Irreführende Kennzeichnung
Futtermittel mit Gentechnik-Anteil müssen seit April gekennzeichnet werden. Die Firma Bunge kennzeichnet sogar gentechnikfreies Soja und zieht damit den Ärger von Bäuerinnen und Bauern auf sich.
Zwei Kühe an der Innenalster in Hamburg beeindrucken zwei Frauen auf dem Weg ins Büro nicht, etwas Soja-Schrot auf dem Gehweg vor dem Büro der Bunge Handelsgesellschaft hingegen den Hausbesitzer und die Mitarbeiter des Unternehmens Bunge. Im Juni zogen Bauern und Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft nach Hamburg und forderten "verkauft uns, was ihr habt: gentechnikfreies Sojaschrot!" Damit machten sie ihrer Empörung über das lückenhafte Angebot von gentechnikfreien Futtermitteln Luft.
Verschärfte Kennzeichnung
Seitdem Mitte April neben der verschärften Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Lebensmittel erstmals auch eine Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Futtermittel in der EU eingeführt wurde, haben Bauern hohe Hürden zu überwinden, bevor sie Futtermittel ohne Gentechnik kaufen können. Während die Lebensmittelindustrie die Einführung der Kennzeichnungspflicht durch Verträge und den Kauf gentechnikfreier Waren und Rohstoffe vorbereitet hat, wartete die Futtermittelbranche ab. Allem Anschein nach sollten Bauern erst gar nicht in Versuchung gebracht werden, Futtermittel ohne Gentechnik kaufen zu wollen. In den Mitteilungen des Verbandes der Mischfutterindustrie wurde in den letzten anderthalb Jahren deutlich gemacht, dass es praktisch nur noch gentechnisch verändertes Soja zu kaufen gebe. Beim Mais handele es sich nur noch um wenige Übergangsjahre bis auch dort keine gentechnikfreie Ware mehr zu bekommen sei. Obwohl es lange Übergangsfristen für die umfassende Kennzeichnung bei Futtermittel gibt, stand ab dem 19. April dann auf jedem Lieferschein für Mischfutter "enthält gentechnisch verändertes Soja". Dass Bauern mit der Einführung der Kennzeichnungspflicht zumindest theoretisch die Wahl haben, was sie verfüttern wollen, wurde ihnen weder umfassend von öffentlichen Stellen noch aus der Futtermittelbranche und schon gar nicht in der vom Bauernverband dominierten Agrarpresse mitgeteilt. Der Sojaimport in Deutschland ist konzentriert. In Deutschland gibt es nur drei Mühlen für Sojabohnen, wovon nur eine gentechnikfreies Schrot verkauft. Ein weiterer Importweg geht über einen Hafen in Westniedersachsen, einer Region intensiver Tierhaltung. Ohne Information und ohne Angebot ist es schwer, als Kunde etwas nachzufragen. Hinzu kam, dass die EU-Verordnung 1929/2003 EU-weit regelt, wie und was zu kennzeichnen ist. Die spannenden Detailfragen jedoch sind nach wie vor unbeantwortet: Was steht auf einer Futtermittelmischung ohne Sojaschrot, bei der in Untersuchungen Verunreinigungen mit gentechnisch verändertem Soja gefunden werden? Ab welcher Verunreinigung muss diese Mischung gekennzeichnet werden? Und: Wie muss sie gekennzeichnet werden? Mit "Enthält Soja" oder soll doch lieber das Gen-Konstrukt genannt werden, da es ja nicht um das Soja geht? Auch nach heutigem Futtermittelrecht kann es schon geringfügige Beimengungen von nicht gentechnisch veränderten Komponenten geben, die nicht genannt werden müssen. Für die Auslegung der EU-Kennzeichnungsverordnung ist die EU-Kommission zuständig. Diese hat nun Expertenrunden einberufen, um offene Fragen zu klären. So ist zum Beispiel nach wie vor offen, was "mit Gentechnik hergestellt" heißt. Das betrifft vor allem die industriell hergestellten Vitamine oder Aminosäuren für die Schweinefütterung. Auf etliche dieser Aminosäuren ist kaum zu verzichten, weder in der Tierfütterung noch in der Lebensmittelverarbeitung. Für B-Vitamine gibt es teilweise kaum noch Herstellungsverfahren, bei denen keinerlei Gentechnik zum Einsatz kommt. Sollte hierbei eine sehr strenge Kennzeichnung eingeführt werden, haben einige der großen Erzeugergemeinschaften schon signalisiert, dann auch auf den Einsatz von gentechnikfreiem Soja zu verzichten. Kaum eine der großen Umwelt- oder Verbraucherorganisationen mag jedoch hier für lockere Regeln eintreten, war doch die Transparenz der Herstellungsprozesse ein Kernanliegen.
Details der Kennzeichnung
Für die Überwachung der Kennzeichnung in Deutschland sind die Bundesländer zuständig, die teils abwartend reagieren, teils schon munter kontrollieren. So erhielten selbst Futtermittelwerke, die Willens waren, der Nachfrage der Bauern nach gentechnikfreien Futtermitteln nachzukommen, wenig Unterstützung und Beratung. Schließlich versuchten sie einen anderen Weg als vom Verband der deutschen Mischfutterindustrie empfohlen. Öffentliche Stellen wollten zwar die richtige Kennzeichnung überwachen, aber in der Abstimmung zwischen den Ländern gab es unterschiedliche Auffassungen über die Auslegung der Kennzeichnungsverordnung. Zum Beispiel bei der Frage, ab welcher Verunreinigung zu kennzeichnen sei, bestand wenig Einigkeit zwischen den Ländern. Kauft eine Mühle Raps zu und er weist Verunreinigungen von 0,3 Prozent auf, wie muss sie dann nachweisen, dass die Verunreinigung technisch unvermeidbar ist? Man erinnere sich: Die EU-Verordnung, die die Kennzeichnung der gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel regelt, schreibt vor, dass ab dem Grenzwert von 0,9 Prozent gekennzeichnet werden muss, aber dieser Wert hat nur Gültigkeit, wenn die Verunreinigungen als technisch unvermeidbar oder zufällig gelten können. Im Gegensatz zur Lebensmittelbranche ist es im Futtermittelbereich die Regel, dass dort gentechnisch veränderte Komponenten, vor allem Sojaschrot und auch Maiskleber, eingesetzt werden. So entstehen andere Fragen über Verschleppungen und Verunreinigungen als in der gentechnisch recht unbelasteten Lebensmittelverarbeitung. Da für die meisten tierischen Produkte kein Aufpreis erzielt werden kann, wenn auf Gentechnik im Futter verzichtet wird, wird die Mehrarbeit der Kontrolle, der Untersuchungen und der Dokumentation ausgerechnet jenen Händlern und Bauern aufgebürdet, die auf die Gentechnik verzichten wollen. Allein aus diesem Grund ist das gentechnikfreie Sojaschrot teurer, nicht weil die Gentechnik den Anbau verbilligt.
Folgen der Kennzeichnung
Die Ersten, die mit den Folgen der unklaren Situation konfrontiert wurden, waren die Teilnehmer an Markenfleischprogrammen mit Schweinen. In der intensiven Hennen-, Hähnchen-, Puten- und Schweinehaltung ist Sojaschrot ein billiges und vor allem gut verdauliches Eiweißfuttermittel. Bei den heutigen niedrigen Fleischpreisen und dem Stand der Pflanzenzucht kann es auch mittelfristig durch kein anderes Eiweißfuttermittel vollständig ersetzt werden. Teils haben Unternehmen wie Edeka Nord oder tegut schon seit einigen Jahren den Einkauf von gentechnikfreiem Soja organisiert. Doch Ende April, Anfang Mai dieses Jahres wollten dann selbst ihre langjährigen Futtermittellieferanten keine Garantien für das Sojaschrot mehr geben. Inzwischen kommen einzelne Futtermittelwerke der Nachfrage der Bauern wieder oder neu nach. Das Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft hat eine Liste der Lieferanten zusammengestellt.(1) Die Reaktionen der Futtermittelhändler sind gemischt. Einige reagieren empört und äußern Befürchtungen, dann auch auf "dieser Liste" zu erscheinen, andere rufen beim Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft an und wollen ebenfalls als Lieferanten genannt werden. Nach Aussage des Verbandes Deutscher Ölmühlen werden momentan ungefähr 20 Prozent des in Deutschland verfütterten Sojaschrots gentechnikfrei vertrieben. Wenn Bauern die Wahl hätten, zum gleichen Preis bundesweit Futtermittel ohne Gentechnik einzukaufen, würden sich zwei Drittel dafür entscheiden.(2) Denn in der Fütterung bringen die Sojabohnen, die mittels Gentechnik gegen Unkrautbekämpfungsmittel resistent gemacht wurden, keinen einzigen Vorteil. Die Hennen legen nicht mehr Eier, die Hähnchen nehmen nicht schneller zu, die Schweine werden nicht gesünder und Kühe geben nicht mehr Milch.
Falsche Kennzeichnung
Aktuell streiten sich Bauern und Futtermittelwerke über die falsche Kennzeichnung von Sojaschrot aus Brasilien. Denn einige Futtermittelwerke kaufen zwar zu einem Aufpreis zertifiziert gentechnikfreies Sojaschrot aus Brasilien ein, aber an die Bauern wird es als "gentechnisch verändert" weiterverkauft, also falsch positiv gekennzeichnet. Vor allem in Baden-Württemberg sorgt dies für Ärger. Im Südwesten setzen etliche Metzger und ihre Schlachthöfe auf gentechnikfrei gefütterte Tiere, auch die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall hat Entsprechendes in ihren Richtlinien stehen. Die Ölmühle Mannheim, Tochter des internationalen Mühlenkonzerns Bunge, hat das ganze Werk auf gentechnikfreie Sojavermahlung umgestellt. Im Jahr 2002 übernahm Bunge die Mehrheit des französischen Sojakonzerns Cereol und wurde damit zum größten Verarbeiter von Ölsaaten weltweit. Cereol verarbeitet jährlich 13,6 Millionen Tonnen Ölsaaten für die Lebensmittelindustrie und für die Tierfütterung. In der Regel werden die Ölsaaten in den Mühlen gepresst und/oder geschrotet. Das Öl geht in die Lebensmittelproduktion, das Schrot findet als Futtermittel Verwendung. An den Lebensmittelhandel liefert die Mühle aus Mannheim also gentechnikfreie (ungekennzeichnete) Öle. Andere sind in Deutschland für den menschlichen Verzehr nicht absetzbar, weil die Lebensmittelhersteller bisher dem Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach gentechnikfreien Lebensmitteln nachkommen. Einen Teil des Sojaschrots verkauft die Mühle – ungekennzeichnet - zu einem Aufpreis von vier Euro je 100 Kilogramm. Der Rest des Schrotes wird zum herkömmlichen Preis verkauft und in den Begleitpapieren steht, dass es gentechnisch verändert ist. Dass aus zertifiziert gentechnikfreier Ware gentechnisch veränderter Sojaschrot als Nebenprodukt entstehen kann, ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Sparsame schwäbische Bauern sehen nicht ein, warum sie für die gleiche Ware vier Euro mehr bezahlen sollen. Während des Besuchs der Bauern bei Bunge in Hamburg war kein Mitarbeiter spontan bereit, die Fragen zu beantworten. Ein Gespräch will Bunge inzwischen nicht mehr mit den Bauern führen, "der Stil" unangemeldet vorbeizukommen und Sojaschrot auf den Gehweg zu platzieren, das Ganze auch noch in Begleitung eines Fernsehteams sei "sehr befremdlich", so antwortete der Konzern auf die Bitte seiner Kunden um einen weiteren Gesprächstermin.
Fußnoten:
- www.abl-ev.de/gentechnik
- WICKERT INSTITUTE, 2002: Deutsche Bauern lehnen Gen-Pflanzen ab
Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.
Soja aus Brasilien
In den Hauptanbauländern von Sojabohnen wächst der Anteil der gentechnisch veränderten Pflanzen rasch. In den USA wurden 2003 schon 80 Prozent der Fläche, in Argentinien sogar 98 Prozent damit bebaut.(1) Brasilien ist der letzte große Exporteur, der gentechnikfreie Sojabohnen liefert, selbst dort werden bereits 40 Prozent der Fläche mit gentechnisch verändertem Soja bestellt. In den letzten zwei Jahren hat die brasilianische Regierung den illegalen Anbau der Bohnen jeweils für das laufende Jahr nachträglich legalisiert. Momentan wird in Brasilien über ein neues Gesetz zur Gentechnik diskutiert. Einzelne Bundesstaaten haben sich dennoch weiterhin für gentechnikfrei erklärt und es wird dort nach wie vor zertifiziert gentechnikfreie Ware beziehungsweise "Non GMO Soja" produziert. Gentechnische Verunreinigungen bei Soja treten kaum durch Fremdeinkreuzungen während des Anbaus auf, sondern entstehen vor allem während des Transportes, der Lagerung und der Be- und Entfüllung der Lager. Zum Teil gibt es Verträge zwischen den Importeuren von "Non GMO Soja", die bis zum Anbau auf den Feldern reichen, teils wird das Soja bei der Anlieferung im brasilianischen Hafen getestet. Für Brasilien ist Soja der wichtigste Devisenbringer. 2003 wurden Bohnen, Öle und Schrot für acht Milliarden Dollar exportiert.(2) Die Entscheidungen der Verarbeiter, Konsumenten und Bauern und in deren Folge der Zwischenhändler in der EU sind maßgeblich für die Anbauplanungen in Brasilien. Kommen von den europäischen Verarbeitern klare Signale für die weitere Nachfrage nach gentechnikfreier Ware, werden auch in Brasilien Landwirte diese weiter anbauen. Branchenkenner berichten von ersten Gesprächen mit Farmern aus den USA, die gegen einen deutlichen Aufpreis bereit wären, in einzelnen Regionen wieder auf gentechnikfreie Sojabohnen umzustellen.
(Mute Schimpf)
Quellen:
- Vortrag von Karl-Josef Groß, Verband Deutscher Ölmühlen e.V. auf der Tagung "Gentechnikfreie Regionen und Koexistenz" am 22. Juni in Berlin
- taz vom 26.06.2004: "Gentechnik erobert Brasilien" von Gerhard Dilger
Die Kennzeichnung "gentechnisch verändert" bei Futtermitteln:
Seit dem 18. April dieses Jahres gelten in der EU neue Vorschriften für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter (gv) Lebens- und Futtermittel. In der Verordnung wird unterschieden, ob ein Lebens- oder Futtermittel "aus" oder "mit" Gentechnik hergestellt wird. So müssen zum Beispiel Mais-Chips aus gentechnisch verändertem Mais ebenso gekennzeichnet werden wie Futtermittelmischungen mit gv-Soja oder gv-Maiskleber. Heute spielen gentechnisch veränderte Bestandteile vor allem in verarbeiteten Lebens- und Futtermitteln eine Rolle (Tütensuppen, Fertigpizzen, aber auch Futtermischungen). Zum Einsatz kommen gentechnisch veränderte Bestandteile aus Soja und Mais, Öle aus Raps, Soja, Mais sowie Baumwolle. In Bezug auf Lebensmittel stellt dies insofern eine Verschärfung dar, als dass bislang nur die Produkte gekennzeichnet werden mussten, in denen Gentechnik im Endprodukt nachgewiesen werden konnte. Mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung ist zum Beispiel raffiniertes Öl aus gentechnischem Soja zu kennzeichnen. Für Futtermittel wird diese Kennzeichnung neu eingeführt, bislang mussten hier gentechnisch veränderte Ausgangsstoffe überhaupt nicht gekennzeichnet werden.
Was wird nicht gekennzeichnet? Weiterhin nicht gekennzeichnet werden müssen auch in Zukunft Milch, Eier und Fleisch von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. Für eine Kennzeichnung der tierischen Produkte hat sich in der EU leider keine Mehrheit gefunden. Dies ist besonders bedauerlich, weil der weitaus größte Teil der in die Europäische Union eingeführten gentechnisch veränderten Pflanzen als Futtermittel zum Einsatz kommt.
Grenzwert für Verunreinigung Um nicht wegen jeder möglichen Verunreinigung ein Lebens- oder Futtermittel kennzeichnen zu müssen, wurde in der EU-Verordnung ein Grenzwert von 0,9 Prozent festgelegt, bis zu dem "technisch unvermeidbare und zufällige Beimengungen" toleriert werden, das heißt, eine Kennzeichnung nicht notwendig ist. Dieser Grenzwert gilt für jede einzelne Zutat. Ein Beispiel: Ein Öl aus gentechnisch veränderten Sojabohnen muss auf der Packung vermerkt werden, selbst wenn es nur einen winzigen Anteil einer Futtermischung oder einer Pizza ausmacht.
Noch unklar Leider ist immer noch nicht in den Einzelheiten geklärt, welche Zutaten wie Aminosäuren, Vitamine oder Hefen als "gentechnisch verändert" gelten. Wird zum Beispiel ein Vitamin nur "mit" Gentechnik hergestellt, wird es nicht gekennzeichnet. Allerdings verläuft die Herstellung eines Vitamins in so vielen Stufen, dass es erst in zwei Jahren EU-weit festgelegt sein wird, was endgültig gekennzeichnet werden muss.
(Mute Schimpf)