Ein Gift wie ein Alptraum
Die EU-Neuzulassung von Glyphosat zieht sich seit 2012 hin und ist seitdem begleitet von Skandalen und der systematischen Ignoranz der zuständigen Behörden, allen voran die europäische EFSA und das deutsche Bundesamt für Risikobewertung. Ein Update zu Pestiziden in der Agro-Gentechnik.
Vor wenigen Wochen ist im Suhrkamp-Verlag ein Buch erschienen, das den Titel „Das Gift“ trägt. Da es vom Verlag mit den Worten „Das Gift ist wie ein Alptraum, der sich schleichend entfaltet“ beworben wird, kann Glyphosat - Fiction hin oder her - nicht weit sein - insbesondere dann nicht, wenn die Autorin argentinische Wurzeln hat und die Geschichte in der Pampa des südamerikanischen Landes spielt. So bietet das Unkrautvernichtungsmittel, seine Wirkungen und Nebenwirkungen die reale Matrix, vor dem sich die Geschichte entfaltet.
Schleichend mag die Entfaltung der Wirkung ursprünglich gewesen sein und in so manchem konkreten Fall auch heute noch vor sich gehen. In der Gesamtschau allerdings gleichen die Begleiterscheinungen der Nutzung dieses Giftes mittlerweile eher einer Lawine oder Flut. Unzählige Einzelfälle wurden bekannt.
Für den GID ist das weltweit am häufigsten verwendete Ackergift seit Jahrzehnten ein ständiger Begleiter, ist es doch das korrespondierende Gift der am häufigsten angebauten gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen.
Dies sind gv-Sojalinien, die über eine Toleranz gegen das Gift verfügen. Mit der wachsenden Verbreitung der gv-Sojasorten - in einigen wenigen Ländern wie zum Beispiel den USA, Brasilien oder Argentinien - hat sich der Gebrauch des Unkrautvernichtungsmittels massiv erhöht. Und die seit Jahren beobachtete Entwicklung von Beikräutern, die ihrerseits eine Resistenz gegen das Gift entwickelt haben, tut ihr Übriges. LandwirtInnen, die auf dieses System setzen, müssen zu immer größeren Mengen des Giftes greifen oder andere zum Teil noch gefährlichere benutzen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es auch andere Nutzpflanzenarten mit einer eingebauten Toleranz gegen Glyphosat gibt, zum Beispiel Mais. Dieser wird dann mitunter abwechselnd mit der Soja angebaut, was dazu führt, dass der Fruchtwechsel auf einer entsprechenden Fläche nur zum Teil zu einer veränderten Nutzung führt. Jahr um Jahr kommt der gleiche Wirkstoff auf den Acker, was praktisch einer Zucht von resistenten Unkräutern gleichkommt. Aber auch in anderen Bereichen wird das Mittel immer häufiger eingesetzt, zum Beispiel in der Unkrautvernichtung an Bahndämmen, an Straßenrändern oder auf Wegen.
Pestizide müssen in der Europäischen Union in regelmäßigen Abständen neu zugelassen werden. Dieser Prozess der Neubewertung läuft beim Glyphosat seit 2012. Die Federführung obliegt den deutschen Behörden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist damit beauftragt, die Giftigkeit des Wirkstoffs zu bewerten und der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Empfehlung vorzulegen. „Mitten in diesen Bewertungsprozess“, so schreibt unser Autor, der Toxikologe Peter Clausing, „platzte im März dieses Jahres die Meldung, dass die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, Glyphosat als ‚wahrscheinlich krebserregend für den Menschen‘ einstufte“.
Spätestens seit diesem Moment ist der Konflikt auch unter WissenschaftlerInnen offen aufgebrochen. Auch die öffentliche Anhörung, die Ende September im Landwirtschaftsausschuss des Bundestags stattfand, konnte die Widersprüche nicht beseitigen, sondern verdeutlichte noch, wie konträr - und unversöhnlich - sich beide Seiten gegenüberstehen. Beim Versuch, sich anhand der Originalberichte ein eigenes Urteil zu bilden, kommt auch ein kritischer Geist ohne fundierte Kenntnisse der Toxikologie sehr schnell an seine Grenzen.
Umso wichtiger, dass sich Clausing dieser Aufgabe widmet. Seit Monaten beschäftigt er sich mit den verschiedenen Risikobewertungen, und versucht in akribischer Detailarbeit, den Unterschieden auf die Spur zu kommen - wahrlich kein leichtes Unterfangen! In seinem GID-Beitrag legt er anhand einiger konkreter Beispiele dar, wie BfR und EFSA Hinweise auf die Giftigkeit des Stoffes systematisch ignorieren. „Irreführung“ ist noch sein mildestes Urteil, „vorsätzliche Verletzung des gesellschaftlichen Auftrags“ eine weitere Beschreibung, um das Vorgehen der Behörden zu beschreiben.
Ein weiteres Kapitel in der wissenschaftlichen, wie auch der politischen Auseinandersetzung öffnete sich kurz vor der Drucklegung dieser GID-Ausgabe. Ende November haben sich etwa hundert WissenschaftlerInnen mit einem Offenen Brief an den Gesundheitskommissar der Europäischen Kommission, Vytenis Andriukatitis, gewandt. Die UnterzeichnerInnen sind der Ansicht, dass die Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit der wissenschaftlichen Faktenbasis nicht gerecht werden.1 Die EU-Kommission solle die EFSA-Bewertung daher zurückweisen und eine „transparente, offene und glaubwürdige“ Prüfung der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur veranlassen.
Auch die emeritierte Mikrobiologin Monika Krüger ist Teil dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Und auch sie kann die aktuellen Unbedenklichkeits-Bescheinigungen gegenüber Glyphosat nicht nachvollziehen. Krüger erforschte die Auswirkungen des Stoffes auf Kühe und andere Tiere - und schlug Alarm. Glyphosat sei eine Schlüsselsubstanz, die mit einer Vielzahl von Symptomen in Zusammenhang stehe. Auch um unsere eigene Gesundheit sollten wir uns sorgen, denn Glyphosat gelangt durch Rückstände in Nahrungsmitteln in unseren Körper und reichert sich an. Der GID traf Krüger zum Gespräch.
Weitere gv-Pflanzen, die gemeinsam mit korrespondierenden Unkrautvernichtungsmitteln auf die Felder kommen, stellt Martha Mertens in ihrem Beitrag vor. Die Gentech-Industrie versucht verzweifelt, den resistenten Beikräutern etwas entgegenzuhalten und greift dabei nicht zuletzt auch auf die Kombination von mehreren Mitteln zurück. Den Pflanzen werden die Gene für gleich zwei oder drei Giftresistenzen eingebaut. Die Gifte werden gemischt. Eines dieser Gifte, das bei mehrfachresistenten gv-Pflanzen angewendet werden sollte, wurde nun von der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA kassiert. Es sieht so aus, als sei es doch - wie es immer heißt - giftiger, als ursprünglich angenommen.2
GID-Redakteur Christof Potthof hat sich eine andere Gruppe von Pestiziden vorgenommen. Die sogenannten RNAs - Ribonukleinsäuren - werden zunehmend auch als biologische Wirkstoffe zum Einsatz gebracht. Sie entfalten ihre Wirkung nicht wie die meisten Pestizide an irgendeiner Stelle im Stoffwechsel, sondern als Moleküle, die ursprünglich schon in der Genregulation beteiligt sind, direkt an der DNA.
In dem Beitrag von Anne Bundschuh schauen wir mit diesem Schwerpunkt dann auch auf Lateinamerika. Bundschuh berichtet von einer Konferenz in Berlin, die die entwicklungspolitische Dimension des Pestizideinsatzes ins Zentrum rückte. Dabei ging es unter anderem um die Situation in Argentinien, wo sich der Einsatz von Pestiziden in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt hat. Der am häufigsten verwendete Wirkstoff ist auch dort Glyphosat, das nicht selten mit Hilfe von Flugzeugen großflächig aus der Luft versprüht wird. Am Boden angekommen, sorgt es nicht nur für die Vernichtung der Unkräuter, sondern auch für die schleichende Vergiftung der dort ansässigen Bevölkerung. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass in den „versprühten Dörfern“ überdurchschnittlich viele Säuglinge mit Anomalien geboren werden und auch Krebserkrankungen sowie Fehlgeburten außerordentlich häufig auftreten.
Eine Reihe von Geschäften hat Glyphosat im Laufe dieses Jahres aus ihrem Sortiment genommen. Damit könnte der Verbrauch in privaten Gärten deutlich zurückgehen. So wichtig dieser Schritt war, hoffen wir darauf, dass die Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat vollständig vom Markt verschwinden. Zur Orientierung: Sie heißen zum Beispiel Roundup (von Monsanto) oder Touchdown (von Syngenta).
GID-Redaktion