Diskursoffensiven

Das Legitimationskarussell läuft wie geschmiert. In diesem Jahr werden Diskursverfahren zum Schwerpunkt des vom Bundesministerium für Forschung geförderten ethischen Begleitprogramms zur biomedizinischen Forschung durchgeführt. Währenddessen bleibt der Forschungsalltag immer mehr sich selbst überlassen

Denken, Reden, Einmischen“ – mit diesen markigen Worten wird die „Bürgerkonferenz zur Stammzellforschung“ im Internet gelabelt. Angesiedelt im Herzen der Berliner biomedizinischen Forschung, am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), ist sie Teil einer regelrechten Diskursoffensive. Seit 2002 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hier das Projekt „Bioethik und Wissenschaftskommunikation“. Laut Selbstdarstellung geht es dabei um die „Erprobung“ und den „gezielten Einsatz von Dialog- und Diskurs-Verfahren zum Thema ‚Ethische Fragen der aktuellen Biomedizin’“.(1) Neben der Bürgerkonferenz gehören dazu eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen und Workshops, eine Expertenbefragung und ein Online-Diskurs: Auf der Website des Projektes sollen interessierte Bürger sich zu ethischen Fragen rund um die Biomedizin äußern. Allein zur Vorbereitung der Bürgerkonferenz Stammzellforschung wurden 14.000 Berliner und Brandenburger von der Arbeitsgruppe am MDC angeschrieben. Der Auftaktveranstaltung des Verfahrens wohnten ein Staatssekretär, ein ehemaliger Kulturminister und mehrere bekannte Professoren bei. Das Signal ist deutlich: Hier wird nichts unversucht gelassen, um möglichst viele Menschen in die Diskussion einzubeziehen.

Diskursive Spielwiesen

Aber was wird wozu diskutiert? Für die Bürgerkonferenz wurden aus den etwa 500 Antworten, die Interesse an dem Verfahren bekundeten, zwölf „Bürger“ ausgelost. Sie befassten sich an drei Wochenenden intensiv mit der Stammzellforschung und befragten von ihnen ausgewählte Experten, um abschließend ein so genanntes Bürgervotum abzugeben. Relativ einig waren sie sich nur in der Forderung, dass Embryonen nicht gezielt für die Forschung hergestellt werden sollten; auch votierte eine Mehrheit von zehn gegen jegliche Form des Klonens. Über den Status des Embryos war man sich aber schon nicht mehr so einig: Vier Teilnehmer der Konferenz plädierten dafür, den Embryo erst mit der Einnistung in die Gebärmutter als Menschen zu definieren. Und die Hälfte der Teilnehmenden hielt es für erforderlich, die Embryonenforschung in Deutschland vorsichtig zu liberalisieren.(2) „12 Teilnehmer an so einer Konferenz sind bei einer Bevölkerung von 80 Millionen eine quantité négligible“, so Christof Tannert, Leiter des Projektes. „Sie haben heftig gearbeitet, ich habe sie dafür bewundert, aber das Ergebnis reißt nicht vom Hocker. Man erfährt, dass die Leute verschiedener Meinung sind – und das war es auch schon.“ Nichtsdestotrotz wolle man „verschiedene Gremien mit dem Bürgervotum behelligen“, so Tannert weiter. Das Schriftstück werde an die Mitglieder der Bundestags-Enquêtekommission Recht und Ethik der modernen Medizin und die Mitglieder im Gesundheits- und im Rechtsausschuss des Parlamentes geschickt. „Die Wirkungszukunft von Bürgerkonferenzen und –voten kann man jetzt noch nicht beurteilen“, so Tannert. „Es sieht aber nicht so aus, als würde das Bürgervotum in politischen Entscheidungen eine Rolle spielen. Ich habe von Abgeordneten schon wörtlich gehört: ‚Ihr könnt reden, was ihr wollt, aber wir entscheiden.’“ Auch grundsätzlich bewertet Tannert das Projekt im Rückblick eher skeptisch. Fraglich sei zum Beispiel, ob sich „völlig zufällig ausgewählte Bürger und Bürgerinnen im Diskurs mit Fachexperten, Medien und Begleitforschung wirklich informieren und emanzipieren können. Meiner Ansicht nach ist das nicht gelungen.“ Für das BMBF sind die Ergebnisse des Modellprojektes offensichtlich ein Signal zum Weitermachen. In der Ausschreibung des Ministeriums von 2001, in dessen Rahmen das Projekt gefördert wurde, werden die wesentlichen Stichworte noch deutlich genannt. Man wolle Vorhaben fördern, hieß es damals, die „Möglichkeiten von Diskursprozessen / gesellschaftlicher Konsensbildung“ ausloten und „gesellschaftliche Akzeptanz“ herstellen.(3) Eine neue Ausschreibung des BMBF vom 5.5.04 gibt nun die „Förderung von Diskursprojekten zu ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen in der modernen Medizin und Biotechnologie“ bekannt. Gefördert werden sollen Projekte, die insbesondere Schüler, Studenten und Auszubildende, aber auch Lehrer und Sozialarbeiter „in den Diskursprozess einbinden“ und „zu einer qualifizierten Entwicklung und Verstetigung bioethischer Diskursprozesse beitragen“.(4) Die Arbeitsgruppe am MDC will sich dort mit einem neuen Vorhaben bewerben. „Die wollen, dass wir das machen. Die Ausschreibung ist uns ja sozusagen auf den Leib geschneidert worden“, so Tannert.

Diskurs und Forschungskontrolle

Während sich der „Bürger“ also auf weitere Diskurse zu den ethischen Problemen der neuen Technologien einstellen darf, zieht sich die Bundesregierung aus der Verantwortung für ethische Standards in der Forschung immer weiter zurück. Weil die EU-Richtlinie 2001/20 in diesem Jahr in nationales Recht umgesetzt werden muss, steht eine Änderung des Arzneimittelgesetzes an. Vordergründig geht es im Zwölften Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes(5) um Ablauf und Kontrolle von Medikamentenstudien, neu geregelt wird aber auch die Funktion von Ethikkommissionen: Mit der Begründung, die Kontrolle der Forschung verbessern zu wollen, werden sie zu Genehmigungsinstanzen aufgewertet. Ethikkommissionen, angesiedelt an Universitätskliniken und Landesärztekammern, sind bisher Organe der ärztlichen Selbstverwaltung, die laut Ärztekammergesetzen zum einen „die Rechte, Sicherheit und das Wohlbefinden der Forschungsteilnehmer“ und zum anderen „die Forscher und das Ansehen der medizinischen Forschung in der Bevölkerung schützen“ sollen.(6) Ihre Voten haben Empfehlungscharakter. Ärzte sind zwar gehalten, sich an diesen Empfehlungen zu orientieren, zwingend erforderlich ist ein positives Ethikvotum aber nur dann, wenn für ein Forschungsvorhaben öffentliche Gelder – etwa bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder beim BMBF – beantragt werden. Entscheidungen von Ethikkommissionen unterliegen keinerlei öffentlicher Kontrolle. So ist eine Kommission nur dann zu einer schriftlichen Begründung verpflichtet, wenn sie ein Forschungsprojekt ablehnt. „Es ist also derzeit nicht nachvollziehbar, aus welchen rechtlichen beziehungsweise medizinisch – wissenschaftlichen Erwägungen heraus einer Studie zugestimmt wurde“, heißt es in einer Stellungnahme des Geschäftsführers der Ethikkommission der Charité Berlin, Christian von Dewitz. „Die Intransparenz der Entscheidungen und Entscheidungsmaßstäbe von Ethikkommissionen (...) entzieht die medizinische Forschung einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit“, kritisiert er weiter.(7) In der Praxis winken die Kommissionen die von Forschungsgruppen einer Klinik vorgelegten Anträge denn auch regelmäßig durch. Häufig kommt es dabei zu Verstößen gegen Bestimmungen des Daten- oder Strahlenschutzes oder gegen das Verbot der fremdnützigen Forschung. Das hat mehrere Gründe. Da sind zunächst Arbeitsweise und Besetzung der Kommissionen. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und werden nach dem Prinzip der Kollegialberatung ausgewählt: Sie kommen nahezu ausschließlich aus den Abteilungen der Klinik selbst. Sie unterlägen deshalb „einem nicht unerheblichen Loyalitätsdruck und einem Konflikt mit ihren eigenen Forschungs- und Finanzierungsinteressen oder denen ‚befreundeter’ Kollegen, Abteilungen und Firmen“, so von Dewitz in seiner Stellungnahme.(8) Das führe „zu fehlender Bereitschaft der Mitglieder, die Interessen von Forschungsteilnehmern in dem rechtlich geforderten Maß bei der Beurteilung eines Vorhabens zu berücksichtigen oder gar gegenüber den Kollegen durchzusetzen.“(9) Hinzu kommt der enorme Zeitdruck. Durchschnittlich rund 240 Forschungsvorhaben muss eine Ethikkommission im Jahr bewerten. „Ich war gerade gestern wieder auf so einer Sitzung“, erzählt von Dewitz im Gespräch, „wir hatten in vier Stunden 17 Forschungsanträge zu begutachten. Von einer sorgfältigen Prüfung kann da aufrichtigerweise niemand sprechen.“

Die Spielmacher

Diese Situation wird sich mit der geplanten Gesetzesnovelle der rot-grünen Regierung noch verschärfen. Denn sie sieht unter anderem vor, dass Ethikkommissionen innerhalb von sechzig Tagen ein Forschungsvorhaben bewerten. Das Gutachten ist rechtsverbindlich und damit auch juristisch anfechtbar. Mehr noch als der Zeitdruck und die Zwänge der Kollegialität dürfte aber die im Gesetz vorgesehene Haftung der Kommissionen für nachweislich aufgrund der Begutachtung entstandene finanzielle Schäden von Unternehmen die Sorgfalt einschränken: Die Mitglieder der Ethikkommissionen werden rechtliche Auseinandersetzungen mit pharmazeutischen oder biomedizinischen Unternehmen tunlichst zu vermeiden suchen. Denn die Industrie sitzt am langen Hebel. Weil sich Staat und Krankenkassen aus der Krankenversorgung zurückziehen, hängt der Klinikbetrieb immer stärker von der Finanzierung durch Drittmittel ab. Ethische Standards zu beachten kann da leicht zum Standortnachteil werden. Ein Beispiel aus der Praxis: „Ich habe das selbst erlebt“, erzählt Christian von Dewitz. „Da stellt sich der Vertreter einer Pharmafirma vor die Ethikkommission einer Klinik und sagt ganz einfach: Wenn wir die Personendaten verschlüsseln sollen, machen wir die Studie eben woanders. Und die Kommission nimmt ihre Einwände zurück.“ Vor diesem Hintergrund sei es unlauter, die geplante Gesetzesnovelle als Instrument einer besseren Forschungskontrolle darzustellen. „Nach außen hin sagt man dem Bürger: Wir schaffen enge gesetzliche Voraussetzungen für die Genehmigung von Forschungsvorhaben“, moniert Dewitz. „Tatsächlich geht es aber nur um eine möglichst weit gehende Deregulierung der Forschung“. Wo gesellschaftliche Kontrolle von Forschung weder stattfinden kann noch soll, muss sie eben simuliert werden. Es beruhigt ungemein, wenn wenigstens in „bioethischen Diskursen“ über Forschung und ihre Folgen nachgedacht und geredet werden kann. Nur mit der Einmischung wird es etwas schwierig werden.

Fußnoten:

  1. „Diskursverfahren-Übersicht“; www.bioethik-diskurs.de/documents/forschungsproje…
  2. Vergleiche www.bioethik-diskurs.de/ergebnisse
  3. BMBF: Bekanntmachung von Förderrichtlinien für Forschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Molekularen Medizin vom 25. Mai 2001, www.bmbf.de/förderung/bekanntmachungen
  4. BMBF: Bekanntmachung von Richtlinien zur Förderung von Diskursprojekten zu ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen in der modernen Medizin und Biotechnologie vom 5.5.2004, www.bmbf.de/förderung/bekanntmachungen
  5. Vgl. BT-Drucksache 15/2109
  6. Zitiert nach Christian von Dewitz: Überarbeitete Stellungnahme zum Fragenkatalog vom 02.10.2003 zur Forschung an Nichteinwilligungsfähigen für die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ beim Deutschen Bundestag, S.41
  7. Ebda., S.46
  8. Ebda., S.43
  9. Ebda.ein
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
164
vom Juni 2004
Seite 49 - 51

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

zur Artikelübersicht

Bürgerkonferenzen

Das Konzept der Bürgerkonferenz stammt aus Dänemark und beinhaltet, dass eine kleine Gruppe zufällig ausgewählter Bürger sich an mehreren Wochenenden mit einem gesellschaftlich umstrittenen Thema intensiv befasst. Eins der Treffen ist öffentlich; dort nehmen von den Bürgern ausgewählte Experten zu dem Thema Stellung. Den Abschluss bildet ein gemeinsam erarbeitetes schriftliches Votum zu den bearbeiteten Fragen, das dann wiederum öffentlichkeitswirksam an Politiker übergeben wird. „Die Frage, ob sich der Aufwand für dieses nach allen Regeln der Kunst und mit großem Organisationsaufwand durchgeführte Verfahren lohnt, stellt sich natürlich“ so Christof Tannert, Leiter des Projektes am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin. „Sie müssen bedenken, dass wir fünfzig Experten für das Hearing angesprochen haben. Die müssen sich den Termin freihalten und sich vorbereiten, ohne zu wissen, ob sie eingeladen werden.“ Denn die Teilnehmer der Konferenz wählen aus, wessen Stellungnahme sie hören wollen. Erklärtes Ziel einer Bürgerkonferenz ist es schließlich, dass den Teilnehmern und ihren Erfahrungen möglichst viel Raum gegeben wird und eben nicht Experten die Diskussion bestimmen. (uw)

BMBF-Semantik

„Die Fortschritte in der modernen Biomedizin und Biotechnologie, insbesondere die in der Humangenomforschung und der molekularen Medizin, eröffnen neue, vielversprechende Ansatzmöglichkeiten in medizinischer Diagnostik und Therapie“, heißt es, wenn auch etwas unbeholfen, in vertrauter Semantik in der Anfang Mai vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veröffentlichten Ausschreibung. Da die „bereits erzielten und noch zu erwartenden“ Forschungsfortschritte ethische, rechtliche und soziale Fragen aufwerfen, könne ihre Diskussion aber nicht einem kleinen Expertenkreis vorbehalten bleiben. Vielmehr müsse sie auch „von der informierten Öffentlichkeit mitgestaltet und mitgetragen werden“. Ziel der Projekte müsse deshalb sein, „zur sachlichen und unvoreingenommenen Information (...) beizutragen (...) und die „qualifizierte Meinungsbildung zu fördern.“ Dabei kommt es dem BMBF durchaus auf den Effekt nach außen an. Die Projekte müssten nämlich darauf abzielen, die Meinungsbildung „im öffentlich sichtbaren Diskurs engagiert aufzuarbeiten.“ (uw) Alle Zitate aus: BMBF: Bekanntmachung von Richtlinien zur Förderung von Diskursprojekten zu ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen in der modernen Medizin und Biotechnologie vom 5.5.2004, zu finden unter www.bmbf.de/förderung/bekanntmachungen