Blankoscheck für neue Gentechnik-Pflanzen?

Deregulierungs-Vorschlag der EU-Kommission zurückweisen

Der Anfang Juli durch die EU-Kommission veröffentlichte Gesetzesvorschlag zu den neuen Gentechniken (NGT) ist auf deutliche Kritik gestoßen. Denn kommt der Vorschlag durch, würden zukünftig NGT-Pflanzen intransparent, ungeprüft und unkontrollierbar in Saatgut, Lebensmittelerzeugungskette und Umwelt gelangen.

Fahne EU

Foto: gemeinfrei auf pixabay.com

Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission „wäre das Aus der gentechnikfreien Landwirtschaft – konventionell und ökologisch,“ kommentierte die AbL und forderte die Bundesregierung und das Europaparlament auf, den Gesetzvorschlag zurückzuweisen.1 Aber was genau sind die Pläne der Kommission? Der Gesetzesvorschlag bezieht sich auf Pflanzen, die mit neuen Gentechnik-Verfahren, wie zum Beispiel CRISPR hergestellt werden. Anstatt weiterhin alle NGT-Pflanzen entsprechend der 2001 erlassenen Gesetzgebung zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zu regeln, soll es zukünftig drei Kategorien geben. Dabei sollen dann nur noch Pflanzen in der Kategorie 3, und zwar transgene GVO, also solche wo „artfremde Gene“ in das Genom eingebracht wurden, nach bestehendem EU-Gentechnikrecht reguliert werden.

Kategorie 1 – Pflanzen komplett unreguliert

Die Kategorie 1 soll NGT-Pflanzen umfassen, die „auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ erzeugt werden könnten.2 Das Kriterium soll bis zu 20 „kleine“ Veränderungen am Erbgut sein. Damit könnten Gene ein- oder ausgeschaltet oder in ihrer Funktion verändert worden sein. Aber schon eine einzelne kleine Veränderung kann große Auswirkungen im Organismus haben. Diese Einteilung ist deswegen wissenschaftlich fragwürdig.

Solche NGT-1-Pflanzen sollen von der Regulierung nach EU-Gentechnikrecht komplett ausgenommen werden. Das würde bedeuten: Keine Risikobewertung, kein Zulassungsverfahren, in dem die Mitgliedstaaten ihr Votum abgeben können. Damit entfiele auch die bisherige Nulltoleranz für nicht zugelassene GVO in Saatgut, Lebens- und Futtermitteln. Es soll lediglich eine öffentlich zugängliche Datenbank geben und eine Kennzeichnung am Saatgutsack – mehr nicht. Für NGT-1-Pflanzen gäbe es keine verpflichtende Kennzeichnung entlang der Erzeugerkette. Gentechnik-Anwender*innen müssten keine Nachweisverfahren mehr liefern. Damit würde eine Rückverfolgbarkeit und Rückholbarkeit ausgeschlossen. Die Transparenz über den Anbauort, ob kommerziell oder zu Experimenten (Standortregister), würde abgeschafft. Anbau- und Koexistenzregeln, die Gentechnik-Kontaminationen verhindern sollen, gäbe es nicht mehr, und auch kein Monitoring, dass das Verhalten der GVO in der Umwelt beobachtet. Haftungsregelungen zum Schadensausgleich bei Kontaminationen würden abgeschafft. Auch nationale oder regionale Verbote, bspw. aufgrund später festgestellter Umweltgefahren oder aus sozio-ökonomischen Gründen, sollen nicht mehr möglich sein.

Kommt dieser Vorschlag durch, könnte es zu einer massiven Freisetzung zu experimentellen Zwecken und zum Anbau von NGT-1-Pflanzen kommen. Voraussichtlich würde der allergrößte Teil der zu erwartenden NGT-Pflanzen in die Kategorie 1 fallen – über 95 Prozent. Unser Saatgut und unsere Ernten sowie die gesamte Lebensmittelerzeugung wären einem sehr hohen Kontaminationsrisiko ausgesetzt.

Sonderrolle Ökolandbau

Im Ökolandbau sollen laut Kommissionsvorschlag solche NGT-1-Pflanzen allerdings weiter verboten sein. So sieht es auch die EU-Öko-Verordnung vor und es ist Position der Öko-Verbände. Aber Achtung: Für den Ökolandbau soll es genauso wie für die konventionell wirtschaftenden Betriebe keinerlei Möglichkeiten mehr geben, Kontaminationen zu verhindern, weil alle Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit, zum Schutz und zur Haftung abgeschafft werden sollen. Selbst wenn der Ökolandbau sich eine eigene Kette aufbauen würde, was extrem teuer und aufwendig wäre, würde das kaum helfen. Kontaminationen der gentechnikfreien Erzeugung sind vorprogrammiert, wenn niemand weiß, ob auf den Nachbarfeldern NGT-Pflanzen wachsen.

Kategorie 2 – unkonkretes Dazwischen

In Kategorie 2 würden jene NGT-Pflanzen fallen, die mit „gezielter Mutagenese oder Cisgenese erzeugt wurden und quasi zwischen Kategorie 1 und 3 liegen.“ Klingt unkonkret, ist es auch. Solche NGT-2-Pflanzen sollen entsprechend ihres „Risikoprofils“ angepasst reguliert werden.2 Es gibt keine rechtliche Definition des neu eingeführten Begriffs „Risikoprofil“. Vorgesehen ist, dass auf Grundlage der Angaben der Antragsteller*innen (!) Risikoprognosen erstellt werden. Nur bei „plausiblen Hinweisen“ auf Risiken soll eine umfassende Risikobewertung erforderlich sein. Betrachtet werden sollen aber nur die „beabsichtigten“ Veränderungen. Auch das ist ein Paradigmenwechsel, weil so mögliche unbeabsichtigte Veränderungen im Genom oder Stoffwechsel nicht mehr untersucht werden müssen – obwohl erfahrungsgemäß auch hier unerwartete Effekte für den Organismus selber und entsprechend für Mensch, Tier oder Umwelt entstehen können.

Entsprechend ihres „Risikoprofils“ sollen NGT-2-Pflanzen dann ein „angepasstes“ Anmeldeverfahren durchlaufen. Neben der abgeschwächten Risikoprüfung soll ggf. die im bisherigen Gentechnikrecht verankerte Pflicht zur Vorlage eines Nachweisverfahrens entfallen oder angepasst werden, sofern die Antragsteller*innen „belegen“, dass ein derartiger Nachweis technisch nicht möglich sei. NGT-2-Pflanzen sollen weiterhin als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet werden müssen. Das Monitoring möglicher Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit wird aber deutlich reduziert. Nach zehn Jahren soll eine erneute Prüfung erfolgen, danach gibt es keine zeitliche Zulassungsbegrenzung mehr.

Kernprobleme: Koexistenz, Innovationsblockade und untergrabene Souveränität

Für die Koexistenz – also ein Nebeneinander von konventioneller und Gentechnik-Landwirtschaft – hingegen sollen die Mitgliedstaaten selbst zuständig sein. Sie sollen Maßnahmen zur Vermeidung von Kontamination in den gentechnikfreien Erzeugnissen treffen. Allerdings werden die Voraussetzungen dafür – Kennzeichnungspflicht durch die gesamte Wertschöpfungskette, verpflichtende Nachweisverfahren, Rückverfolgbarkeit, Standortregister, Anbau- und Haftungsregelungen und Monitoring – immens eingeschränkt bzw. abgeschafft.

Hinzu kommt die mit Einführung von NGT-Pflanzen einhergehende neue Patentierungswelle. Schon jetzt sind Patente ein massives Problem für die Züchter*innen, da Patente den Zugang zu genetischen Ressourcen verhindern. Die freie Nutzung vielfältiger pflanzengenetischer Ressourcen wird durch Patente ausgehebelt. Dadurch werden auch die Biodiversität und die Vielfalt auf dem Acker weiter eingeengt und zerstört. Der Nachbau wird durch Patente an Lizenzvereinbarung gekoppelt, die mit Mehrkosten für die Bäuer*innen einhergehen. Das alles ist innovationshemmend und nimmt die Möglichkeit, tatsächlich resiliente und anpassungsfähige Pflanzen zu züchten und Anbausysteme zu entwickeln. Auch die Patentierung von Saatgut ist deshalb unbedingt zu stoppen.

Der Gesetzestext ist als Verordnung geplant, statt wie bisher als Richtlinie. Verordnungen müssen grundsätzlich direkt in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Diese hätten keine Möglichkeit mehr, bspw. im Falle einer anderen Einschätzung des Risikos, selber Maßnahmen zu erlassen. Den Mitgliedstaaten wird auch die Opt-out-Möglichkeit für NGT entzogen, also Verbotsmöglichkeiten aufgrund von sozio-ökonomischen Gründen. Zudem sollen sämtliche zukünftige Änderungen der Verordnung allein durch die Kommission vorgenommen werden. Bei solchen „Delegierten Rechtsakten“ haben das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten kein Mitspracherecht und würden bei zukünftigen Entscheidungen außen vorgelassen.

Vorschlag komplett zurückweisen

Die AbL hält den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission für verantwortungslos, da er eine nahezu vollständige Deregulierung von NGT-Pflanzen vorsieht. Das wäre das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft. Das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip würden ausgehebelt. Die Gentechnik-Konzerne bekämen einen Blankoscheck, sie könnten ihre Gentechnik-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrolliert in unser Saatgut, auf unsere Äcker und Teller bringen. Sie könnten sich ihre Profite sichern – für abzusehende Folgeschäden der Risikoprodukte müssten letztendlich die Bäuer*innen und die Gesellschaft aufkommen. Bäuer*innen, Züchter*innen, Verarbeiter*innen und der Handel hätten keinerlei Möglichkeiten mehr, ihr Saatgut, ihre Ernten und Produkte vor Gentechnik-Kontaminationen zu schützen. Auch die Wahlfreiheit wäre passé, wir alle könnten nicht mehr selbstbestimmt entscheiden, was wir züchten, anbauen, verarbeiten und essen. Der Verbraucher*innenwunsch, sich auch weiter gentechnikfrei zu ernähren, wird missachtet. Deshalb fordert die AbL die Zurückweisung des Gesetzesvorschlags und eine Beibehaltung der bestehenden Gentechnik-Regulierung auch für die neuen Gentechniken.

Die Ampel-Parteien zeigten sich uneins in ihren Reaktionen auf den Gesetzesvorschlag. Während das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung signalisiert, warnte der grüne Abgeordnete Karl Bär vor dem „Ende der ökologischen Landwirtschaft“.3 Nach Einschätzung des SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch wäre dies „das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft. Denn die neuen Gentechniken kämen ohne Kennzeichnung in die Lebensmittelkette und auf die Teller (…) Das macht die SPD nicht mit.“4

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sieht das kritisch: „[Es] braucht wirksame Koexistenzmaßnahmen über die gesamte Wertschöpfungskette, um beiden Bereichen, also mit Agrogentechnik und ohne, weiterhin ihr Auskommen zu gewährleisten und Haftungsrisiken nicht den Unternehmen zuzumuten, die gentechnikfrei wirtschaften wollen. Kurz gesagt: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können.“5

Uns steht also eine spannende Auseinandersetzung bevor. Alle Parteien sind gefragt, klar Stellung zu beziehen – im Europaparlament und in den Mitgliedstaaten. Bäuer*innen und die gesamte Zivilgesellschaft sind gefragt, aktiv zu werden, damit diese Pläne nicht durchkommen. Packen wir es an!

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
266
vom August 2023
Seite 22 - 23

Annemarie Volling ist Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dort zuständig für die Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie Saatgut und Patente.

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