnisch veränderten Pflanzen durchzuführen. Es geht nicht darum, das Saatgut und damit die Ernten vor gentechnischen Kontaminationen zu schützen, sondern durch den Anbau gentechnischer Pflanzen Fakten zu schaffen. Eine Verunreinigung anderer Ernten und der Quellen der biologischen Vielfalt im Land scheint dann nahezu unvermeidbar. Wenn das Programm Erfolg haben sollte, werden in einigen zentralen Ländern der biologischen Vielfalt nahezu unvermeidbar Fakten zur Ausbreitung gentechnischen Materials geschaffen, mit dem BMZ als drittgrößtem Geldgeber.
Der Beitrag ist der Broschüre "Magere Bilanz - Deutsche Hungerpolitik zehn Jahre nach dem Welternährungsgipfel" des Forums für Umwelt und Entwicklung entnommen. Er ist dort unter dem Titel "Hungerbekämpfung durch Gentechnik? Zwischen Forschungsförderung und leisen Bedenken " erschienen.Wir danken dem Forum für die freundliche Abdruck-Genehmigung. Die Broschüre ist im Oktober 2006, zehn Jahre nach dem Welternährungsgipfel der Ernährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen, erschienen. Sie beinhaltet sieben Beiträge unterschiedlicher AutorInnen, unter anderem MitarbeiterInnen von Brot für die Welt, Misereor oder FIAN. Die Broschüre kann von den Seiten des Forums für Umwelt und Entwicklung, im Internet unter www.forum-ue.de/fileadmin/userupload/publikatione…, heruntergeladen werden.

  1. Pressemitteilung der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften vom 29.05.2006 "Kampagne gegen die Grüne Gentechnik entbehren wissenschaftlicher Grundlage"
  2. Wissenschaftsforum der Zeit "Grüne Gentechnik" vom 29.06.2006 unter http://zeus.zeit.de/text/2006/28/wissenschaftsfor…
  3. Markus Söder "Nicht die Natur dem Kommerz opfern - Wir brauchen ein Moratorium bei der grünen Gentechnik" im: Tagesspiegel vom 16.06.2006; http://www.tagesspiegel.de/meinung/archiv/16.06.2… 2598882.asp
  4. Silvia Ribeiro "The World Bank against bio-security", Argenpress July 23, 2006; www.zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=13… =10624
Erschienen in
GID-Ausgabe
179
vom Dezember 2006
Seite 55 - 57

Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.

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