Selbstbestimmungskritik

Piktogramm: Paragraf, Erlenmeyerkolben, Faust

Die Forderung nach Selbstbestimmung durchzieht Geschichte und Gegenwart diverser sozialer Bewegungen, wie feministischen, behindertenpolitischen oder homosexuell-queeren Bewegungen. Das Konzept Selbstbestimmung wird als Abwehr äußerer Zugriffe auf die Entscheidungen von Menschen verstanden. Um eine Person zu sein, die selbst entscheiden kann, muss man als autonome, zu freien Entscheidungen fähige Person gesellschaftlich anerkannt werden. Dies wurde früher nur weißen, heterosexuellen, bürgerlichen Männern zugestanden – Frauen und Behinderte mussten sich das erst erkämpfen.

Zugleich werden im öffentlichen Raum mit der Rede vom allseits selbstbestimmten Individuum Selbstmanagement und Entscheidungszwänge zu Freiheitsgewinnen umgedeutet. Diese Freiheit hat aber ihren Preis: Wer selbst entscheiden darf, muss auch dafür sorgen, die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn irgendetwas schief geht, ist man demnach selbst schuld. So ist der Begriff Bestandteil heutiger Individualisierungsstrategien geworden – vermeintlich selbstbestimmt werden die Normen eines „gesunden“, „effizienten“ und „präventiven“ Körper- und Verhaltensmanagements befolgt.

Beiträge zu diesem Thema

  • Gesundheitspädagogische Erweckung

    21. April 2015

    Viele Menschen nutzen Kleingeräte und Gesundheits-Apps, sie bekümmert weder der Datenschutz noch die beständige Kontrolle ihres Gesundheitszustandes. Wohin diese Reise gehen kann, zeigt ein Blick auf die Praxis der Selbstvermessung und den Markt um sie herum.

  • Gefährdete Gesundheit, prekäre Rechte

    6. Januar 2015

    Immer mehr deutsche Frauen fahren nach Spanien oder Tschechien, wo auch Ausländerinnen Eizellen angeboten werden. Deutsche Kinderwunschpraxen dringen daher verstärkt auf eine gesetzliche Zulassung des Eizelltransfers hierzulande. Eine Gegenrede aus medizinethischer Sicht.

  • Das Kind als Projekt

    Wie kann, wie sollte eine feministische und herrschaftskritische Perspektive auf reproduktionsmedizinische Verfahren aussehen, und wie positioniert sie sich zu der medialen Kritik an den Verfahren?

  • Selbstbestimmung im Gefrierschrank

    5. Januar 2015

    Die Auseinandersetzung um social freezing hat wieder einmal alte Debatten der Frauenbewegung auf die Agenda gesetzt: Wie viel Autonomie birgt die Technisierung der Reproduktion?

  • Wahlfreiheit als Auswahl-Pflicht

    28. August 2014
    Um die beiden so genannten Brustkrebsgene BRCA 1 und 2 hat sich in den vergangenen knapp zwanzig Jahren eine Praxis der Gendiagnostik und Früherkennung etabliert, die die Selbstwahrnehmung positiv getesteter Frauen und ihre sozialen und familiären Beziehungen verändert. Zwei unlängst erschienene Studien beschäftigen sich mit subjektiven und innerfamiliären Ausdeutungen der Diagnose.