Freispruch nach PID
Kommentar
Eine Große Strafkammer des Landgerichtes Berlin hat einen Berliner „Kinderwunscharzt“ am 14. Mai vom Vorwurf des Vergehens gegen das Embryonenschutzgesetz freigesprochen.
Die IVF-Behandlung nach vorheriger Präimplantationsdiagnostik (PID) ist darauf gerichtet, einen genetisch defekten Embryo nicht zu implantieren. Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) stellt die PID ausnahmslos unter Strafe.“ So hat noch vor gut zwei Jahren ein Gericht rechtskräftig entschieden. Allerdings ging es in dem Rechtsstreit um die Frage, ob eine gesetzliche Krankenkasse die Kosten für die Präimplantationsdiagnostik zu tragen hat, und das Urteil wurde vom Hessischen Landessozialgericht gesprochen. Jetzt hat eine Große Strafkammer des Landgerichts Berlin die PID aus strafrechtlicher Sicht ganz anders beurteilt und einen Berliner Gynäkologen freigesprochen, der in seiner so genannten Kinderwunschpraxis bei drei Paaren außerhalb des Mutterleibs befruchtete Eizellen in die Embryokultur übernommen hatte, wobei er von vornherein vorgehabt habe, diese im so genannten Blastozystenstadium zwecks Aufdeckung möglicher genetischer Defekte präimplantationsdiagnostisch zu untersuchen. In allen drei Fällen entdeckte er dabei genetische Auffälligkeiten bei Embryonen und ließ diese daraufhin absterben, ohne eine Schwangerschaft herbeizuführen - wie es die potenziellen Eltern gewünscht hatten
Strategische Selbstanzeige
Dem Gynäkologen ging es dabei aber noch um mehr – er wollte einen Präzedenzfall inszenieren und zeigte sich wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz selbst an. Was dann folgte, war ein Beispiel für die Ratlosigkeit der Justiz im Umgang mit biopolitisch motivierten Gesetzesverstößen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren, kaum dass es eröffnet war, zuerst selbst wieder ein. Nach Auffassung der zuständigen Juristin handelte der Gynäkologe im unvermeidbaren Verbotsirrtum, da er sich ein Rechtsgutachten hatte erstellen lassen, das die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnose begründete. Wieso der Arzt, wenn er denn von der Erlaubtheit seines Handelns so restlos überzeugt war, Selbstanzeige gestellt hatte, blieb dabei eher ungeklärt. Nach einem Dezernentenwechsel in der Anklagebehörde wurde die Angelegenheit überprüft. Von Verbotsirrtum war jetzt keine Rede mehr, stattdessen wurde Anklage erhoben, die das Landgericht Berlin aber nicht zuließ, weil es keinen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz zu erkennen vermochte. Daraufhin wandten sich die Ankläger an das Kammergericht Berlin, das ihrer sofortigen Beschwerde stattgab und in einer ausführlich begründeten Entscheidung Verstöße gegen das Embryonenschutzgesetz annahm. Das Verfahren wurde sodann vor einer anderen Großen Strafkammer des Landgerichts angeklagt und verhandelt - am Ende stand jetzt in erster Instanz ein Freispruch aus Rechtsgründen: Das noch nicht schriftlich begründete Urteil nahm an, dass die von dem angeklagten Arzt angewandte PID nicht gegen Strafnormen des Embryonenschutzgesetzes verstoße.
Nein zur Forschung, Ja zur „medizinischen Selektion“
Im Zentrum steht in dieser Kontroverse § 1 Nr 2 EschG, der regelt, dass mit bis zu drei Jahren Haft bestraft wird, „ wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt.“ Während das Kammergericht unter Berufung auf den Gesetzgeber zu der Auffassung kam, dass bei einer Präimplantationsdiagnose „ein anderer Zweck“ als die Herbeiführung der Schwangerschaft, nämlich die genetische Untersuchung, verfolgt werde, kam das Landgericht Berlin zu der Ansicht, dass dieses Verständnis der Norm nicht vertretbar sei: Die genetische Diagnostik wäre kein eigenständiger Zweck. Das Embryonenschutzgesetz ziele auf ein Verbot der Zucht von Embryonen zu reinen Forschungszwecken, nicht aber solle es eine „Selektion wegen erheblicher schwerster Schäden“ verhindern.
Folgenschwere Rechtsauslegung
Mit diesem Verständnis des Gesetzes übernimmt das Landgericht Berlin die Auffassung einer relevanten Mindermeinung in der strafrechtlichen Literatur. Die Staatsanwaltschaft plant, gegen die Entscheidung beim Bundesgerichtshof in Revision zu gehen. Sollte die Berliner Entscheidung Bestand haben, sind angesichts ihres Vorlaufs auch gravierende Folgen zu erwarten. Die in der Bundesrepublik mittlerweile verbreiteteten „Kinderwunsch“-Zentren werden dann die Präimplantationsdiagnostik sicher in nennenswertem Umfang anbieten.
Oliver Tolmein hat über ein strafrechtliches bioethisches Thema promoviert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg. Er vertritt überwiegend Menschen mit Behinderungen. Einer seiner Schwerpunkte in der „Kanzlei Menschen und Rechte“ ist Anti-Diskriminierungsrecht.