Ein verfassungswidriges Gesetz
Am 1. März trat in der Schweiz das Stammzellenforschungsgesetz in Kraft. Es besagt, dass in der Schweiz erstmals "überzählige" Embryonen für die Herstellung von Stammzelllinien verwendet werden dürfen. 66 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer hatten sich in einem von gentechnik-kritischen Vereinen organisierten Referendum dafür entschieden. Der GID sprach mit der Sprecherin des Basler Appells gegen Gentechnologie, Pascale Steck, über Hintergründe und Folgen des Gesetzes.
Das vom Basler Appell initiierte Referendum gegen das Stammzellenforschungsgesetz ist gescheitert. Hat Sie das überrascht?
Wirklich überrascht hat mich das leider nicht. Bei der Genschutzinitiative, die Ende der 90er Jahre hier in der Schweiz zur Volksabstimmung kam und bei der es darum ging, «Leben und Umwelt vor Genmanipulationen zu schützen», hatten wir bereits die Erfahrung gemacht, dass die oft leider falschen Heilsversprechen der Pharmalobby ihre Wirkung nicht verfehlen. Ähnlich war das Vorgehen der Befürworter, als es letztes Jahr um die Stammzellenforschung ging. Auch hier wurden Szenarien wie die lang ersehnte Heilung von Parkinson, Diabetes, Alzheimer und Krebs ins Zentrum der Argumentation gestellt. Solche Argumente verfangen und werden ungern kritisch hinterfragt. Die meisten Menschen stehen in einer Beziehung zu betroffenen Kranken und möchten diese natürlich geheilt sehen.
Die Forschung an Embryonen wurde in der Schweiz bereits diskutiert, als die In-Vitro-Fertilisation gesetzlich geregelt wurde und man zu diesem Zweck das «Fortpflanzungsmedizingesetz» (FmedG) ins Leben rief. Damals war man sich einig, dass die verbrauchende Forschung am Embryo in der Schweiz untersagt bleiben sollte. Wie erklären Sie sich den Stimmungswechsel?
Das Fortpflanzungsmedizingesetz ist erst seit 2001 in Kraft. Bevor die In-Vitro-Fertilisation in der Schweiz gesetzlich geregelt wurde, musste allerdings die Verfassung entsprechend angepasst werden, das geschah bereits 1992. Der neue Verfassungsartikel 119, der die «Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich» regelt, untersagt nun die Anwendung medizinisch unterstützter Fortpflanzungsverfahren zu Forschungszwecken. Es dürfen außerdem nur so viele Embryonen außerhalb des Körpers der Frau entwickelt werden, wie ihr sofort eingepflanzt werden können. Diese beiden Aussagen implizieren eindeutig, dass die verbrauchende Forschung am Embryo in der Schweiz nicht zugelassen ist. Dem hatte das Schweizer Volk damals auch klar zugestimmt, als ihm der Verfassungsartikel zur Abstimmung vorgelegt wurde. Als nun die Forschung an embryonalen Stammzellen hier in der Schweiz aktuell wurde - dies übrigens deshalb, weil der Nationalfonds (der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) ein Forschungsprojekt mit solchen Zellen in Ermangelung eines expliziten gesetzlichen Verbotes zuließ - arbeitete man in Bern den Entwurf zum «Embryonenforschungsgesetz» aus. Im Parlament, beziehungsweise in den entsprechenden Kommissionen, wurde sehr schnell klar, dass ein solches Gesetz nicht genügend Zustimmung bekommen würde. Also wandelte man das Gesetz während der Debatte kurzerhand in ein «Stammzellenforschungsgesetz» um. Von der Forschung am Embryo war nicht länger die Rede, das Stimmvolk wurde gekonnt hinters Licht geführt.
Was ist Ihre Haupt-Kritik an dem Gesetz?
Ein wichtiger Punkt ist, dass uns nun ein Gesetz vorliegt, das eine Forschungsrichtung regelt, die eigentlich laut Verfassung untersagt ist. Nicht weniger wichtig scheint mir allerdings die ethische Tragweite dieses Gesetzes. Es erlaubt, dass menschliche Embryonen für Forschungs- und Pharmazwecke verbraucht, also getötet werden dürfen. Menschliche Embryonen als industrieller Rohstoff, wollen wir das wirklich?
Legalisiert wird mit dem Gesetz die Herstellung von Stammzelllinien aus so genannten "überzähligen Embryonen". Eigentlich dürfte es diese "überzähligen Embryonen" laut Fortpflanzungsmedizingesetz überhaupt nicht geben
… Auch dies ist ein wesentlicher Kritikpunkt am neuen Gesetz. Es gibt nicht nur den Widerspruch zur Verfassung, sondern eben auch zum Fortpflanzungsmedizingesetz. Dort steht im Artikel 17, Absatz 3 explizit: «Das Konservieren von Embryonen ist verboten». Ein glasklares Verbot, deshalb kann man nach meiner Meinung auch die Ausreden mit den so genannten «Notfallsituationen» - wenn eine Frau während der IVF-Behandlung beispielsweise erkrankt, sodass ihr die Embryonen nicht eingesetzt werden können - nicht gelten lassen. Die Embryokonservierung ist verboten, ohne wenn und aber. Und trotzdem werden in der Schweiz jedes Jahr seelenruhig Embryonen eingefroren.
Um wie viele Embryonen geht es denn?
Wenn wir das so genau wüssten! Die Schätzungen liegen gesamtschweizerisch zwischen 100 und 200 pro Jahr. Laut Gesetz wären die Kliniken für Fortpflanzungsmedizin dazu verpflichtet, Rechenschaft abzulegen, doch auch hier hapert es mit der Umsetzung gewaltig.
Der Züricher Reproduktionsmediziner Bruno Imthurn, ein Befürworter der embryonalen Stammzellforschung, schätzt, dass in den rund zwanzig Schweizer Fortpflanzungskliniken jedes Jahr nur fünf bis zehn überzählige Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen anfallen, denn fast alle Embryonen mit gutem Entwicklungspotenzial werden für die Herbeiführung einer Schwangerschaft gebraucht. Für die Herstellung einer Stammzelllinie braucht es jedoch durchschnittlich 150 bis 200 Embryonen. Hat sich die Politik verkalkuliert?
Diese Frage hatten wir im Vorfeld des Referendums mehrfach gestellt. Meiner Meinung nach läuft es darauf hinaus, dass die Embryonen in der Schweiz den Bedarf nicht decken werden. Also muss man Stammzellen importieren. Diese sind im Normalfall bereits patentiert. Das bedeutet, dass hier in der Schweiz zwar mit diesen Zellen geforscht werden kann, die Forschungsresultate aber nicht zur freien Verfügung stehen. «Forschung im Auftrag des Patentinhabers», so würde ich dies nennen.
Welche Interessen stehen hinter der embryonalen Stammzellforschung? Gibt es bereits Anträge für Forschungsprojekte?
Was die Interessen angeht, die hinter dieser Forschung stehen, so waren die Argumente der Befürworter während des Abstimmungskampfes widersprüchlich. Einerseits versprachen sie Therapien für zahlreiche schwere Erkrankungen und damit die Heilung derselben – dabei geht es natürlich aber auch um Profitinteressen. Andererseits wurde immer wieder betont, es handle sich bei der Stammzellenforschung nur um Grundlagenforschung. Grundlagenforschung aber sei ethisch nicht zu hinterfragen, schließlich ginge es nicht um Profit. Wie dem auch sei, zur Zeit gibt es in der Schweiz nur das eine, vom Nationalfonds bereits im September 2001 bewilligte Projekt vom Forschungsteam um Marisa Jaconi in Genf. Dort wird tatsächlich Grundlagenforschung betrieben. Es geht um die Frage, wie sich aus Stammzellen Herzmuskelzellen entwickeln. Das Bundesamt für Gesundheit hat nun mit Inkrafttreten des Stammzellenforschungsgesetzes am 1. März 2005 eine Homepage ins Leben gerufen. Dort soll jeder einsehen können, wie der tatsächliche Stand der Dinge ist. Laut dieser Homepage gibt es bisher keine weiteren Forschungsanträge.
Während in Deutschland die Diskussion um die Stammzellforschung vor allem durch das Forschungsrahmenprogramm der EU erneut angestoßen wurde, nimmt die Schweiz als Nicht–EU-Land eine Sonderrolle ein. Welche Rolle spielt das Verhältnis zur EU im biomedizinischen Bereich?
Natürlich ist es für die Schweiz nicht ohne Bedeutung, wie die EU einschließlich der Nachbarstaaten mit ethisch heiklen Fragen gerade in der Biomedizin umgeht. Die Bioethikkonvention des Europarates beispielsweise wurde von der Schweiz ebenfalls unterzeichnet, allerdings ist sie noch nicht ratifiziert. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Stand der Forschung in den EU-Ländern werden von der Schweiz aus genau beobachtet. Im Fall der Stammzellenforschung etwa wurde gern auf England mit seinem freizügigen Umgang mit menschlichen Embryonen verwiesen um zu betonen, dass der Forschungsstandort Schweiz ins Hintertreffen gerate, wenn man eine solche Forschung nicht erlaube. Solche Argumente wiegen in den Augen der Stimmbürger natürlich schwer, letztendlich scheint es ja auch immer um Arbeitsplätze zu gehen.
Am 3. März 2005 wurde im Schweizer Parlament auch über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert...
Die PID ist in der Schweiz durch das Fortpflanzungsmedizingesetz untersagt. Im Parlament werden nun Stimmen laut, die diesen Gesetzesartikel streichen möchten. Schließlich möchte man nicht, dass Paare ins Ausland reisen und die Behandlungen dort vornehmen lassen. Außerdem wird die IVF hier in der Schweiz, ähnlich wie in Deutschland, ausschließlich von Paaren mit Sterilitätsproblemen in Anspruch genommen. Wird nun zugelassen, dass Embryonen vor der Einpflanzung auf Erbkrankheiten untersucht und aussortiert werden dürfen, ist damit zu rechnen, dass auch Paare, die in der Lage sind, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen, eine IVF in Anspruch nehmen werden. Um auszuschließen, dass das später geborene Kind Träger einer schweren Erbkrankheit sein wird. Je mehr Patientinnen aber eine IVF in Anspruch nehmen, desto mehr überzählige Embryonen werden anfallen, die von den betroffenen Paaren dann möglicherweise für die embryonale Stammzellenforschung zur Verfügung gestellt werden. Dies ist vermutlich die Hoffnung der ForscherInnen und ParlamentarierInnen, die sich nun für die Aufhebung des PID-Verbots in der Schweiz stark machen.
Das Interview führte Monika Feuerlein
Pascale Steck ist Biologin und Geschäftsführerin von biorespect in Basel / Schweiz. Der Gentechnik- und Biotechnologie-kritische Verein wurde im Jahr 1988 als Basler Appell gegen Gentechnologie gegründet, hat sich zu Beginn dieses Jahres umbenannt und findet sich im Netz unter www.biorespect.ch.
Das Stammzellenforschungsgesetz (StFG)
Nach Angaben des Bundesamtes für Gesundheit sind in der Schweiz noch etwa 800 "altrechtliche" Embryonen vorhanden, also solche, die noch vor der Verabschiedung des Fortpflanzungsmedizingesetzes eingefroren wurden. Für sie endet 2005 die – durch Eilbeschluss des Parlaments bereits verlängerte - Aufbewahrungsfrist. Danach müssten sie entweder vernichtet werden oder können mit Einverständnis des Paars bis längstens Ende 2008 für Forschungszwecke aufbewahrt werden. Die juristische Grundlage für die Verwendung dieser und weiterer "überzähliger" Embryonen legte das Schweizer Parlament im Dezember 2003 mit dem Stammzellenforschungsgesetz. Es legt fest, "unter welchen Voraussetzungen menschliche embryonale Stammzellen aus überzähligen Embryonen gewonnen und zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen". Das therapeutische Klonen bleibt verboten. Die Forschung an adulten Stammzellen wird nicht einmal erwähnt. Besonders umstritten an dem Gesetz: Wenn ein Paar die Zustimmung zur Verwendung seiner "überzähligen" Embryonen verweigert oder widerruft "ist der Embryo sofort zu vernichten". KritikerInnen halten dies für "Erpressung". Gegen das Gesetz organisierte der Basler Appell unabhängig von zwei weiteren Organisationen ein Referendum, das im April 2004 zustande kam und über das am 28. November abgestimmt wurde. In dieser Volksabstimmung wurde das Gesetz mit einer Mehrheit von 66 Prozent angenommen. Damit trat es am 1. März 2005 in Kraft. Das Gesetz, die entsprechenden Verordnungen und weitere Texte zum Thema sind auf der Internetseite des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit unter http://www.bag.admin.ch/ nachzulesen. (mf)