Technologische Fixes für wicked problems?

Innovationsnarrative in der Landwirtschaft

Zwei Beispiele zeigen, wie die Idee einer einfachen technologischen Lösung für sozial-ökonomische und sozial-ökologische Herausforderungen allen Widersprüchen trotzt. Diese Vorstellung von technologischen Ansätzen steht einer wirklichen Problemanalyse und nachhaltigen Transformation im Wege.

Zu sehen sind mehrere Reihen Salat in einem Gewächshaus, die in einem hydroponischen System angebaut werden.

Klimawandel, Umweltdegradation und gesellschaftliche Neuorientierung erhöhen den Druck auf landwirtschaftliche Produktionssysteme. Technologische Ansätze sollen Lösungen bieten, sind aber meistens zu einseitig und am tatsächlichen Bedarf vorbei konzipiert. Foto: Gemeinfrei auf pixabay.com

Landwirtschaftliche Produktionssysteme sind global vielfachem Druck zur Veränderung ausgesetzt. Klimawandel, Umweltdegradation, sich wandelnde Konsumgewohnheiten sowie daraus resultierende Diskurse zu Nachhaltigkeit und Transformation unterstreichen einerseits die Notwendigkeit zur Transformation und erhöhen andererseits den Druck, unter dem diese Produktionssysteme und ihre Beteiligten stehen. Während sich sowohl in Deutschland als auch auf globaler Ebene viele Akteur*innen einig sind, dass die derzeitige Konfiguration landwirtschaftlicher Produktionssysteme Veränderungen bedarf, so besteht eine große Uneinigkeit über die Form und Ausgestaltung der Transformationen. Da es sich bei Nachhaltigkeitsproblemen um sogenannte wicked problems 1, 2 handelt, sind die Ideen über mögliche Lösungswege subjektiv von der sozialen Position dieser Akteur*innen und von ihren normativen Überzeugungen geprägt.

In Bezug auf die Gestaltung dieser Transformationen sind viele Beteiligte von der Vorstellung sogenannter technologischer Fixes überzeugt. Diese fußen auf der Auffassung, dass sozial-ökologische oder sozial-ökonomische Probleme von öffentlichem Interesse durch technologischen Fortschritt und Entwicklung gelöst werden können.3 Im Folgenden wollen wir darauf eingehen, wie sich diese abstrakte Vorstellung in Innovationsnarrativen empirisch überprüfbar zeigt und inwiefern technologische Fixes mit Limitationen und Risiken in Bezug auf die Lösung dieser Probleme einhergehen. Diese werden anhand zweier Beispiele unserer eigenen Forschung zu bioökonomischen Innovationen der Gülle-Nachverwertung in Deutschland und zu biotechnologischer Baumwolle in Indien beleuchtet.4

Technologische Fixes

In neoliberalen Ordnungen werden sozial-ökologische und sozial-ökonomische Probleme von öffentlichem Interesse häufig als unpolitisch und als entkoppelt von ihrer sozialen oder kulturellen Einbettung verstanden. Stattdessen werden sie als eine Frage von technologischem Fortschritt und Design dargestellt. Die Überzeugung von technologischen Fixes reicht bis in die Anfänge technischer Erfindungen, welche das soziale Leben beeinflusst haben und gleichzeitig mit der Hoffnung zur Lösung von verschiedenen Problemen einhergingen. Die Vorstellung von technologischen Fixes ist dabei zutiefst in den Neoliberalismus eingeschrieben. Sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene ruft sie bei Akteur*innen immer neue Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung von immer neuen Technologien und deren Leistungsvermögen hervor, welche oftmals die Basis für Investitionen und Wachstum bilden.5

Deutlich werden diese Vorstellungen und Überzeugungen in Innovationsnarrativen, d.h. Erzählungen, wie sie Akteur*innen nutzen, um ihre innovativen Entwicklungen gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren und zu legitimieren. Diese Innovationsnarrative stellen für uns den empirisch zugänglichen Rahmen dar, um die erwähnten Vorstellungen von technologischen Fixes zu untersuchen. Dabei stützen wir uns auf zwei Fallstudien in Indien und Deutschland und die Narrative bioökonomischer Innovationsakteur*innen. Diese Akteur*innen beschreiben ihr Innovationsdesign als Lösung von sozial-ökologischen sowie sozial-ökonomischen Problemen. In der deutschen Fallstudie stehen dabei sozial-ökologische Folgen intensiver Tierhaltung, wie die Eutrophierung (Übermaß an Nährstoffanreicherung) von Gewässern durch die Ausbringung von Gülle in Regionen Nordwestdeutschlands, im Fokus. Hier resultiert die Eutrophierung von Gewässern in Biodiversitätsverlust, während im Kontext einer global verflochtenen Tierhaltung an anderen Orten Nährstoffe fehlen. Somit werden in dieser Studie explizit zwei planetare Grenzen thematisiert, die sich derzeit in einem hoch riskanten Zustand befinden: die biogeochemischen Flüsse von Stickstoff und Phosphor und die Integrität von Biodiversität.6 Die in Indien angesiedelte Fallstudie konzentriert sich auf ländliche Existenzen von Landwirt*innen, die gentechnisch veränderte Bt (Bacillus thuringiensis) Baumwolle anbauen. Die Einführung dieser 2002 in Indien zugelassenen Baumwolle wurde von Studien begleitet, welche zunächst eine positive Wirkung der Bt-Baumwolle auf die ökonomische Situation von Landwirt*innen beschrieben.7 Neuere Untersuchungen bewerten die Nutzung der gentechnisch veränderten Baumwollvariante jedoch zunehmend als kritisch und als Treiber von Armut.8

Ergebnisse der Studie

Unsere Studie zeigt, dass Innovationsnarrative stark vom Kontext der untersuchten Innovationen abhängen. Im Fall des Innovationsdesigns der Gülle-Verwertung in Deutschland zeigt sich, dass sich die Narrative vornehmlich auf die Lösung sozial-­ökologischer Probleme der Tierhaltung und Landwirtschaft beziehen. Beispielhaft zeigt sich dies in der innovativen Verwertung von Gülle in einem handelsüblichen Dünger, wodurch die energieintensive Produktion von Düngemitteln durch andere Verfahren substituiert werden könnte. Dies bildet exemplarisch gesellschaftliche Diskurse über Nachhaltigkeit in Deutschland ab, die oft durch Fragen der Effizienz geprägt sind. In Indien beziehen sich die Narrative vornehmlich auf sozial-ökonomische Themen der ländlichen Entwicklung, wie Ernährungssicherheit sowie Armut und Arbeitsbelastung von Landwirt*innen. Dieser Fokus repräsentiert ebenfalls einen dort vorherrschenden Diskurs, der die Bekämpfung von Armut und Unter- bzw. Mangelernährung insbesondere der ländlichen Bevölkerung thematisiert.

Im Rahmen der vergleichenden Auswertung empirischer Daten haben wir einerseits den thematischen Fokus der Narrative sowie deren diskursive Einbettung analysiert. Andererseits wurden Veränderungen der Narrative im zeitlichen Verlauf der technologischen Innovation und deren Marktintegration – von der Einführung der Technologie in den Markt über ihre Nutzung durch Konsument*innen, und im Fall der Bt-Technologie bis hin zu ihrem praktischen Versagen – nachverfolgt. Dabei zeigt unsere Studie insbesondere im Hinblick auf das indische Fallbeispiel9, dass die Narrative sich an verändernde diskursive und realweltliche Settings anpassen. In Indien kam es in den letzten Jahren zu einem Wiederauftreten des roten Baumwollkapselbohrers, gegen den die Bt-Baumwolle resistent zu sein versprach.10 Trotz des Wiederaufkommens des Ziel-Schadinsekts bauen kleinbäuerliche Betriebe aufgrund der Alternativlosigkeit des Saatgutangebots und der Versprechen der Innovationsnarrative weiterhin Bt-Baumwolle an, wodurch sie in einen „Armutskreislauf geraten sind“.11 Konsequenterweise wurden die Narrative, welche die Technologie als „armutsbekämpfend“ konstruierten, angepasst. In diesem Prozess der Anpassung haben sich zwar die Narrative verändert, jedoch nicht die Auffassung, dass die Technologie sozial-ökonomische Probleme von Armut lösen kann. Im vorliegenden indischen Fall wird somit das Auftreten des Baumwollkapselwurms als ein „Management-Problem“ der landwirtschaftlichen Betriebe gedeutet, und nicht etwa als eine Folge der „Haltbarkeit“ dieser Technologie.8 Dies zeigt exemplarisch, wie fest Vorstellungen von technologischen Fixes in landwirtschaftlichen Settings als ein Produkt neoliberaler Ordnungen eingeschrieben sind.

Ein Hindernis für tatsächliche Lösungen

Dieses Festhalten an der Überzeugung von technologischen Fixes entgegen aller Widrigkeiten (und teilweise auch Widersprüche) stellt ein Hindernis für die Entwicklung von Lösungen von komplexen sozial-ökologischen und sozial-ökonomischen Problemen, insbesondere hinsichtlich dringend notwendiger Nachhaltigkeitstransformationen, dar. Gleichzeitig birgt diese reduktionistische Vorstellung hinsichtlich der Lösungsmöglichkeiten von wicked problems das Risiko, die „Zukunft zu kolonisieren“.12 Diese „Kolonisierung“ zeigt sich in der Schaffung von Pfadabhängigkeiten, die den künftigen Handlungsspielraum für individuelle Akteur*innen verkleinert. Dies ist insofern eine gesellschaftliche Herausforderung, als dass die gesellschaftlich fest eingeschriebene Vorstellung von technologischen Fixes einer tatsächlichen Lösung sozial-ökologischer Umweltprobleme und sozial-ökonomischer Konstitutionen des ruralen Lebens zuwiderläuft. Die Veränderung dieser Vorstellungen gestaltet sich jedoch insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Überzeugungen tief in den Neoliberalismus eingeschrieben sind und historisch in Praktiken institutionalisiert wurden, sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich, als schwierig. Entsprechend häufig werden Lösungen von sozial-ökologischen und sozial-ökonomischen Problemen durch technologische Fixes imaginiert.13 Um die Zukunft wieder zu öffnen, d.h. diese reduktionistischen Vorstellungen der Lösung von nachhaltigkeitsrelevanten Problemen durch Technologien zurückzuweisen, bedarf es verschiedener Ansätze.

Grundsätzlich muss erkannt werden, dass nachhaltigkeitsrelevante Probleme in der Landwirtschaft „wicked“ sind und es demnach verschiedene Sichtweisen auf mögliche Lösungen und Ursachen gibt.14 Um diesen verschiedenen Perspektiven gerecht zu werden, sind gesellschaftliche Aushandlungsräume vonnöten, in denen diese unterschiedlichen Vorstellungen (im Hinblick auf Ursachen und Lösungen) debattiert und potenzielle Risiken von technologischen Entwicklungen antizipiert werden können. Dies birgt das Potenzial, dass wicked problems auch im Hinblick auf ihre politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Einbettungen beleuchtet und ausgehandelt werden können. Weiterhin ist es im Hinblick auf landwirtschaftliche Herausforderungen riskant, wenn sich gesellschaftliche Akteur*innen auf technologische Fixes zur Lösung solch komplexer Probleme, deren Ursachen oft noch nicht in Gänze verstanden sind, verlassen. Die Folgen der technologischen Entwicklungen sind oft nicht vorherzusehen, werden in Innovationsnarrativen jedoch als absehbar und „managebar“ beschrieben. Demnach sind Ansätze gefordert, die der Komplexität dieser Herausforderungen, der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen und der Normativität, die ihren Lösungen inhärent ist, gerecht werden. Nur so kann die Zukunft wieder „geöffnet“ und sozial-ökologische und sozial-ökonomische Probleme von öffentlichem Interesse nachhaltig gelöst werden.

Die Implementierung von Realwelt-Labor-Forschung oder transdisziplinären Forschungsprojekten, insbesondere im Hinblick auf Innovationsdesign und die Aushandlung verschiedener subjektiver Sichtweisen, könnte hierzu einen Beitrag leisten. Eine Möglichkeit stellt vor allem die Zusammenarbeit mit Landwirt*innen, sowohl in Deutschland als auch Indien dar, deren Erfahrungswissen zur Lösungsaushandlung im Dialog mit gesellschaftlichen Akteur*innen, wie Vertreter*innen von Umweltverbänden und Zivilgesellschaft, genutzt werden kann und sollte. Integrative Ansätze dieser Art haben das Potenzial zu nachhaltigen Lösungen für Probleme in der Landwirtschaft beizutragen. Gleichzeitig kann dadurch eine Legitimation der Lösungswege erwirkt werden. Machtverhältnisse, welche neoliberale Überzeugungen und deren realweltliche Probleme reproduzieren, können somit im Kontext von gerechten, nachhaltigkeitsorientierten Transformationen hinterfragt werden.

  • 1Duckett, D. et al. (2016): Tackling wicked environmental problems: The discourse and its influence on praxis in Scotland. In: Landscape and Urban Planning, Vol 154(8), S.44-56, www.doi.org/10.1016/j.landurbplan.2016.03.015.
  • 2„Wicked“ heißt auf Deutsch böse oder schlimm. Nachhaltigkeitsprobleme werden in der Forschung oft als „wicked problems“ bezeichnet, weil es sich dabei um komplexe Probleme handelt deren Ursachen, Auswirkungen und Lösungen oft nur bedingt verstanden sind. Die Lösungen dieser hängen wiederum von subjektiven und normativen Perspektiven auf Ursachen und Probleme ab. Die Auswirkungen und Lösungen dieser Probleme dauern meist über mehrere Jahrzehnte und Generationen an und betreffen verschiedene Akteur*innen mit unterschiedlicher Sozialisation.
  • 3Scott, D. (2011): The technological fix criticisms and the agricultural biotechnology debate. In: J. Agric. Environ. Ethics, Vol. 24, S.207-226, www.doi.org/10.1007/s10806-010-9253-7.
  • 4Friedrich, J. et al. (2022): Bioeconomic fiction between narrative dynamics and a fixed imaginary: Evidence from India and Germany. In: Sustainable Production and Consumption, Vol. 30, S.584-595, www.doi.org/10.1016/j.spc.2021.12.026.
  • 5Markusson, N. et al. (2017): The political economy of technical fixes: the (mis)alignment of clean fossil and political regimes. In: Energy Res. Social Sci., Vol. 23, S.1-10, www.doi.org/10.1016/j.erss.2016.11.004.
  • 6Steffen, W. et al. (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: Science, Vol. 347, 6223, www.doi.org/10.1126/science.1259855.
  • 7Qaim, M. (2003): Bt Cotton in India: Field Trial Results and Economic Projections. In: World Development, Vol. 31(12), S.2115-2127, www.doi.org/10.1016/j.worlddev.2003.04.005.
  • 8a8bKranthi, K.R./Stone, G.D. (2020): Long-term impacts of Bt cotton in India. In: Nature plants, Vol. 6(3), S.188-196, www.doi.org/10.1038/s41477-020-0615-5.
  • 9Die Nutzung von Gülle-basierten Innovationen in Deutschland ist weniger weit fortgeschritten als die Nutzung von Bt-Baumwolle. Daher kann eine stichhaltige Aussage hinsichtlich der narrativen Anpassung und Dynamiken bisher nur für den indischen Fall getroffen werden.
  • 10Naik, V.C. et al. (2018): Field-evolved resistance of pink bollworm, Pectinophora gossypiella (Saunders) (Lepidoptera: Gelechiidae), to transgenic Bacillus thuringiensis (Bt) cotton expressing crystal 1Ac (Cry1Ac) and Cry2Ab in India. In: Pest Management Science, Vol. 74 (11), S.2544-2554, www.doi.org/10.1002/ps.5038.
  • 11Najork, K. et al. (2022): Bt cotton, pink bollworm, and the political economy of sociobiological obsolescence: insights from Telangana, India. In: Agric Hum Values, Vol. 39, S.1007-1026, www.doi.org/10.1007/s10460-022-10301-w.
  • 12Beckert, J. (2018): Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus. Suhrkamp, Berlin.
  • 13Nightingale, A.J. et al. (2020): Beyond Technical Fixes: climate solutions and the great derangement. In: Climate and Development, Vol. 12(4), S.343-352, www.doi.org/10.1080/17565529.2019.1624495.
  • 14Für verschiedene Perspektiven auf Lösungen von sozial-ökologischen Problemen der Tierhaltung in Bezug auf Gülle-Überschüsse, vgl. Friedrich, J. et al. (2022): Preservation, modernization, and transformation: contesting bioeconomic imaginations of “manure futures” and trajectories toward a sustainable livestock system. In: Sustain Sci, Vol. 17, S.2221-2235, www.doi.org/10.1007/s11625-022-01161-8.
Erschienen in
GID-Ausgabe
265
vom Mai 2023
Seite 16 - 18

Jonathan Friedrich ist Humangeograph und arbeitet beim Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in der vom BMBF geförderten Nachwuchsforschungsgruppe „BioKum“ zu bioökonomischen und Nachhaltigkeitstransitionen in der Landwirtschaft.

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Katharina Najork hat zu den sozioökonomischen Auswirkungen von gentechnisch veränderter Baumwolle auf kleinbäuerliche Haushalte in Indien geforscht und im Projekt „Politics of Knowledge and Non-knowledge: Agricultural Biotechnology in India“ der Universität Göttingen promoviert.

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