EU-Risikoabschätzung lässt Wünsche offen
Gentechnisch veränderte Pflanzen in Lebens- und Futtermitteln
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und ForscherInnen in EU-geförderten Projekten plädieren für eine Lockerung der Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen. Testbiotech zeigt die Schwächen des aktuellen Systems und tritt für eine striktere Regulierung ein.
Gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen, die zur Erzeugung von Nahrungsmitteln angebaut werden, stellen erhebliche Anforderungen an die Risikoabschätzung: Einerseits ist ihre Risikobewertung wesentlich komplexer als bei isolierten und chemisch definierten Einzelstoffen. Bewertet werden muss der gesamte Organismus mit Tausenden von primären (wie Kohlehydraten, Aminosäuren und Fettsäuren) und sekundären Inhaltsstoffen (oft natürliche Abwehr- oder Lockstoffe) und ihren Wechselwirkungen. Die Zusammensetzung dieser Komponenten ändert sich beständig in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen und Wachstumsphasen der Pflanzen. Für die Risikoabschätzung bedeutet dies, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht als statische Objekte begriffen werden dürfen, sondern als Organismen, die sich in Abhängigkeit von verschiedenen Einflüssen beständig wandeln.
Andererseits sind die möglichen negativen Auswirkungen nicht wie bei vielen Arzneimitteln oder Pestiziden auf bestimmte Anwendungen beschränkt. Vielmehr müssen ganz unterschiedliche Verwendungen und Interaktionen mit Mensch und Umwelt berücksichtigt werden, welche Landwirtschaft und Ernährung insgesamt betreffen. Es gilt: Die Pflanzen dürfen auch langfristig keine Gefahr für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt darstellen.
De facto können die Risiken nicht so umfassend abgeschätzt werden, dass gv-Pflanzen, die zur Nahrungsmittelerzeugung eingesetzt werden, als sicher für Mensch und Umwelt angesehen werden können. Auch gibt es bislang für die bereits zugelassenen Pflanzen kein geeignetes System, deren tatsächliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu überwachen. Viel mehr kann zusammengefasst werden, dass das Risiko, auf das sich die Menschheit mit dem Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen einlässt, wesentlich größer ist, als die zur Verfügung stehenden Mittel zur Vorhersage, Kontrolle und Abwehr der tatsächlichen Gefahren. Trotzdem wäre es natürlich möglich, die Standards für die Risikoprüfung deutlich anzuheben und so die Unsicherheiten zu verringern.
Vergleichende Risikobewertung nach den Regeln der EFSA
Angesichts dieser Anforderungen an eine umfassende Risikobewertung reagieren Konzerne und Behörden, die mit der Erhebung der Daten und deren Bewertung befasst sind, mit einfachen, reduktionistischen Methoden. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA wendet im Rahmen der EU-Zulassungsprüfung die sogenannte „vergleichende Risikoprüfung“ an. Dabei werden gentechnisch veränderte Pflanzen zusammen mit den Ausgangspflanzen auf Versuchsfeldern angebaut. Bei der Risikoprüfung werden dann Daten zu agronomischen Merkmalen (wie Wuchs, Ertrag, Zeitpunkt der Blüte) und die Zusammensetzung verschiedener Inhaltsstoffe verglichen. Was zunächst vernünftig erscheint, ist in der Realität ein System, das kaum belastbare Aussagen zulässt. Unter anderem gibt es hier folgende Defizite:
1. Die Anzahl der Standorte (meist im einstelligen Bereich) und die Dauer der Versuche (oft nur eine Vegetationsperiode) lassen keine ausreichend verlässlichen Aussagen über die Risiken eines kommerziellen, langjährigen und großflächigen Anbaus zu. Vielmehr handelt es sich um eine mehr oder weniger zufällige Momentaufnahme. Was fehlt, ist eine systematische Erhebung von Daten über die Reaktionen der Gentechnik-Pflanzen auf unterschiedliche Umweltbedingungen und Stressfaktoren unter Einbeziehung der tatsächlich verwendeten gentechnisch veränderten Sorten.
2. Die untersuchten Merkmale (wie Kohlenhydrate, Aminosäuren, Fettsäuren, Spurenelemente) stellen nur eine kleine Auswahl der pflanzlichen Inhaltsstoffe und Stoffwechselvorgänge dar. Beispielsweise werden keine Omics-Daten 1 erhoben.
3. Bei fast allen Untersuchungen werden signifikante und nicht erwartete Unterschiede bei verschiedenen Inhaltsstoffen festgestellt. In der Regel werden diese Unterschiede nicht näher untersucht, sondern als „biologisch nicht relevant“ bewertet.
4. Auf bestimmte Daten wird komplett verzichtet. So müssen bei Versuchen mit Kreuzungen von gentechnisch veränderten Pflanzen (Stacked Events) die jeweiligen gentechnisch veränderten Ausgangspflanzen nicht im Vergleich angebaut werden. Diese Anforderung, die in der EU ursprünglich vorgeschrieben war, ist von der EFSA ohne stichhaltige Begründung wieder abgeschafft worden.
5. Alle Daten werden von der Industrie erhoben, die Feldversuche erfolgen ohne jede unabhängige Kontrolle.
Die beschriebenen Mängel haben erhebliche Auswirkungen auf die Risikoabschätzung insgesamt: Fast alle nachfolgenden Schritte der Risikobewertung der EFSA sind von diesem ersten Schritt, der vergleichenden Risikoprüfung, abhängig. Werden auf der Grundlage dieses Datenabgleichs keine konkreten Hinweise auf mögliche Gefahren gefunden, wird auf eine gründliche Untersuchung wie spezifische Labortests und Fütterungsversuchen sowie auf jegliche Langzeitstudien verzichtet.
Auch die Behörde unterscheidet in ihren Richtlinien zwischen dem Konzept der „vergleichenden Risikoprüfung“ und einer umfassenden Risikoprüfung. Tatsächlich ist die derzeitige Praxis der EFSA viel eher eine Art schneller Check-up als eine vollständige und verlässliche Risikoprüfung. Diese Standards für die vergleichende Risikoprüfung wurden maßgeblich von der Industrie beeinflusst. Insbesondere war daran das International Life Sciences Institute (ILSI) beteiligt, eine Organisation, die unter anderem von der Gentechnik-Industrie finanziert wird.
Das Prüfungsschema der EFSA folgt im Wesentlichen dem Konzept der substantiellen Äquivalenz (wesentliche Gleichwertigkeit), das in den 1990er Jahren entwickelt worden war und mit Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2001/18 und der EU-Verordnung 1829/2003 ausdrücklich als ungenügend eingestuft wurde. Dieses Konzept sieht vor, auf detaillierte Risikoprüfungen zu verzichten und gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich wie Pflanzen aus konventioneller Züchtung zu behandeln, solange es keinen Nachweis für konkrete Gefahren gibt. Dagegen stellt die EU-Verordnung 1829/2003 klar, dass das Konzept der substantiellen Äquivalenz zwar ein wichtiger Schritt bei der Risikobewertung ist, aber keine Sicherheitsprüfung an sich darstellt.
Tatsächlich verzichtet die Behörde auf der Grundlage der Datensätze aus den Anbauversuchen aber fast immer auf eine detaillierte empirische Untersuchung der gesundheitlichen Risiken. Damit steht sie im Konflikt mit den aktuellen gesetzlichen Anforderungen der EU, die eine Überprüfung nach hohen wissenschaftlichen Standards und einen Nachweis dafür verlangen, dass die Lebens- und Futtermittel tatsächlich sicher sind.
Anforderungen der EU-Kommission und die Notwendigkeit von Fütterungsversuchen
Die EU-Kommission hat mit ihrer Durchführungsverordnung (503/2013) das Konzept der EFSA deutlich erweitert und Vorgaben an die Risikoprüfung gemacht, die über die Richtlinie der EFSA hinausgehen: Erstmals wurden 90-tägige Fütterungsversuche verpflichtend vorgeschrieben, unabhängig vom Ergebnis des ersten Schritts der vergleichenden Risikoprüfung. Zwar kann die Aussagekraft dieser Versuche, die unter anderem im Rahmen der Pestizidzulassung vorgeschrieben sind, aus verschiedenen Perspektiven hinterfragt werden. Zudem sind ausgerechnet Stacked Events, die durch eine Kreuzung mehrerer gentechnisch veränderter Pflanzen hergestellt werden und bei denen komplexe Wechselwirkungen möglich sind, von dieser Verpflichtung nicht betroffen. Bezogen auf das Zulassungssystem insgesamt machen diese Fütterungsversuche aber einen wichtigen Unterschied: Es wird klargestellt, dass unabhängig von der vergleichenden Analyse von Inhaltsstoffen und Phänotyp der Pflanzen eine weitere Stufe in der Risikobewertung notwendig ist.
Von 2012 bis 2015 wurde das EU-Forschungsprojekt GRACE durchgeführt, das unter anderem Sinn und Zweck von 90-tägigen Fütterungsversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen untersuchen sollte. Das Projekt wurde von Testbiotech mehrfach wegen seiner Nähe zur Industrie kritisiert. Wie Testbiotech von Anfang an vermutet hatte, kommen die Experten von GRACE unter anderem zu der Empfehlung, die von der EU-Kommission erst seit 2014 verpflichtend eingeführten Fütterungsstudien (Dauer 90 Tage) wieder abzuschaffen. Würde dieser Empfehlung gefolgt, würden die Standards für die Risikoprüfung deutlich abgesenkt, und die Anforderungen an die Firmen, entsprechende Daten vorzulegen, würde abgeschafft: Eine detaillierte toxikologische Bewertung der Pflanzen würde damit unterbleiben.
Begründet wird die Empfehlung damit, dass die Fütterungsversuche generell nicht geeignet seien, die Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen zu untersuchen. So finde man beispielsweise immer wieder signifikante Effekte, deren biologische Relevanz nicht klar sei.
Tatsächlich sind 90-Tage-Fütterungsversuche in der Regel nicht ausreichend, um gesundheitliche Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen abzuklären. Um Langzeiteffekte und Wechselwirkungen zu untersuchen, müssten vielmehr Fütterungsversuche über die gesamte Lebenszeit der Tiere unter Einbeziehung mehrerer Generationen durchgeführt werden.
Die Vertreter der Industrie und auch die EFSA lehnen eine Verpflichtung zu Fütterungsversuchen aber generell ab. Sie werfen Kritikern der bestehenden Zulassungsverfahren unter anderem vor, dafür verantwortlich zu sein, dass Tausende von Tieren in den Studien eingesetzt werden. Dieser Vorwurf läuft jedoch ins Leere: Wenn Industrie und Politik sich für die Zulassung und Vermarktung gentechnisch veränderter Pflanzen einsetzen, müssen sie sich auch fragen lassen, ob der tatsächliche Nutzen dieser Pflanzen ausreichend ist, um Tierversuche zu rechtfertigen. Angesichts der ablehnenden Haltung weiter Teile der Bevölkerung kann man diese Frage wohl mit „Nein“ beantworten. Bejaht man diese Frage allerdings, muss man auch bereit sein, ausreichend für die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt zu sorgen. Hier kann es keine Kompromisse geben.
- 1Omics-Daten sind Daten, die in bestimmten Fachgebieten der Biologie ermittelt werden. Die englischen Schreibweisen dieser Fachgebiete enden auf „omics“. Dazu zählen zum Beispiel Daten aus der Genomforschung (englisch: genomics), der Beobachtung der Stoffwechselprodukte (metabolomics) beziehungsweise der Gesamtheit der Proteine (proteomics) oder der Genprodukte, dem Transkriptom.
Andreas Bauer-Panskus arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Testbiotech.
Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.
Die Standards für die Risikoprüfung müssen deutlich angehoben werden.
Einige wichtige Punkte sind:
• Die Anforderungen an die erste Stufe der Risikoabschätzung (Vergleich mit Ausgangspflanzen) sollten um weitere Untersuchungsmethoden, Stoffgruppen und Pflanzencharakteristika erweitert werden. Dabei sind auch biologisch aktive Stoffe zu berücksichtigen.
• Die funktionelle Stabilität der neu eingeführten DNA und deren mögliche Wechselwirkungen mit der Umwelt müssen in den Vordergrund gerückt werden. Die Pflanzen sollten einer großen Bandbreite von definierten Stressfaktoren ausgesetzt und Daten durch Metabolomics-Verfahren erhoben werden.
• Fragestellungen zur Langzeitwirkung des Verzehrs gentechnisch veränderter Pflanzen müssen in den Vordergrund gerückt werden. Um Langzeiteffekte zu untersuchen, müssen Fütterungsversuche über die Lebenszeit von Tieren unter Einbeziehung mehrerer Generationen durchgeführt werden.
• Bei herbizidresistenten Pflanzen müssen Rückstände der komplementären Spritzmittel im Detail untersucht und bewertet werden.
• Bei der Überprüfung von Pflanzen, die Bt-Toxine bilden, müssen insbesondere Wechselwirkungen mit anderen Stoffen und die Wirkung auf das Immunsystem berücksichtigt werden.
• Unabhängige Kontrollen bei der Erhebung der Daten sind auf jeder Stufe der Risikoprüfung unverzichtbar.
• Es müssen Cut-Off-Kriterien verankert werden, zum Beispiel ein Verbot der Zulassung gentechnisch veränderter Organismen, die sich in natürlichen Populationen ausbreiten können.
• Für Gentechnik-Pflanzen, die in ihrer Nahrungsmittelqualität verändert wurden, müssen spezielle Prüfrichtlinien entwickelt werden, die insbesondere auf die Langzeitwirkungen des Verzehrs derartiger Pflanzen ausgerichtet sind.
• Bei der Entscheidung über eine Zulassung muss dem Vorsorgeprinzip, den Grenzen des wissenschaftlichen Kenntnisstands und den bestehenden Unsicherheiten wesentlich größeres Gewicht eingeräumt werden.
(Christoph Then und Andreas Bauer-Panskus)
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