Politiken im Clinch
Einführung
In diesem Heft haben wir versucht, der These „Gentechnik kann den Hunger bekämpfen“ auf den Grund zu gehen. Dabei ist klar, dass nicht alle Nuancen der Debatte abgebildet werden können. Denn es fällt auf, die Eventualitäten der Gentechnik werden von deren BefürworterInnen in alle erdenklichen Richtungen gedehnt und gestreckt - Gentechnik ist die Lösung für alles. Vor Jahren strahlte es von einem der Plakate, die das Büro der Redaktion schmückten: „Gentechnik ist die Antwort - aber was war nochmal die Frage?“ Dieses Zitat soll auch in dem Sinne verstanden werden, dass die Agro-Gentechnik ein bisschen wie der Igel in dem Märchen ist: Sie ist einfach immer schon da. Eigentlich oft sogar schon dann, wenn ein Problem noch gar nicht existiert, wahlweise noch gar nicht als ein solches identifiziert wurde; eben auch, wenn die Frage noch gar nicht gestellt ist - die Gentechnik ist schon die Antwort. Damit baut die Gentechnik-Lobby der Kritik eine Falle: Denn wenn die Technologie die Lösung für ein Problem anzubieten weiß, dann bleibt der Kritik allzuoft nur das Meckern und Bedenkentragen. Nicht so in diesem Heft! - aber dazu später.
Politiken
Im Clinch liegen „Politiken“ nicht nur im Sinne einer Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, Regierung und Opposition oder arm und reich - „Politiken im Clinch“ ist auch als programmatischer Titel zu verstehen, in dem Sinne, dass hinter allen speziellen Fragen dieses Themas eine Politik und ein Konglomerat von Politikbereichen zu finden ist: Natürlich die Agrarpolitik. Aber ebenso selbstverständlich sind da immer auch Entwicklungs-, Wirtschafts und Forschungspolitik. Wir beginnen mit einem Überblick über eine Auswahl der Argumente, die für die Gentechnik gewöhnlich ins Feld geführt werden. Birgit Peuker orientiert sich dabei an verschiedenen Protagonisten, zum Beispiel an der Broschüre „Grüne Gentechnik“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und ihren AutorInnen. Weiterere Referenzpunkte sind Zitate von Stefan Marcinowski, Mitglied im BASF-Vorstand für den Bereich Biotechnologie, und Ernst-Ludwig Winnacker, ehemaliger Präsident der DFG und seit mehr als zwei Jahrzehnten einer der zentralen Lobbyisten für Gen- und Biotechnologie. Beide gehören zu den Exponiertesten in der Agrar-Gentechnik-Debatte im deutschsprachigen Raum, aber auch darüber hinaus. Darauf folgen drei Bilder des Versprechens: Gentechnisch veränderter (gv) „Goldener Reis” soll auf den Philippinen im Versuchsanbau getestet werden. Seit fast zwei Jahrzehnten ist der Goldene Reis DAS Versprechen für die Versorgung mit Vitamin A. Auch gv-Bananen sollen versuchsweise freigesetzt werden, und zwar in Südafrika. Hier stehen nicht zuletzt Verfahrensfragen im Zentrum der Kritik, die das Afrikanische Zentrum für Biosicherheit (ACB) vorbringt. Mit diesem Schwerpunkt ist nicht gesagt, dass es nicht weitere Kritikpunkte an den Bananen gibt, vielmehr ist zum Beispiel der Zugang zu den wesentlichen Informationen über die Pflanzen und den Versuch die Basis jeder Erörterung. Das dritte Bild des Versprechens: die ersten Schritte eines Forschungsprojektes, in dem mit molekularbiologischen Methoden der Ertrag von Nutzpflanzen gesteigert - und „Millionen“ von Menschen vor dem Hunger gerettet werden sollen. Das „Wenn es die Wahl gibt zwischen Essen und Hungern, werden sie gentechnisch veränderte Pflanzen akzeptieren“ in den news der Nationalen Australischen Universität klingt allerdings nicht wie ein Versprechen, eher wie eine Drohung. Die drei Beispiele charakterisieren jeweils unterschiedliche Aspekte, wie mit Technologie „geholfen“ werden soll. Dabei bezeichnen sie unterschiedliche Stufen der Entwicklung. Unsere AutorInnen Anne Bundschuh, das Afrikanische Zentrum für Biosicherheit und Christof Potthof zeigen eine Reihe von charakteristischen weißen Flecken auf - und was bei der Fokussierung auf technische Lösungen unter den Tisch fällt.
Wohin?
Um nicht bei der Kritik an der Agro-Gentechnik stehen zu bleiben, wenden wir uns im zweiten Teil dieses Schwerpunktes anderen Aspekten der „Hunger-Debatte“ zu. Wir beginnen mit einem Paradigmenwechsel. Denn abseits der agrarpolitischen Hauptwege hat sich etwas getan. Dort, wo die Wege noch holprig, die Beleuchtung in der Nacht und die Beschilderung noch lückenhaft sind, tasten sich VerfechterInnen einer neuen Landwirtschaft langsam aber stetig vorwärts: kleinbäuerliche Landwirtschaft, volle Integration von Kosten, Ernährungssouveränität ... Benny Härlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft zeigt, dass auf diesen Wegen aber längst nicht mehr nur ökologische Anbauverbände und ihre FürsprecherInnen zu finden sind, sondern immer häufiger auch VertreterInnen betuchter internationaler Forschungsinstitutionen.
Keine politische Macht
In dem anschließenden Interview mit Alassane Dicko und Dorette Führer vom Netzwerk Afrique-Europe-Interact soll der Blick für soziale Kämpfe geöffnet und deren Verbindung zu Hunger verdeutlicht werden. Migration, Urbanisierung, Landverteilung - das sind nur drei Schlagwörter, die das Aufgabenfeld der grenzüberschreitenden Solidaritäts-Kampagne umreißen. Auf die Frage, was die Menschen in Deutschland tun können, um die Situation zu verbessern, antwortet Dicko: „Ein erster Schritt wäre, dass die Leute anfangen, über die Situation nachzudenken und sich in ein Verhältnis zu den Menschen in Afrika setzen.“ Aus der Perspektive der Menschenrechte blicken die AktivistInnen von FIAN, dem FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk, auf die Ernährung: Angelika Schaffrath Rosario und Roman Herre schreiben über die „leise“ Hungernden, die auf dem Land leben, „also dort, wo Nahrungsmittel produziert werden“. Diese verfügen, so unsere AutorInnen, über „wenig bis keine politische Macht“. Am Schluss Eindrücke von der Konferenz „Beyond the Crossroads“, die die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler im November in Berlin veranstaltete. Im Zentrum stand die Frage, wie der Weltagrarbericht fortgeschrieben werden könnte. Der Bericht war 2008 veröffentlicht worden und findet seitdem zunehmend Beachtung. Bei vielen der MitautorInnen, die mit der Verbreitung der Erkenntnisse des Berichtes beschäftigt sind, kam das Gefühl auf, dass weitere Schritte notwendig sind: An welchen Stellen müssen weitere Fakten gesammelt werden? Wer ist in der Vergangenheit nicht ausreichend zu Wort gekommen? Die TeilnehmerInnen der Konferenz diskutierten ihre Erfahrungen aus den vergangenen Jahren, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, wie den Schlussfolgerungen des Weltagrarberichtes zu mehr politischem Gewicht verholfen werden kann.
GID-Redaktion