Bioökonomisches Wachstum
In ihren neuen Vorschlägen in Sachen Bioökonomie lässt die Kommission der Europäischen Union die Bereitschaft und so auch Ideen für dringend notwendige Partizipationsprozesse vermissen.
Im Februar veröffentlichte die Europäische Kommission mit „Innovating for Sustainable Growth: A Bioeconomy for Europe“ ihre neueste Version einer neuen Strategie für ein Ressourcen-schonendes Europa - die Bioökonomie.1 Das Dokument ist Grundlage für zukünftige Diskussionen in den europäischen Gremien, allen voran dem Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat. Europas Schaltzentrale übt sich darin in feinster Zukunfts-Prosa. So liest sich zum Beispiel die Antwort der EU-Kommission auf die - selbst gestellte - Frage, warum es für die EU notwendig sei, im Bereich der Bioökonomie aktiv zu werden, wie folgt: „Die Bioökonomie wird dazu beitragen, dass europäische wie weltweite Herausforderungen gelöst werden. (...) Dazu ist es notwendig, dass sich die EU angemessen mit ihren Aktivitäten befasst.“2 Eines der zentralen Ziele der Strategie ist Wachstum. Nachhaltiges Wachstum, grünes Wachstum, smartes Wachstum. „The Europe 2020 Strategy calls for a bioeconomy as a key element for smart and green growth in Europe.“ (...) „Establishing a bioeconomy in Europe holds a great potential: it can maintain and create economic growth and jobs in rural, coastal and industrial areas, reduce fossil fuel dependence and improve the economic and environmental sustainability of primary production and processing industries“.3 Der Vorschlag der Kommission sieht für die europäische Bioökonomie-Strategie drei Säulen vor: die Entwicklung von (a) neuen Technologien und Prozessen und (b) von Märkten beziehungsweise Konkurrenzfähigkeit in den Bioökonomie-Sektoren. Außerdem sollen (c) PolitikerInnen und andere Beteiligte - die so genannten „stakeholder“ - enger zusammenarbeiten - zentrale Punkte der Kommisionsvorschläge werden hier dargestellt.
Neue Technologien und Prozesse
Die Kommission sieht die europäische Wissenschaft als führend im Bereich der Biowissenschaften und Biotechnologien an. Um diesen Status zu verteidigen oder besser noch ausbauen zu können, müsse die EU jedoch - nach Einschätzung der Kommission - erhebliche Anstrengungen unternehmen. In der aktuellen Strategie stehen Forschung und Entwicklung für Bioökonomie im engen Kontext mit einer anderen aktuellen EU-Initiative: dem Forschungsprogramm „Horizont 2020“ 4, das die Kommission im November des vergangenen Jahres vorstellte. Viereinhalb Milliarden Euro sind dort zum Beispiel für die „gesellschaftliche[n] Herausforderung[en]“ Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Landwirtschaft, marine und maritime Forschung und Bioökonomie vorgesehen. Zudem sollen auch in den Mitgliedsländern erhebliche Fördersummen bereitgestellt werden. Ohne Vorbehalte wirbt die Kommission für Unterstützung für privat-öffentliche Partnerschaften, die so genannten Public Private Partnerships.5
Entwicklung von Märkten und Konkurrenzfähigkeit
„This will deliver direct benefits to citizens, such as food security and sustainability, sustainable agriculture, secure and clean efficient energy and the transition to a resource-efficient, low-carbon economy.“6 Die Kommission ist der Ansicht, dass die bio-basierte Industrie in Europa in Zukunft nur dann konkurrenzfähig sein kann, wenn sie mehr Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringt. Die Rohstoffe sollen in erster Linie einer nachhaltig zu gestaltenden Intensivierung der Primärproduktion entstammen. Standardisierungen für Produkte und deren Bewertung im Sinne der Nachhaltigkeit sollen entwickelt werden.
Engere Zusammenarbeit von PolitikerInnen und anderen Beteiligten
Die Kommission betont die Notwendigkeit der Kooperationen zwischen den an der Bioökonomie Beteiligten. Schaut man in die Stakeholder-Liste, bleibt kein Europäer, keine Europäerin außen vor: ForscherInnen, PolitikerInnen, Zivilgesellschaft und VerbraucherInnen - man könnte auch sagen die Sonstigen. (Was war noch einmal ein Bauer?) Tatsächlich wird auch in diesem Abschnitt vor allem - und unabhängig von einzelnen Forschungsgebieten - die intensivierte Kooperation zwischen Wirtschaftsunternehmen und staatlichen wissenschaftlichen Institutionen gefordert. Zum Zweck der besseren und engeren Kooperation will die EU-Kommission einen Bioökonomie-Ausschuss und einen Beobachtungsmechanismus etablieren; regelmäßige Stakeholder-Konferenzen sollen organisiert werden.
Seit 2004 ohne Beteiligung
Die Bioökonomie schwirrt jetzt schon ein paar Jahre durch Brüssel: Der GID griff das Thema zum Beispiel 2004 auf, als die EU-Technologieplattform „Pflanzen für die Zukunft“ konzipiert wurde. Unser damaliger Autor Benno Vogel kritisierte - schon damals - die starke Ausrichtung auf die industriellen Partner-Unternehmen in diesem Forschungsverbund. Das gehe zwangsläufig einher mit unbefriedigenden Partizipationsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Gruppen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und andere interessierte BürgerInnen. Daran hat sich bis heute praktisch nichts geändert, an diesem Punkt ist die Kommission schmerzfrei. So wird zum Beispiel mit keinem Wort erwähnt, dass sich in verschiedenen Ländern der EU Nichtregierungsorganisationen über mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten beschwert haben.7 Im vergangenen Jahr führte die Kommission zudem ein Konsultationsverfahren durch, an dem - theoretisch - alle EU-BürgerInnen hätten teilnehmen können. Schlussendlich wird die Bevölkerung der EU durch 200 Antworten repräsentiert. Drei Viertel der Beteiligten gaben an, aus der Privatwirtschaft oder akademischen Einrichtungen zu kommen. Wie auch bei anderen Dokumenten, von denen sich die EU-Kommission für das neue Bioökonomie-Strategie-Papier inspirieren ließ, bleibt die kritische Auseinandersetzung mit der Quellenlage in der Zusammenstellung der Ergebnisse dieser Konsultation sehr dünn. In den neuen Vorschlägen der Kommission finden sich zum Beispiel Verweise auf Berichte oder Abschlusserklärungen von Bioökonomie-Konferenzen, die von verschiedenen Mitgliedsländern im Rahmen ihrer jeweiligen EU-Ratspräsidentschaften durchgeführt worden waren (Großbritannien 2005, Deutschland 2007 und Belgien 2010). Zu der Zusammensetzung der TeilnehmerInnen dieser Konferenzen und deren Repräsentativität beziehungsweise der AutorInnenschaft der Berichte wird jedoch mit keinem Wort Stellung genommen wird. Das damalige Treffen in Köln - im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - war weit davon entfernt, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und bei der Entwicklung von Ideen zur Bioökonomie mitzunehmen. Vielmehr trafen sich die „üblichen Verdächtigen“ aus Industrie, Wirtschaft und Verwaltung. Entsprechend ist der Tenor der damals verabschiedeten Erklärung, des „Cologne Paper“ biotech- und industriefreundlich. Unter anderem dieses weitgehende Fehlen von kritischer Distanz der Kommission lässt in Kreisen der Nichtregierungsorganisationen seit Jahren reflexartig die Alarmglocken klingeln, wenn von Bioökonomie die Rede ist. Hierbei ist jedoch die praktisch einhellige Ablehnung der europäischen Aktivitäten im Kontext der Bioökonomie ist in gewisser Weise verwunderlich. Gegen das grundsätzliche Ziel, die europäische Wirtschaft auf einen Ressourcen-schonenden Kurs abseits fossiler Energie zu bringen, sollte zum Beispiel von Umweltorganisationen nicht nur nichts einzuwenden sein - eigentlich ist das sogar ein originäres Ziel der Umweltbewegung. Ein weiterer Punkt für Kritik ist, dass die EU-Kommission immer wieder an entscheidenden Wegmarken vorangeschritten ist, ohne eine Vorstellung von umfassenden Partizipationsrechten vermitteln zu können. Entsprechendes gilt auch in den Mitgliedsstaaten. Nur mit umfassenden Partizipationsrechten wird es der Kommission und den Regierungen der Mitgliedsstaaten gelingen, Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen überhaupt an den Tisch zu bekommen. Bleiben sie fern, wird der Umbau der Gesellschaft nicht funktionieren. Folgt man Helen Wallace von der britischen Nichtregierungsorganisation Genewatch UK, dann gehen die Wurzeln der europäischen Bioökonomie-Konzepte auf die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zurück. Diese habe in den 1980ern und 1990ern das Konzept der wissensbasierten Ökonomie (knowledge based bioeconomy - KBBE) entwickelt (beziehungsweise aus US-amerikanischen Vorläufern abgeschrieben). Im Konzept der wissensbasierten Ökonomie sei der Anteil der wissensbasierten Bioökonomie zu Beginn der 2000er Jahre zu einem bedeutenden Bereich angewachsen.8 Die zunehmende Bedeutung der wissensbasierten Bioökonomie wird nicht zuletzt durch massive Forschungsförderung deutlich. Die seit 2004 zu einem der zentralen Elemente der EU-Forschungsförderung aufgestiegenen Technologieplattformen geben ein gutes Bild: In elf von dreißig spielen Biotechnologien eine Rolle. Auch Wallace kommt letztendlich zu dem Schluss, dass in erster Linie die Kooperation zwischen Wissenschaft und (Privat-) Wirtschaft gefördert wird - zivilgesellschaftliche Gruppen demgegenüber werden in dieser Art der Forschungsförderung marginalisiert.
Klare Worte zum Stand der Dinge
Was der Kommission allerdings nicht vorgeworfen werden kann, ist dass sie bei der Beschreibung der bestehenden Probleme schwache Formulierungen wählt. „Europa benötigt“, nach ihrer Einschätzung, „einen radikalen Wechsel seiner Einstellung zu Produktion, Konsum, Verarbeitung, Lagerung, Recycling und Deponierung seiner biologischen Ressourcen.“ Europa sei mit einer „beispiellosen und nicht nachhaltigen Nutzung seiner natürlichen Ressourcen (...) und fortgesetztem Verlust seiner Biodiversität“ konfrontiert, „was die Stabilität der Lebenssysteme schädigt, auf die es angewiesen ist.“9 Unter anderem die Aussicht auf massive Nutzungskonkurrenz bei der Verwertung von nachwachsenden natürlichen Ressourcen scheint die Kommission als zentrales Problem erkannt zu haben. Das will sie nun intensiver bearbeiten lassen will. Doch die Rezepte, die dafür bereitstehen kommen buchstäblich aus dem letzten Jahrhundert: Denn Brüssel setzt weiter vorbehaltlos auf Wachstum. Das Wachstum soll in erster Linie durch Innovationen und diese wiederum durch Forschung und Entwicklung in Industrie-geleiteten Verbünden ermöglicht werden. In Anbetracht weltweit zunehmender Kritik an „Wachstum“ ist dieses vorbehaltlose Festalten verwunderlich. Da die Wachstumslogik aufrecht erhalten bleibt, wird die Kopplung des Themas Bioökonomie an andere Politikprozesse - zum Beispiel an die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU - entsprechend nicht zu der im Grunde notwendigen Wurzelbehandlung des praktisch alle nachwachsenden Ressourcen produzierenden Sektors: der europäischen Landwirtschaft beziehungsweise der sie steuernden Agrarpolitik. Oft bleibt es bei Prosa, die die Realität in rosa Plüsch einschlägt: „Ein Bioökonomie-Interaktionsmodell wird eingerichtet, das auf bereits bestehende Strukturen [der EU] aufbauen wird, um die Bioökonomie durch die Entwicklung von Synergien und sich ergänzenden Aktivitäten und durch besser informierte Dialoge über die Politiken und Programmen zu unterstützen. Es wird den Zugang zu Ressourcen erleichtern, gemeinsame Maßnahmen entwickeln, die Stakeholder beteiligen und die Fortschritte beobachten und bewerten.“10
- 1Etwa: Innovation für ein nachhaltiges Wachstum: Eine Bioökonomie für Europa. Dokument COM(2012) 60 final der EU-Kommission vom 13.02.12. Ergänzend liegen ein erklärendes, so genanntes Staff Working Document, ein zusammenfassendes MEMO (12/97 vom 13.02.12) und eine Pressemitteilung (IP/12/124 vom 13.02.12) vor. Im Netz auf den Seiten EU-Kommission www.ec.europa.eu/research/ bioeconomy > Press > Press releases.
- 2„The Bioeconomy will contribute to tackling European and worldwide challenges (...) which thus require EU action to be addressed appropriately.“
- 3Dokument COM (2012) 60 final der EU-Kommission vom 13.02.12 , Seite 2. Siehe Fußnote 1. Primärproduktion umfasst hier Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Aquakultur.
- 4„Horizont 2020: Europäische Kommission schlägt vor, zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung 80 Mrd. EUR in Forschung und Innovation zu investieren “. Pressemitteilung (IP/11/1475) der EU-Kommission, 30.11.11, im Netz unter: www.europa.eu/index_de.htm > Press releases.
- 5Zu Public Private Partnerships siehe zum Beispiel den Artikel „Der Wirtschaftstrojaner“ in der tageszeitung vom 27.01.12, im Netz unter: www.taz.de/!86563.
- 6MEMO-12-97, siehe Fußnote 1.
- 7Zum Beispiel in Deutschland und Großbritannien.
- 8Siehe zum Beispiel den Artikel „Zeit für Veränderung“ von Helen Wallace im GID 202, Oktober 2010, im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/202/wallace/zei…. Die Abkürzung OECD steht für den englischen Namen Organisation for Economic Co-operation and Development.
- 9Dokument COM(2012) 60 final der EU-Kommission vom 13.02.12 , Seite 2. Siehe Fußnote 1.
- 10Staff working document vom 13.02.12, siehe Fußnote 2. „A bioeconomy interaction model will be established, building on existing structures, to promote the bioeconomy by developing synergies, complementarities and a more informed dialogue on policies and programmes, increasing the availability of resources, developing joint actions, involving stakeholders, and monitoring and reviewing progress.“
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.