Neoliberalismus und globale Ökologie
Mit Blick auf die biologische Vielfalt sind Strategien der Erhaltung der Biodiversität unauflösbar verquickt mit Strategien der Inwertsetzung genetischer Ressourcen. Gleichzeitig bieten sie lokalen Akteuren wenn auch nur geringe Chancen, ihre Naturverhältnisse nach lokalen Erfahrungen und im Rückgriff auf, aber unter Transformation von traditionalem Wissen selbst zu gestalten.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ökologische Bedrohungen als starker Hebel zur Entstehung eines neuen planetarischen Bewusstseins, der Durchsetzung einer "vernünftigen Welteinheit" angesehen wurden. In den frühen 1990er Jahren entstanden im Umkreis der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 eine ganze Reihe von internationalen Abkommen. Diese schienen zu belegen, dass die Menschheit – oder wenigstens die Staaten und ihre Regierungen – zu einem kooperativen Handeln zur Bewältigung dieser globalen Problemlage gewillt und fähig sei. Anfang des 21. Jahrhunderts sind die Umweltproblematik und ihre Bearbeitungsformen weit entfernt davon, auch nur die gravierendsten Entwicklungen gestoppt oder gar umgekehrt zu haben. Wo die globale Wettbewerbsfähigkeit und mit ihr scheinbar eng verbundene Fragen (leere Staatskassen, Arbeitslosigkeit et cetera) oder die Sicherung nationaler Interessen (was immer das sein mag) eindeutige Priorität genießen, da muss die Ökologie wieder ins zweite oder gar dritte Glied zurücktreten. Und auf internationaler Ebene werden die Umweltabkommen von den Abkommen zur Handelsliberalisierung und zur Sicherung geistigen Eigentums im Umfeld der Welthandelsorganisation (WTO) dominiert.
Illusion einer gemeinsamen Bedrohungsperspektive
Nun ist selbst diese Ernüchterung noch von der Illusion geprägt, es hätte diese gemeinsame Bedrohungsperspektive und das verbindende Bewusstsein jemals gegeben. Diese Illusion war in mehr oder weniger ausgeprägter Form besonders in der Umweltforschung verbreitet. Doch es gab schon lange Stimmen, die eine völlig andere Perspektive auf diese Problemlage einnahmen. So wurde auf die völlig unterschiedliche Realität ökologischer Probleme in nördlichen Industrieländern und in südlichen "Entwicklungs"ländern hingewiesen (1), zudem wurde ein kurzschlüssiger "Managerismus" in Umweltfragen kritisiert und die Berücksichtigung globaler Machtverhältnisse eingefordert. In radikaler Form wird die Annahme einer gemeinsamen globalen Bedrohungslage aber von der These bestritten, dass wir es mit einem neuen ökologischen Imperialismus zu tun haben, in dem der Zugang zu Ressourcen und die Gestaltung der ökologischen Abhängigkeiten zusammen mit Tendenzen zu einer imperialen Kontrolle der Welt gesehen werden müssen.(2) Wo allein auf ökologische Probleme als eine historisch neuartige globale Problemlage fokussiert wird, die zu kooperativen Ansätzen in der "Weltgesellschaft" zwinge, da wird sowohl die Vorgeschichte als auch die Gegenwart ökologischer Abhängigkeiten und die höchst selektive - weil durch globale Machtverhältnisse geprägte - Vermittlung von Natur und Gesellschaft ausgeblendet. Richtig verstehen lassen sich die neuen umweltpolitischen Institutionen und Abkommen aber nur in Bezug auf die neoliberale Umstrukturierung globaler gesellschaftlicher Naturverhältnisse.
Die neoliberale Prägung der Umweltabkommen
Zwei Mythen über die Strategien neoliberaler Politik und wie ihnen zu begegnen sei halten sich hartnäckig. Einmal der Glaube, der Neoliberalismus beruhe auf einer Freisetzung der Marktkräfte, was dann je nach politischer Ausrichtung begrüßt oder kritisiert wird. Ein anderer Mythos wird beschworen, wenn versucht wird, den offenkundigen Krisen in ökonomischer, sozialer wie ökologischer Hinsicht durch ein "Global Governance", durch eine politische Regulierung des entfesselten Weltmarktes, entgegenzutreten. Der Glaube, es ginge um ein globales institutionelles "Wiedereinbetten" der mehr und mehr als zerstörerisch erlebten globalen Marktkräfte, übersieht, dass viele Institutionen von Beginn an an der neoliberalen Umstrukturierung beteiligt waren, andere von neoliberalen Strategien durchtränkt sind. Beide Mythen gehen oft einher mit einem sehr sektoralen Verständnis von Umweltpolitik als einem spezialisierten Politikfeld, das sich erst in entwickelten Industrienationen herausbilde. In einem erneuerten modernisierungstheoretischen Optimismus, wie ich es nennen möchte (3), wird davon ausgegangen, dass die nord-westlichen Industrieländer weil ökonomisch leistungsfähiger im Prinzip auch über überlegene Gestaltungspotentiale in den Naturverhältnissen verfügen, dass aber dazu die Marktkräfte korrigierender (politischer, sozialer) Institutionen bedürften.
Gesellschaftliche Naturverhältnisse
Dagegen ist das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse darauf ausgerichtet, die Gesamtheit der Formen zu thematisieren, in denen Gesellschaften ihre Verhältnisse zur Natur symbolisch gestalten und praktisch regulieren – von der Ökonomie und wissenschaftlich-technischen Innovationen über kulturell verankerte Lebensweisen und hierarchisch strukturierte Geschlechterverhältnisse bis zur expliziten Umweltpolitik (im Sinne der Reaktion auf Umweltbelastungen). Doch ist diese eben immer von anderen Politikfeldern, vor allem der Wirtschafts- und Sozialpolitik, geprägt, ist mir ihr vermittelt. Eine isolierte Orientierung auf das Politikfeld "Umwelt" kann den tatsächlichen Vermittlungen von ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen also nicht gerecht werden. Aus dem Auge gerät vor allem der Zusammenhang zwischen ökologischer Problematik und gesellschaftlichen Umstrukturierungen, die als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus (4) zu begreifen sind. Diese haben sowohl die innergesellschaftlichen wie auch die internationalen Struktur-muster erheblich verändert. Die ökologische Krise war, symbolisch wie materiell, eng mit der Krise des Fordismus verbunden. Auf der materiell-stofflichen Seite beruhte das den Fordismus prägende Wohlstandsmodell der nördlichen Industriegesellschaften auf der Ausbeutung fossiler Bodenschätze (insbesondere Erdöl) und war maßgeblich verantwortlich für die enorme Ausweitung des Ressourcenverbrauchs und die steigende Belastung der natürlichen Umwelt durch Schadstoffe. Auf der anderen, symbolischen Seite thematisierten soziale Bewegungen und Intellektuelle die ökologische Krise als eine gesellschaftliche Krise, indem die sozialen Ursachen der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu benennen versucht wurden. Doch diese Konstellation geriet in den 80er Jahren immer stärker in den Sog des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. Die zentrale Strategie zur Durchsetzung des postfordistischen Kapitalismus war die neoliberale Ausrichtung der Gesellschaft an den Imperativen der Effizienz und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Auch staatliche Politik wurde immer stärker daran ausgerichtet.(5) Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Seit den 90er Jahren hat die Entwicklung neuer Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der neueren Bio- und Gentechnologien auch auf ökonomisch-technischer Ebene zur Herausbildung veränderter, "postfordistischer Naturverhältnisse" beigetragen.(6)
Rentabilitätskalküle des Kapitals
Mit dem Übergang zum Postfordismus ändern sich sowohl die Arbeitsweise zentraler gesellschaftlicher Institutionen als auch auf eine durchaus widersprüchliche Art und Weise der Zugriff auf natürliche Ressourcen. Mit dem immer stärker werdenden, von machtvollen Interessen gesetzten Imperativ internationaler Wettbewerbsfähigkeit wird auch der Umgang mit Natur als Ressource stärker den Rentabilitätskalkülen des Kapitals unterworfen. Gerade in südlichen Ländern erhält dies durch den Kontext von Auslandsverschuldung und dem Zwang zum Schuldendienst besondere Bedeutung. Aufgrund neuer technologischer Verfahren und neuer Produktionsstrukturen gewinnt die Frage ihrer ökonomischen Verwertbarkeit eine neue Qualität. Insbesondere die neuen Bio- und Gentechnologien repräsentieren diesen anderen Zugriff auf Natur, denn sie machen Teile der außermenschlichen wie auch der menschlichen Natur zu "strategischen Ressourcen". Auf internationaler Ebene bildet sich ein Kooperations-Konkurrenz-Paradox als zentrale Rahmenbedingung internationaler Umweltpolitik heraus. Meist wird nur die eine Seite erwähnt: ein wachsender Druck zur kooperativen Bearbeitung grenzüberschreitender Umweltprobleme. Dieser Druck setzt sich nicht naturwüchsig als direkte Folge ökologischer Problemlagen durch, sondern immer vermittelt durch seine öffentliche Symbolisierung durch soziale Akteure (Nichtregierungsorganisationen - NGOs, WissenschaftlerInnen et cetera). Der politische Druck zur Kooperation hat in den vergangenen Jahren zu einer kaum noch überschaubaren Zahl internationaler Umweltabkommen geführt. Allerdings heben diese Abkommen und Regime die Konkurrenz zwischen Staaten sowie zwischen verschiedenen ökonomischen Sektoren und Regionen keineswegs auf. Vielmehr prägt diese Konkurrenz die bestehenden Abkommen in hohem Maße, und zwar umso stärker, je mehr von einzelnen Abkommen komplexe Querschnittsprobleme tangiert werden; und damit werden meist auch Spannungsverhältnisse zwischen verschiedenen internationalen Vertragswerken sichtbar, was - beides - in der internationalen Biodiversitätspolitik gut beobachtet werden kann.(6) Generell lässt sich sagen, dass sich sowohl in nationalen als auch in internationalen Maßnahmen zur Bearbeitung ökologischer Problemlagen völlig unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Interessen artikulieren. Diese werden von den verschiedenen nationalen wie internationalen Interessengruppen in die Vertragstexte und den weiteren Verhandlungsprozess hineingetragen beziehungsweise eingeschrieben.
Imperialismus und Naturbeherrschung
Nun ist daran vieles neu, aber nicht alles. Wie Mike Davis' Studie zur "Geburt der Dritten Welt" (7 und Kasten) gezeigt hat, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der spezifisch neuzeitlichen Ausprägung globaler Ungleichheit und der Gestaltung der Naturverhältnisse, zwischen kapitalistischer Globalisierung und der Inwertsetzung und Zerstörung anders organisierter sozial-ökologischer Lebensformen. Zwei Aspekte sind dabei besonders wichtig: die Betonung der Verschiedenheit scheinbar globaler Umweltprobleme in unterschiedlichen Gesellschaften und die Relevanz der Machtverhältnisse. Im Hinblick auf den ersten Punkt ist zunächst von Bedeutung, dass ökologische Probleme in verschiedenen Gesellschaften höchst unterschiedliche Formen annehmen. Selbst an globalen Umweltproblemen sind die verschiedenen nationalen Gesellschaften in Nord und Süd höchst ungleich beteiligt – sowohl was die Ursachen als auch was die Folgen angeht.(8) Offenkundig stellen sich erhebliche Verteilungsprobleme, sowohl was die Nutzung der globalen Umwelt als auch was die Reduktionserfordernisse betrifft. Darüber hinaus sind deutliche Unterschiede in der Konstruktion der Problemlage zwischen Nord und Süd zu beobachten. In den Industriegesellschaften des Nordens war die Hauptmotivation für ein ökologisches Engagement die Sorge um eine drohende ökologische Katastrophe. Demgegenüber stellt sich in vielen Ländern des Südens das Ökologieproblem zuerst als ein Problem der alltäglichen Sicherung des Lebensunterhalts, in Form von Nahrungsmitteln, von Feuerholz oder sauberem Wasser, und ist damit in völlig andere soziale Praktiken und Zyklen eingelassen.(2) Diese alltägliche Gegenwart ökologischer Probleme, die aber oft nicht als solche thematisiert werden, sondern als soziales, im engeren Sinne als Armutsproblem erscheinen, bringt eine völlig andere Ausrichtung der Wahrnehmung mit sich als in nördlichen Industrieländern. Wenn dort die ökologische Problematik oft als ein Luxusproblem interpretiert wird, dann ist die ökologische Katastrophe im Süden schon in den normalen Alltag, in eine oft krisenhafte Realität post- und neokolonialer sozialer Verhältnisse eingebaut. Im übrigen gilt der Luxuscharakter ökologischer Fragen in einem doppelten Sinne: Einerseits ist sie das Produkt einer verschwenderischen Lebensweise; und andererseits ist sie auch der sozialen Frage nachgeordnet, also ein Luxus, mit dem man sich nur beschäftigt, wenn und solange das unmittelbare materielle Leben und die soziale Integration gesichert erscheint. Zudem sind die konkreten sozialen Auswirkungen dieser Belastungen ernst zu nehmen und genau zu analysieren. Ökologische Degradationen betreffen nämlich keineswegs alle gleichermaßen, sondern verschärfen hierarchische gesellschaftliche Verhältnisse und generieren neue Dimensionen von Ungleichheit. So gilt die Beobachtung der alltäglichen Relevanz ökologischer Probleme nicht in gleicher Weise für die städtische Mittel- und Oberschicht südlicher Länder. Sie sind nicht geschlechtsneutral, sondern verschärfen in vielen Fällen bestehende Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und damit verbundene patriarchale Strukturen. Scheinbar alle Menschen gleichermaßen betreffende Probleme nehmen also Erscheinungsformen an, die gegensätzliche Interessenlagen (von Süd und Nord, Stadt und Land, Männern und Frauen, industrialisierter versus Subsistenz-Landwirtschaft, nationale Mehrheitskultur und indigene Völker und Ähnliches) implizieren und Spaltungen zwischen diesen Interessengruppen produzieren beziehungsweise verstärken können. Umwelt (oder Natur) ist nicht eine unberührte, neutrale Umgebung menschlicher Aktivitäten und Macht auch keine reine innergesellschaftliche Kategorie, sondern Macht bezieht sich auf "the ability of an actor to control their own interaction with the environment and the interaction of other actors with the environment".(2) Die Gestaltung der Naturverhältnisse einer Akteursgruppe ist demnach in Verbindung zu sehen mit der Kontrolle über die Naturverhältnisse einer anderen Akteursgruppe – und beides zusammen konstituiert spezifische Machtpositionen. Die globalen Macht- und Herrschaftsformen artikulieren sich dann dadurch, wie die verschiedenen Akteure ihre Naturverhältnisse zu gestalten vermögen und inwieweit sie dabei von anderen abhängig sind oder umgekehrt diese zu kontrollieren vermögen. Die relevante Zeitspanne erstreckt sich von der Zeit der europäischen Expansion und der Ausbeutung des natürlichen Reichtums der Kolonien über das Zeitalter des Imperialismus bis in die moderne Naturschutzpolitik hinein. Das Interessante an Davis' - oben bereits erwähnten - Studie ist nun, dass er keineswegs soziale Faktoren wie Machtverhältnisse und Interesselagen gegen "natürliche" Bedingungen (klimatischer Art, Bodenbeschaffenheit et cetera) ausspielt, sondern beides zu integrieren versucht. So sind - zum Beispiel - Dürre und Hunger im Zusammenspiel beider Faktoren zu sehen, ist Erstere nicht einfach ein meteorologisches Faktum, sondern erhält "ihre Bedeutung erst in Verbindung mit der Restrukturierung der Umwelt im Rahmen unterschiedlicher Produktionssysteme".(9) Was schon für die Dürre gilt, das gilt erst recht für das Auftreten von Hungersnöten. Inwieweit es zu Ernteausfällen kommt oder diese sich gar zu Hungerkatastrophen auswachsen, das kann ohne Berücksichtigen der sozialen Institutionen (von Bewässerungssystemen, Landrechten, Marktpreisen, Hilfs-institutionen et cetera) überhaupt nicht erfasst werden: "Hungerkatastrophen sind [demnach] soziale Krisen, die das Versagen spezifischer ökonomischer und sozialer Systeme widerspiegeln", zitiert Davis den Historiker Michael Watts.(7) Dürren und Hunger und ihre sozialen Folgen sind ein Beispiel für die gewaltsame Ausdehnung und gleichzeitig Absicherung kapitalistischer Akkumulation, die schon Rosa Luxemburg als Kern der historischen Phase des Imperialismus bezeichnet hat. Davis kann dem die Erkenntnis hinzufügen, dass sich die globalen Machtverhältnisse in die gesellschaftlichen Naturverhältnisse einschreiben und dass die Kontrolle über die Gestaltung der Naturverhältnisse anderer Regionen ein wesentlicher Faktor in den imperialistischen Strategien darstellt. Wenn es einem Akteur, hier vor allem dem britischen Empire, gelingt, die Fähigkeiten zur Gestaltung der Naturverhältnisse von anderen Akteuren – zum Beispiel den indischen Bauern – seinen eigenen Strategien zu unterwerfen – und dazu Formen der Subsistenzproduktion, des Gemeineigentums oder der Hungervorsorge zugunsten der Abhängigkeit von der Lohnarbeit und dem Weltmarkt zu zerstören –, dann handelt es sich um das Phänomen einer fortlaufenden "ursprünglichen Akkumulation" im Weltmaßstab: um die Unterwerfung der "Dritten Welt" wie der Natur unter die Imperative kapitalistischer Akkumulation. Und diese Logik prägt das Verhältnis zwischen kapitalistischen Metropolen und Peripherie bis heute.
Globale Naturverhältnisse in der postfordistischen Restrukturierung
Das heißt aber noch nicht, dass damit die dominanten Akteure in der Lage wären, die Welt nach ihrem Bild zu schaffen – wenigstens nicht ohne Abstriche. So wie der Hunger nicht ohne soziale Kämpfe zu analysieren ist, so müssen die sozialen Konflikte Beachtung finden, durch die hindurch sich die Unterwerfung der Welt erst durchsetzen kann. Und da sich die Konflikte um die Ausgestaltung der gesellschaftlichen (Natur-)Verhältnisse gerade in internationalen Institutionen verdichten, sind diese Institutionen heute besonders zu beachten. Diese sind weder bloße Instrumente der dominanten Akteure (vor allem der USA), noch die Übersubjekte gesellschaftlicher Entwicklung (wie die WTO so oft in der Sichtweise globalisierungskritischer Bewegungen dargestellt wird). Dagegen können sie als "Verdichtungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zweiter Ordnung" begriffen werden: Nationale Kräftekonstellationen "verdichten" sich zu nationalen Strategien (wobei allerdings in den verschiedenen Politikfeldern, wie zum Beispiel Umwelt- oder Finanzpolitik, ganz andere Konstellationen am Werk sind) und "verdichten" sich auf internationalem Parkett im Kompromiss unterschiedlicher staatlicher und nichtstaatlicher Akteure.(6) Das bedeutet, nicht allein die Macht der dominanten Akteure in Rechnung zu stellen, sondern eine Dialektik von Konflikt und Kooperation, die allerdings durch die jeweilige Macht der Akteure entscheidend geprägt ist. Heute reicht es eben nicht aus, die Politik der USA zum Beispiel in der Klimapolitik an den Pranger zu stellen, sondern die Lebensweise der Industrienationen im Ganzen (auch wenn ihre Regierungen unterschiedliche Strategien fahren), aber auch die Widersprüche und Konflikte, die diese Politik hervorruft zu beachten.
Forcierte Inwertsetzung der Natur
Die tatsächliche Wirkung globaler Umweltpolitik ist also nicht so sehr die vorsorgende Reaktion auf die im Kontext der ökologischen Krise neu hervorgetretenen Abhängigkeiten von Natur und ihre ökologischen wie sozialen Folgen zu erklären. Vielmehr muss sie im Kontext einer Strategie reflexiver Naturbeherrschung im Rahmen einer postfordistischen Restrukturierung der Gesellschaften interpretiert werden: Die kapitalistischen Gesellschaften haben zwar durchaus angefangen, in allerdings höchst unterschiedlichem Ausmaß ökologische Bedingungen zu berücksichtigen und auf Grenzen der Naturaneigungen zu reflektieren. Aber selbst diese Reflexion wird noch der Steigerung der Naturbeherrschung nutzbar zu machen versucht, zum Beispiel im Rahmen einer forcierten Inwertsetzung der Natur.(10) Im Kontext der ökologischen Krise wurde die Abhängigkeit der entwickelten Industrieländer von den Naturverhältnissen in anderen Ländern und Regionen deutlich – nicht nur im Hinblick auf die fossilen Brennstoffe oder des Zugangs zu neuen genetischen Ressourcen, sondern ebenso im Sinne globaler Problemkomplexe wie des Verlusts der biologischen Vielfalt oder der Klimaproblematik mit ihren unbekannten und nur schwer abschätzbaren gesellschaftlichen Folgekosten. Die Gegenstrategien, die dagegen entworfen und die Maßnahmen und Institutionen, die ergriffen und eingeführt wurden, sind Ausdruck einer sehr selektiven Problemwahrnehmung und -bearbeitung. Irreführend wäre es trotzdem, sie allein als ideologische Ablenkung oder als diskursive Dethematisierung der vermeintlich entscheidenden globalen Machtstrategien abzuwerten. Auch wenn diese Reaktionsstrategien nicht isoliert betrachtet werden sollten, dann sind sie doch auch nicht nur ein oberflächlicher Ausdruck der tiefer liegenden Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Sowohl in den jeweiligen nationalen Gesellschaften als auch mehr und mehr im globalen Rahmen sind die Naturverhältnisse entscheidende Faktoren gesellschaftlicher Regulation. Nur überlagern sich dabei Strategien des Umwelt- und Naturschutzes mit anderen Strategien der Subsumtion der Naturverhältnisse unter postfordistische beziehungsweise neoliberale Strategien gesellschaftlicher Restrukturierung. Mit Blick auf die biologische Vielfalt sind Strategien der Erhaltung der Biodiversität unauflösbar verquickt mit Strategien der Inwertsetzung genetischer Ressourcen. Gleichzeitig bieten sie lokalen Akteuren wenn auch nur geringe Chancen, ihre Naturverhältnisse nach lokalen Erfahrungen und im Rückgriff auf, aber unter Transformation von traditionalem Wissen selbst zu gestalten. Im Prozess der Globalisierung werden nicht nur allgemein die Interdependenzen zwischen verschiedenen, bislang relativ isolierten gesellschaftlichen Verhältnissen (Nationalstaaten et cetera) erhöht. Es werden sehr spezifisch die Abhängigkeiten und die Gestaltungschancen verschiedener Akteure neu strukturiert. Leitthemen sind dabei die Privatisierung und Inwertsetzung der Natur und die Wettbewerbs-perspektive. Dabei kommt es aber zu einer Reartikulation der räumlichen Ebenen wie zum Aufbau neuer internationaler Regulierungsformen, einer Internationalisierung des Staates.(11) Dieser Prozess ist nicht frei von Ambivalenzen. Einerseits wird lokalen Bedingungen und Akteuren insofern eine neue Bedeutung zugemessen, als hier wichtige Ressourcen angesiedelt sein können. Andererseits spielen globale Prozesse eine immer entscheidendere Rolle in der Vergesellschaftung der Natur. Dies hat weit reichende Folgen. Selbst da, wo naturräumlichen Bedingungen eine steigende Wertschätzung zugesprochen wird (wie etwa bei der biologischen Vielfalt im Hinblick auf Zentren der Diversität wie dem tropischen Regenwald), werden diese Naturelemente einer kapitalistisch geprägten Aneignung unterworfen und unter die Konkurrenzperspektive neoliberaler Globalisierung subsumiert. Diesen engen Zusammenhang zwischen neoliberaler Restrukturierung und Umgestaltung der Naturverhältnisse haben die globalen sozialen Bewegungen, die sich weltweit unter dem fehlleitenden Label der "Globalisierungskritik" etabliert haben, noch nicht angemessen zur Kenntnis genommen. Zumindest gilt dies für die nördlichen Industrieländer. Anders dagegen in den Ländern des politischen Südens. Wo die Chancen einer Gestaltung gesellschaftlicher Entwicklung eng mit den Chancen einer Gestaltung der Naturverhältnisse verquickt sind – sei es in der Regulierung der Landflucht und den Entwicklungschancen ländlicher Regionen, sei es in der Frage der Lebensmittelversorgung, sei es bei der Landfrage oder der Wasserversorgung –, da spielen die international etablierten Zwänge zur Umstrukturierung der Naturverhältnisse eine entscheidende Rolle. Daher sind hier Fragen wie die der Privatisierung von Wasser, der Patentierung von Saatgut oder der Biopiraterie von zentraler Bedeutung.(12) Und diese Privatisierung der Natur hat an vielen Orten massive Kämpfe um die Erhaltung der regionalen oder lokalen Gemeingüter zur Folge.(13) Prozesse neoliberaler Globalisierung sind also sowohl im Hinblick auf die Restrukturierung kapitalistischer Produktionsverhältnisse als auch im Hinblick auf die Naturverhältnisse zu analysieren. Defizite der praktischen wie theoretischen "Globalisierungskritik" lassen sich dagegen immer noch dahingehend ausmachen, die immanente Vermittlung von Gesellschaft und Natur kritisch zu begreifen. Neue Abhängigkeiten zwischen "Nord" und "Süd", zwischen industrialisierten Kernzonen und ihrer Peripherie, werden gerade über neue Technologien und Produktionsverfahren hergestellt, betreffen damit aber auch so scheinbar langweilige und altbackene Fragen wie die Entwicklung der Landwirtschaft und die Verfügbarkeit von Saatgut. Davon darf weder die praktische noch die theoretische Globalisierungskritik abstrahieren. Und auch wenn zu Recht gefordert wird, dass die globalisierungskritischen Bewegungen angesichts der neueren Entwicklungen eine Imperialismustheorie brauchen (14), dann darf diese Hinwendung zu den scheinbar "harten Fragen" wie Krieg und Gewalt nicht von der kritischen Diskussion der scheinbar "weichen" Faktoren wie der Umweltproblematik ablenken. Sie ist eben kein Luxusproblem, sondern steht im Zentrum gesellschaftlicher Entwicklung – und sie ist allemal mit der gewaltsamen Ausbeutung der Welt eng verbunden.
Gekürzte und leicht überarbeitete Version eines Beitrages für die schweizerische Zeitschrift Widerspruch, Heft 47/04. Dort auch umfangreiches Literaturverzeichnis. Originaltitel: Ökologischer Imperialismus? - Ressourcenkonflikte und ökologische Abhängigkeiten in der neoliberalen Globalisierung
Fußnoten:
- Bryant, Raymond L./Bailey, Sinéad, 1997: Third World Political Ecology. London/New York.
- Foster, John Bellamy/Clark, Brett, 2003: Ecological Imperialism: the Curse of Capitalism. In: L.Pantich/C.Leys (Ed.): The New Imperial Challenge. Socialist Register 2004. London, pp 186-201.
- Görg, Christoph, 2004: Von der nachholenden zur nachhaltigen Entwicklung – und wieder zurück. Vom Schicksal der Naturverhältnisse in der Entwicklungsdiskussion. In: O.Gerlach/S.Kalmring/D.Kumitz/A.Nowak (Hg): Peripherie und globalisierter Kapitalismus. Zur Kritik der Entwicklungstheorie. Frankfurt/M.
- Als charakteristisch für denÜbergang vom Fordismus zum Postfordismus werden vor allem zwei Prozesse angesehen: ein Wandel im Bereich dermateriellen Produktion im Hinblick auf einen stärkeren Einsatz neuer wissenschaftsbasierter Technologien (I&K-Technologien, BIo- und Gentechnologie) sowie die Aufkündigung des Klassenkompromisses und das Ende der “Sozialpartnerschaft” zwischen Arbeitnehmern und -gebern.
- Hirsch, Joachim, 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat. Berlin.
- Brand, Ulrich/Görg, Christoph, 2003: Postfordistische Naturverhältnisse. Mit Beiträgen von Karin Blank, Joachim Hirsch und Markus Wissen, Münster.
- Davis, Mike, 2004: Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter. Berlin.
- Fürst, Edgar, 1999: Globaler Ressourcenverbrauch, Umweltraum und ökologischer Strukturwandel - Implikationen für die Nord-Süd-Beziehungen. In: W.Hein/P.Fuchs, (Hg.): Globalisierung und Ökologie. Hamburg, S. 77-124.
- Rolando Garcia, zit. nach Davis 2004 (7).
- Görg, Christoph, 2004: Postfordistische Transformation der Naturverhältnisse. In: J.Beerhorst/A.Demirovic/M.Guggemos (Hg.): Kritische Theorie im gesellschaftlichen Strukturwandel. Frankfurt/M., S. 199-226.
- Hirsch, Joachim, 2001: Die Internationalisierung des Staates. In: J.Hirsch/B.Jessop/N.Poulantzas: Die Zukunft des Staates. Hamburg, S. 101-138. Siehe auch (6).
- Ribeiro, Silvia, 2002: Biopiraterie und geistiges Eigentum. In: C.Görg/ U.Brand (Hg.): Mythen globalen Umweltmanagements. Münster, S. 118-136.
- Goldman, Michael, (Hrsg.) 1998: Privatizing Nature. London.
- So Walden Bello in der taz vom 28./29. Juni 2003.
Christoph Görg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig und arbeitet unter anderem zu den Themen Environmental Governance und Biodiversität.
“Politische Ökologie des Hungers”
Mike Davis tritt der These entgegen, dass Armut und Hunger in vielen Ländern der so genannten Dritten Welt ein Symptom von deren quasi "natürlicher" Rückständigkeit seien. Stattdessen verweist er darauf, dass zu Zeiten der französischen Revolution die globalen Ungleichheiten zwischen den Erdteilen noch nicht sehr ausgeprägt gewesen seien, dass viele Regionen (wie zum Beispiel Indien) auch in industrieller Hinsicht (beziehungsweise im Hinblick auf die ökonomische Leistungsfähigkeit ihrer Manufakturen) selbst den fortgeschrittenen Ländern Europas wie England überlegen oder zumindest gewachsen gewesen seien und dass erst im Laufe des 19. Jahrhunderts die globale Ungleichheit enorm gewachsen sei. Dafür verantwortlich waren nicht zuletzt die imperialen Strategien der europäischen Großmächte, allen voran Englands – das heißt militärische Gewalt und politisch-staatliche Kontrolle. Ein zentrales Instrument dieser imperialen Strategie war aber nach Davis das, was er die "politische Ökologie des Hungers" nennt, und was er an Hand der Beispiele Indien, China und Brasilien detailliert beschreibt. (Christoph Görg)