Bis hierhin… und wie weiter?

Bericht zu Schwangerschaftsabbruch und Fortpflanzungsmedizin liegt vor

Nach einjähriger Arbeit hat die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ am 15. April 2024 ihren Bericht vorgelegt. 

Die Minister*innen Paus, Lauterbach und Buschmann stehen an Redner*innenpulten.

Standbild Bundespressekonferenz vom 15.04.24 via phoenix.de

Öffentlich wird vor allem über eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs diskutiert, aber das Ergebnis wirft auch Fragen zu Pränataldiagnostik und assistierter Reproduktion mittels Eizelltransfer und Leihschwangerschaft auf. Wie es politisch damit weitergeht, ist derzeit noch unklar.

Das Dokument umfasst über 600 Seiten.1 In zwei Arbeitsgruppen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagten und auch keine Zwischenberichte veröffentlichten, beleuchteten die Kommissionsmitglieder aus juristischer, medizinischer und ethischer Perspektive einerseits die Möglichkeit einer Neuregulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts (AG1) und andererseits eine mögliche Legalisierung von Eizelltransfers und „altruistischer“ Leihschwangerschaft.

Was steht im Kommissionsbericht?

Die Kommission war nicht beauftragt, eine konkrete Gesetzesvorlage zu erarbeiten, stattdessen bereitet sie in ihrem Bericht die aktuelle Studienlage auf, erörtert ihre Abwägungen und zeigt gesetzgeberische Spielräume auf. Auf dieser Grundlage gibt sie schließlich auch einige wenige Empfehlungen ab.

Bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs hält die Kommission fest, dass eine grundsätzliche Strafbarkeit, insbesondere in der Frühphase der Schwangerschaft, rechtlich nicht begründbar ist. Hinsichtlich einer möglichen Fristenregelung nach der 12. Schwangerschaftswoche, der Frage nach einer Beratungspflicht oder etwaigen Indikationen zeigt der Bericht aber lediglich verschiedene Aspekte auf, die der Gesetzgeber abwägen muss. Kritisch zu sehen ist, dass die Kommission zwar anerkennt, dass die derzeitige medizinische Indikation unklar und intransparent ist, was Abbrüche nach auffälligen pränataldiagnostischen Befunden angeht und einer Neuregelung bedarf, allerdings stellt sie auch eine mögliche Wiedereinführung der behindertenfeindlichen embryopathischen Indikation in den Raum. Eine eindeutige Empfehlung für eine Legalisierung gibt es nur für die Frühphase der Schwangerschaft – wie Abbrüche darüber hinaus geregelt werden sollen, ob dies über das Strafgesetzbuch geschieht und ob es in diesem Rahmen zu einer Änderung der medizinischen Indikation oder einer Neubewertung des Fetozids kommt, diese Fragen verweist die Kommission ganz klar zurück an die Politik.

Hinsichtlich der Legalisierung von Leihschwangerschaft und Eizelltransfer ist der Bericht zurückhaltender. Die Kommission erkennt keinen Grund zur Aufrechterhaltung des grundlegenden Verbots von Eizelltransfers. Es werden zwar gewisse gesundheitliche Risiken eingeräumt und auch konstatiert, dass die Datenlage unzureichend sei, um weitere Risiken zuverlässig auszuschließen – allerdings wird daraus kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Legalisierung abgeleitet. Allerdings wird auch zwischen verschiedenen Formen des Eizelltransfers differenziert: „1) als Spende von Eizellen, die für die eigene Fortpflanzung entnommen, aber nicht oder nicht mehr dafür genutzt werden sollen, 2) innerhalb einer lesbischen Partnerschaft von einer Frau für ihre Partnerin oder 3) als rein fremdnützige Entnahme und Spende“. Grundsätzlich gäbe es auch hier einen gesetzgeberischen Spielraum – komplett fremdnützige Eizelltransfers könnten beispielsweise von einer Legalisierung ausgenommen werden.

Zur Leihschwangerschaft hält der Bericht folgendes fest: „Angesichts der erheblichen Gefährdungspotenziale der Leihmutterschaft hat der Gesetzgeber einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, der sowohl das bestehende Verbot als auch eine Legalisierung bestimmter Formen der Leihmutterschaft umfasst. Das bestehende Verbot der Leihmutterschaft verstößt nicht per se gegen Gleichheitsrechte.“

Einen konkreten Fahrplan für den Umgang mit dem Kommissionsbericht gibt es noch nicht – im Gegensatz zur FDP, die schon seit Jahren ein eigenständiges Fortpflanzungsmedizingesetz fordert und sich klar für eine Legalisierung von Eizelltransfers und „altruistischer“ Leihschwangerschaft einsetzt, haben die anderen Regierungsparteien, ebenso wie auch die CDU, die Themen parallel zur Kommissionsarbeit noch intern debattiert. Was das jeweilige Ergebnis ist, ist derzeit noch nicht bekannt. Anders sieht es beim Schwangerschaftsabbruch aus.

Stillstand trotz klarer Empfehlung: Wird der Schwangerschaftsabbruch doch nicht legalisiert?

Der Kommissionsbericht ist an dieser Stelle sehr deutlich: Ein generelles Abtreibungsverbot, insbesondere in der Frühphase der Schwangerschaft, ist nicht haltbar. Sowohl die SPD als auch die Grünen hatten in ihren jeweiligen Wahlprogrammen angekündigt, den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren zu wollen – anders, als die FDP, die an der Kriminalisierung festhalten wollte. 

In der Regierungspressekonferenz2 zur Überreichung des Berichts waren die Reaktionen der Vertreter*innen der zuständigen Ministerien jedoch verhalten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte zwar einen Bezug zu ersten Ergebnissen der ELSA-Studie3 (Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung) und nun auch empirisch belegten Lücken in der Versorgung her und betonte, es gehe um „Aufklärung, Verfügbarkeit und das Überwinden von Hindernissen“, das Ministerium sehe „unmittelbaren Handlungsbedarf“ – wie dies nun angegangen werden solle, erläuterte er allerdings nicht.
Stattdessen kamen von allen drei Minister*innen Beschwichtigungen, so sagte beispielsweise Lauterbach: „Was wir in Deutschland nicht brauchen, ist eine weitere Debatte, die die Gesellschaft spaltet.“ Die Bundesregierung werde „die Ergebnisse sehr detailliert diskutieren, […] und dann auch einen geordneten Prozess vorschlagen“. Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus attestierte den Themen eine hohe Emotionalität. Justizminister Marco Buschmann konstatierte: „Wir haben hier ja einen Diskussionsstoff, der sicherlich mit zu den umstrittensten Themen gehört, die man so im politischen Kontext haben kann, wir wollten einen Beitrag dazu leisten, die Debatte zu versachlichen“. Der 600-seitige Bericht müsse erstmal ausgewertet werden, dann werde man sich „mit der Frage beschäftigen müssen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind“, dafür sei es aber „heute noch zu früh.“ Dass es Buschmann hier vor allem um die Ergebnisse der AG1 zum Schwangerschaftsabbruch ging, wurde in seiner Bezugnahme auf Polen und die USA deutlich, wo es zuletzt erbitterte Debatten um das Abtreibungsrecht und große Rückschritte gab. 

Die Betonung, dass die Debatte die Gesellschaft nicht spalten dürfe, das Ermahnen zum besonnenen Vorgehen – sie passen nicht so recht in die Zeit. Der Kommissionsbericht hat klar gemacht, dass das Festhalten am Verbot unrechtmäßig ist, die ELSA-Studie zeigt deutlichen Handlungsbedarf hinsichtlich der Versorgungslage. Und die herbei geredete Spaltung dürfte es so auch nicht geben: mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind laut einer Umfrage des BMFSFJ4 gegen eine Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, selbst in Parteien wie der CDU finden sich unter den Wähler*innen Mehrheiten für eine Legalisierung.
Keine*r der drei Regierungsvertreter*innen äußerte sich zum weiteren Verfahren, auch einen groben Zeitplan wollte man nicht angeben. Dabei drängt die Zeit: im Herbst 2025 sind Bundestagswahlen, die Kräfteverhältnisse könnten sich wenden und mit einer Regierungsbeteiligung der CDU wird eine Reform des Abtreibungsrechts mit großer Wahrscheinlichkeit nicht machbar sein. 

Anders könnte es bei den fortpflanzungsmedizinischen Themen aussehen, die FDP hatte bereits 2020 einen Gesetzesentwurf5 zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes eingebracht, der damals scheiterte. Je nach Positionierung der Koalitionspartner*innen könnten die Liberalen mit den Empfehlungen der Kommission im Rücken einen neuen Versuch starten.

Hauptsache, §218 fällt? Öffentliche Debatte vernachlässigt Tabuthemen

Feminist*innen und Frauenrechtsorganisationen betonen nach Veröffentlichung des Kommissionsberichts zurecht, dass nun Druck gemacht werden muss, damit der Schwangerschaftsabbruch noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode legalisiert wird, denn das Möglichkeitsfenster ist kurz und die Regierungskoalition wirkt nicht ambitioniert, das Thema noch vor den Wahlen anzugehen.

Debattiert und gestritten wird vor allem über ein mögliches Festhalten an der Pflichtberatung beim Schwangerschaftsabbruch trotz Legalisierung und mögliche Fristen. Initiativen wie Doctors for Choice plädieren dafür, sämtliche Fristen abzuschaffen, wie es auch die Weltgesundheitsorganisation vorschlägt.6 Tatsächlich treffen willkürlich gesetzte Fristen häufig vor allem jene ungewollt Schwangeren, deren Zugang zu Gesundheitsversorgung ohnehin erschwert ist – beispielsweise arme oder behinderte Menschen, Menschen mit unsicherem Aufenthalt oder Jugendliche. Insbesondere die derzeitig geltende 12-Wochen-Frist, mit verpflichtender Beratung und Wartezeit ist für manche Menschen knapp. Allerdings könnte diesen Zugangsbarrieren auch mit anderen Maßnahmen begegnet werden, wie sie das Gen-ethische Netzwerk auch bereits in seiner Stellungnahme vor der AG17 gefordert hatte. Dazu gehören eine Entkriminalisierung, ein Recht auf Beratung, niederschwellige Zugänge zur Beratung, Regelungen zu Aus- und Weiterbildung sowie zum Verweigerungsrecht, eine Übernahme der Kosten durch die Krankenversicherung, Recht auf Nachsorge und Krankentage sowie Maßnahmen zum Schutz gewaltbetroffener Personen durch anonyme Abrechnungsmöglichkeiten. 

Ab der 22. Woche beginnt in etwa die extrauterine Lebensfähigkeit des Fötus, d.h. hierbei handelt es sich nicht um eine willkürlich gezogene Grenze. Auch die Kommission sieht hier eine Linie in der Grundrechteabwägung. Gegner*innen einer Frist betonen in der aktuellen Debatte immer wieder, dass Spätabbrüche selten seien – und das stimmt. Oft wird auch noch gesagt, dass es sich dabei meist um ursprünglich gewollte Schwangerschaften handelt. Auch das ist wahr. Aber in den Äußerungen wird verschwiegen, warum diese Abbrüche stattfinden und wann diese Schwangerschaften plötzlich nicht mehr gewollt sind. 

Momentan findet der Großteil der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nach der Beratungsregelung statt. Auf die medizinische Indikation entfallen ca. drei Prozent der Abbrüche. Wie viele Abbrüche innerhalb der medizinischen Indikation nach pränataler Diagnostik stattfinden, wird nicht genau erhoben. Aus lediglich zwei Kliniken in Deutschland liegen Daten dazu vor, die Universitätskliniken Leipzig und Gießen. Sie zeigen: Abtreibungen nach pränataldiagnostischen Befunden machen den überwiegenden Teil der Abbrüche nach der 12. SSW aus.8 Warum sich Menschen in dieser Situation so häufig für einen Abbruch entscheiden, was das mit dem gesellschaftlichen Bild von Behinderung, mit Erwartungsdruck und auch mit mangelnder Unterstützung für Familien mit behinderten Kindern zu tun hat, darüber wird wenig gesprochen.

In der Presse und auch in den Erklärungen der größeren Verbände findet dieses Thema bislang kaum Beachtung. Die Frage, wo das Selbstbestimmungsrecht endet ist keine einfache und auch keine angenehme. Wo geht es noch um das Gewolltsein oder Nichtgewolltsein einer Schwangerschaft und wo geht es darum, dass das So-Sein des zukünftigen Kindes den Grund des Abbruchs ausmacht? Diese Aspekte müssen von Anfang an mitverhandelt werden, sonst gehen Behindertenrechte in der Diskussion abermals unter. 

Eizelltransfer und Leihschwangerschaft: öffentliche Debatte muss noch stattfinden

Die Prüfung einer möglichen Legalisierung des Eizelltransfers und der Leihschwangerschaft in derselben Kommission zu verhandeln wie die seit Langem erwartete Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, sendet eine bestimmte Botschaft. Es stellt beide Praktiken auf die gleiche Stufe, sie werden mit den gleichen Verfahren behandelt, auch wenn eine von ihnen in der Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert wurde und die andere nicht. Außerdem wird die Legalisierung der Leihschwangerschaft als eine Frage der reproduktiven Selbstbestimmung dargestellt, genau wie der Zugang zu Abtreibung, auch wenn bei letzterer keine dritte Partei erforderlich ist.

Beides unter einen Hut zu bringen, hatte aber auch noch einen anderen Effekt: Über die zweite Arbeitsgruppe der Kommission, die sich mit Fortpflanzungsmedizin befasste, wurde zunächst kaum in den Medien berichtet. Als die Kommission ihre Arbeit aufnahm, suchten die Medien verständlicherweise nach einem griffigeren Titel als „Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“. Dies führte dazu, dass viele die Kommission einfach als „218-Kommission“ bezeichneten, das zweite Thema ganz ausklammerten und sich auf das konzentrierten, was bereits im Fokus der Öffentlichkeit stand.

Das Wissen über diese beiden Methoden assistierter Reproduktion ist bei einem großen Teil der Bevölkerung noch gering. Es gibt jedoch auch das, was als implizites Wissen bezeichnet wird, also Informationen, die Menschen aufnehmen, ohne sich dessen unbedingt bewusst zu sein, z. B. durch die Beobachtung anderer oder den Konsum von Popkultur. Da Eizelltransfer und Leihschwangerschaft derzeit illegal sind, kennen die meisten Menschen niemanden persönlich, der für Dritte eine Schwangerschaft ausgetragen hat. Aber fast jeder kennt jemanden, bei dem es „nicht geklappt hat“, sodass diese Perspektive auch das ist, womit sich viele Menschen identifizieren und vielleicht auch emotional verbinden können.

Aktuelle mediale Berichte knüpfen da an, wenn sie im Nachgang der Veröffentlichung des Kommissionsberichts neben wissenschaftlichen Expert*innen vor allem Menschen eine Bühne bieten, die mit Hilfe dieser Technologien ihre Familie gegründet haben oder die von leidvollen Erfahrungen erfolgloser IVF-Versuche berichten. Auch die Vorstellung des Berichts durch Claudia Wiesemann kann kaum als neutral bezeichnet werden, stellte sie ihren Ausführungen doch voran, dass Deutschland innerhalb der EU eines von nur zwei Ländern sei, die das Verbot des Eizelltransfers noch aufrecht erhielten.9 Sie bediente damit ein Narrativ von Dringlichkeit und drohender Rückständigkeit, das einen Legalisierungsdruck suggeriert.
Medizinische Risiken, die Perspektiven von Menschen, die Eizellen an Dritte gegeben oder eine Leihschwangerschaft ausgetragen haben sowie der Markt hinter den Fertilitätsbehandlungen haben bisher kaum Beachtung gefunden. Um eine ausgewogene und sachliche öffentliche Debatte führen zu können, müssen diese Aspekte dringend mehr beleuchtet werden. 

GeN-Stellungnahme: Kein Tauschhandel mit reproduktiven Rechten

In einer ausführlichen Stellungnahme zum Kommissionsbericht10 hat das Gen-ethische Netzwerk deutlich gemacht, dass der Schwangerschaftsabbruch und eine mögliche Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin getrennt verhandelt werden müssen. Beim Schwangerschaftsabbruch gibt es einen klaren Handlungsauftrag, der sich sowohl aus der öffentlichen Meinung als auch aus der Empirie der ELSA-Studie ableitet – bei Eizelltransfer und Leihschwangerschaft muss zunächst dringend eine ausführliche öffentliche Debatte nachgeholt werden.

19. April 2024

Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.

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