Stammzellen aus Nabelschnurblut
Nabelschnurblut privat einlagern oder spenden? Seit einigen Jahren stehen werdende Eltern vor dieser Entscheidung. Da einige der öffentlichen Blutbanken auch private Gelder einwerben oder mit den Herstellern von kommerziellen Stammzellprodukten zusammenarbeiten, ist die Trennung zwischen öffentlichen und privaten Interessen aber nicht immer eindeutig zu ziehen.
Die Forschung mit humanen Stammzellen und deren therapeutische Nutzung für die Behandlung maligner (das heißt bösartiger) Erkrankungen des blutbildenden Systems ist in der Onkologie seit mehr als 20 Jahren etabliert. Bekannt wurde diese vorwiegend in der Leukämietherapie eingesetzte Methode jedoch nicht unter dem Begriff Stammzelltherapie, sondern als Knochenmarkstransplantation: Bei der Behandlung von schweren Verlaufsformen von Leukämie wird das blutbildende System der Patienten durch Chemo- und Radiotherapie zerstört und muss wieder neu aufgebaut werden. Diese hämatopoetische (das heißt blutbildende) Rekonstitution wurde seit den 1970er Jahren nahezu ausschließlich durch die Transplantation von Knochenmark und später auch durch die Übertragung von Stammzellen aus dem peripheren Blut verwandter oder fremder Spender erreicht.
Die Verwendung von Nabelschnurblut
Seit den 1990er Jahren nun ist es möglich, für den Wiederaufbau des blutbildenden Systems bei Kindern auch Stammzellpräparate aus Nabelschnurblut zu verwenden. Gegenüber Stammzellen aus Knochenmark besitzen Nabelschnurblutstammzellen für die Spender wie für die Empfänger einige Vorteile: Die Entnahme von Knochenmark ist für die Spender immer mit einem schmerzhaften operativen Eingriff verbunden und muss in Narkose durchgeführt werden. Die Entnahme von Nabelschnurblut hingegen nicht. Nabelschnurblut, auch Plazentarestblut genannt, wird während des Geburtsvorgangs gewonnen: Nach der Geburt des Kindes und vor der Geburt der Plazenta wird die Nabelschnur durchtrennt, körperfern punktiert und das Blut in einem sterilen Beutel aufgefangen. Dies geschieht schmerzfrei für Mutter und Kind.(1) Stammzellen aus Nabelschnurblut sind insofern einfacher und gefahrloser zu gewinnen als Stammzellen aus Knochenmark, da die Spenderinnen nicht durch einen operativen Eingriff belastet werden. Auch für den Empfänger können Nabelschnurblutstammzellen gegenüber Knochenmark oder Blutpräparaten von erwachsenen Spendern gewisse Vorteile aufweisen. Zum einen führt die relative Unreife der Abwehrzellen des Nabelschurblutes dazu, dass nach einer Transplantation weniger häufig unerwünschte, schwere Abstoßungsreaktionen erfolgen. Zum anderen ist Nabelschnurblut weniger durch Viren belastet, wodurch für den Empfänger die Gefahr einer Infektion sinkt. Neuere Studien zeigen darüber hinaus, dass Stammzellen aus Nabelschnurblut nicht nur die Fähigkeit besitzen, das Blutsystem zu erneuern, sie sind vielmehr unter bestimmten Bedingungen auch in der Lage, sich – ähnlich wie embryonale Stammzellen – in die unterschiedlichsten Körperzellen zu verwandeln, wie Nerven-, Muskel-, Knorpelzellen und anderes mehr. Diese potenzielle Fähigkeit, unterschiedliche Zell- und Gewebetypen zu entwickeln, lässt Stammzellen aus Nabelschnurblut nicht nur in der Leukämietherapie, sondern auch in anderen Bereichen zunehmend als begehrte Ressource für die medizinische Forschung erscheinen.
Spenden oder privat einlagern?
Vor diesem Hintergrund haben sich seit 1992 in Deutschland öffentliche und kommerzielle Blutbanken etabliert, die Nabelschnurblut zu unterschiedlichen Zwecken kryokonservieren (das heißt bei weniger als -190°C einfrieren) und einlagern. Während kommerzielle Firmen, wie beispielsweise das Unternehmen Vita 34 oder die belgische Firma Cryo-Cell, für die individuelle Nutzung von Nabelschnurblut werben und Familien die Konservierung und Aufbewahrung des Blutes für eine private Finanzierung von 800 bis 2.500 Euro anbieten, lagern öffentliche Banken Blutstammzellpräparate für die allgemeine Nutzung ein.(2) Um diese unterschiedlichen Nutzungs- und Lagerungsformen von Nabelschnurblutpräparaten hat sich in Deutschland und auch in anderen Ländern ein moralischer Konflikt entwickelt, der in den Medien kontrovers diskutiert wurde: Sollen humane Stammzellen aus Nabelschnurblut privat eingelagert und nur individuell beziehungsweise familiär genutzt werden oder sollten sie als Spende allen leukämiekranken Patienten zur Verfügung stehen? Die Sachlage scheint ambivalent: Kommerzielle Firmen werben mit dem Argument der "privaten Vorsorge" oder der "biologischen Lebensversicherung" für die individuelle Einlagerung: Sie bieten an, das unter der Geburt gewonnene Nabelschnurblut zu konservieren und für zwanzig oder mehr Jahre zu lagern, damit es dem Kind oder in Ausnahmefällen seinen nahen Verwandten im Falle einer Erkrankung, die sich mit Stammzellen therapieren lässt, zur Verfügung steht. Als zweites Argument für die private Einlagerung führen die kommerziellen Banken die Möglichkeit an, dass in Zukunft dank fortschreitender wissenschaftlicher Forschungen auch andere Erkrankungen mit Nabelschnurblutstammzellen therapiert werden könnten. Sofern es gelänge, Stammzellen in vitro zu kultivieren und ihre Differenzierungsfähigkeit (3) zu steuern, ließen sich die unterschiedlichsten Krankheiten therapieren, indem man Gewebe und Organe, in denen eine Krankheit lokalisiert wird, durch neue, gesunde ersetzt. Die Forschungen gehen hier im Prinzip in zwei Richtungen: Zum einen wird versucht, Stammzellen, ähnlich wie bei der Leukämietherapie, peripher in die Blutbahn zu transfundieren, damit sie sich ihren Weg in die erkrankten Organe suchen und dort die zerstörten Zellen erneuern.(4) Zum anderen wird an der Züchtung von Organen und Geweben im Labor gearbeitet; ein Verfahren, das als Tissue Engineering bezeichnet wird. Viele Krankheiten, so die Hoffnung, sollen sich in Zukunft auf die eine oder andere Weise heilen lassen: Bei Diabetespatienten könnten die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse erneuert werden; Querschnittsgelähmten würden neue Nervenzellen wachsen und so das zerstörte Rückenmark erneuern; bei Parkinsonpatienten sollen jene Gehirnzellen regenerieren oder ersetzt werden, die Dopamin produzieren, einen so genannten Botenstoff, der im Gehirn für die Regulation der Motorik zuständig ist und vieles andere mehr. Öffentliche Blutbanken hingegen werben nicht für die private Einlagerung von Nabelschnurblut, sondern für dessen unentgeltliche Spende zum allgemeinen Nutzen für alle potenziellen Empfänger. Nabelschnurblut, das an öffentliche Blutbanken gespendet wird, wird – ähnlich wie bei der privaten Einlagerung – präpariert, kryokonserviert und gelagert. Anders jedoch als bei den kommerziellen Banken, bleibt eine Spende des Nabelschnurblutes nicht auf die individuelle Nutzung bzw. eigene Familie beschränkt, sondern wird über ein weltweites Verteilersystem allen Erkrankten zur Verfügung gestellt. Die genauen Eigenschaften des Präparates – wie Gewebeverträglichkeit, Zellmenge, Gewicht und anderes – werden in ein weltweites Computernetzwerk eingespeist und können von den Empfängerkliniken abgefragt und mit den Daten der möglichen Empfänger verglichen werden. Damit steht das Nabelschnurblut im Prinzip schon heute allen Bedürftigen – der eigenen Familie ebenso wie Nicht-Verwandten – im Falle einer Erkrankung zur Verfügung.
Bewertung der Einlagerung von Nabelschnurblut
Im Zentrum öffentlicher Debatten stand also die Frage: Sollen Stammzellen aus Nabelschnurblut individuell eingelagert werden und für die private Nutzung in Zukunft zur Verfügung stehen, falls eine Erkrankung eintritt und falls Heilmethoden entwickelt würden, oder sollte Nabelschnurblut der Allgemeinheit gespendet werden, zum prinzipiellen Nutzen aller heute schon tatsächlich Erkrankten? Wie ist dieser Konflikt nun zu bewerten? Für die private Einlagerung von Nabelschnurblut lässt sich festhalten, dass es heute keinen medizinischen Grund für Gesunde gibt, Nabelschnurblut privat einlagern zu lassen. Denn weder wird autologes, also körpereigenes Nabelschnurblut zur Leukämietherapie [siehe Kasten 1: Nabelschnurblutstammzellen in der Leukämietherapie] oder zur Behandlung anderer Erkrankungen bei Kindern eingesetzt noch kann es aufgrund der limitierten Menge bei Erwachsenen therapeutisch verwendet werden. Denn erfolgreich eingesetzt werden Stammzellpräparate aus Nabelschnurblut aufgrund ihrer geringen Gesamtmenge bisher nahezu ausschließlich in der Leukämietherapie bei Kindern mit maximal 30 bis 40 kg Körpergewicht. Hier sind es allerdings nicht die körpereigenen, sondern die körperfremden Nabelschnurblutstammzellen, die so genannten allogenen Transplantate, die bei hoher Kompatibilität zwischen Spender und Empfänger eine Heilung versprechen. Denn erstens hängt der therapeutische Nutzen wesentlich vom allogenen Immuneffekt (Graft-versus-Leukemia-Effekt) des Transplantats ab. Das heißt, man macht sich die Abstoßungseigenschaften der fremden Stammzellen zu Nutze, die in der Lage sind, im Körper eventuell verbliebene Leukämiezellen aufzuspüren und zu zerstören. Zweitens entsteht ein hoher Prozentsatz der Leukämien im Kindesalter bereits pränatal, weshalb eine Retransfusion der bei der Geburt eingefrorenen eigenen Nabelschnurblutstammzellen die Gefahr der Wiedererkrankung impliziert. Bezüglich dieser Einschätzung herrscht Einigkeit in allen medizinischen Texten, die nicht explizit aus dem Umfeld privater Nabelschnurblutbanken kommen.(5) Einigkeit besteht auch darüber, dass der einzige Grund für eine private Einlagerung von hämatopoetischen Stammzellen aus Nabelschnurblut nur dann vorliegt, wenn bereits ein Geschwisterkind an Blutkrebs oder Ähnlichem erkrankt ist. Das Nabelschnurblut kann dann eventuell als allogene, also körperfremde Spende für das Geschwisterkind verwendet werden (so genannte gerichtete Spende). Hier wird jedoch geraten, sich zum Zweck der Einlagerung explizit mit den behandelnden Medizinern auseinanderzusetzen, da nicht jede Form der Einlagerung die Nabelschnurblut-stammzellen gleichermaßen gut konserviert und da auch nur die betreuenden Ärzte wissen, welche Bestandteile des Nabelschnurblutes für das erkrankte Kind notwendig sind. Als weiterer Grund für die private Einlagerung von Nabelschnurblut wird häufig die potenzielle Möglichkeit angegeben, in Zukunft passende Organe und Gewebe aus körpereigenen Stammzellen entwickeln zu können. In den meisten wissenschaftlichen Texten wird diese Möglichkeit jedoch sehr skeptisch eingeschätzt. Denn weder weiß man heute, warum sich welche Stammzellen in welche Körperzellen differenzieren, noch behalten die in vitro ausdifferenzierten Zellen jene Fähigkeiten, die sie im Körper hatten. Das heißt, Pankreaszellen verlieren beispielsweise ihre Fähigkeit zur Insulinsynthese, Leberparenchymzellen zeigen nur einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Entgiftungsleistung. Ebenso ist die Frage keineswegs geklärt, ob es sich bei der Differenzierungsfähigkeit der Stammzellen um eine Eigenschaft der Stammzelle handelt oder möglicherweise um eine Funktion, die von unterschiedlichen Zellen übernommen werden kann, also gar nicht unbedingt den eingelagerten Zellen eigen ist. Frühestens in 10 bis 15 Jahren, so die Einschätzung der meisten wissenschaftlichen Texte, sei möglicherweise mit klinischen Versuchen zu rechnen.(6) Selbst wenn es dann möglich sein sollte, kompatible Organe und Gewebe zu züchten, wäre es nicht notwendig, dazu heute schon Stammzellen einzulagern. Denn erstens weiß man heute noch nicht, ob die tiefgekühlten Nabelschnurblutstammzellen einen so langen Lagerungsprozess überhaupt unbeschadet überstehen. Zweitens können körpereigene Stammzellen zu jeder Zeit im Leben aus dem peripheren Blut gewonnen werden und nicht nur aus dem Nabelschnurblut. Das Argument der einmaligen Chance, das die privaten Banken im Bezug auf die Entnahme von Nabelschnurblut häufig anführen, verliert damit an Bedeutung.(7)
Privatisierung im Gesundheitswesen
Dass die private Einlagerung von Nabelschnurblut dennoch zurzeit einen enormen Zuwachs erfährt, ist auch, aber nicht nur, den mangelnden öffentlich zugänglichen, neutralen (8) Informationen geschuldet. Der Boom der privaten Nabelschnurblutbanken hat sich vielmehr in den 1990er Jahren parallel zu einer gesellschaftlichen Situation entwickelt, die durch gravierende Kürzungen im Gesundheitswesen und durch die Privatisierung von sozialer Verantwortung gekennzeichnet ist. Das Versprechen einer "biologischen Lebensversicherung" oder einer "Vorsorge für das Leben" trifft in dieser Situation einerseits auf den verständlichen Wunsch junger Eltern, Leben und Gesundheit ihres Kindes bestmöglich zu schützen und andererseits auf die Erfahrung, dass von Seiten gesetzlicher Krankenversicherungen dieser Schutz nicht mehr gewährleistet wird. Diese soziale Verunsicherung begünstigt außerdem die emotionale Ausrichtung der Werbung privater Nabelschnurblutbanken, mit der diese ihre oftmals unzusammenhängenden und zum Teil falschen Argumente verschleiern. Die suggestive Kraft der Bilder von gesunden Kindern und glücklichen Familien, wie sie von den kommerziellen Unternehmen – im Gegensatz zu den öffentlichen Blutbanken – aufgeboten werden, verstärkt bei den Eltern den moralischen Druck der Verantwortlichkeit: Wer nicht privat einlagert, trägt später eine Mitschuld an der Erkrankung und an den womöglich mangelnden Genesungschancen des Kindes, so die unterschwellige, aber deutliche Botschaft. Rationale Überlegungen sind auf der Basis solcher Schuldgefühle kaum möglich. Umso wichtiger wäre es, diese Schuldgefühle erzeugende Werbepraxis zu kritisieren und für eine angemessene, sachliche Aufklärung zu sorgen.
Spenden statt privat einlagern?
Die Spende von Nabelschnurblut hingegen wird in der Literatur als medizinisch sinnvoll erachtet. Anders als privat eingelagerte, autologe, also körpereigene Nabelschnurblutstammzellen wird allogenes, also körperfremdes Nabelschnurblut unter bestimmten Bedingungen als therapeutische Alternative zu Knochenmarkstransplantationen beziehungsweise Transplantationen aus dem peripheren Blut verwendet. Die spezifischen Eigenschaften allogener Nabelschnurblutstammzellen – einerseits noch kein allzu sehr ausgeprägtes Immunsystem aufzuweisen und noch nicht mit Erregern belastet zu sein und andererseits die Fähigkeit zu besitzen, Leukämiezellen im Empfängerkörper zerstören zu können – macht sie für die Leukämietherapie und zur Behandlung einiger anderer Immun- und Bluterkrankungen bei Kindern interessant. Ihre therapeutischen Nachteile wiederum – als Transplantat schlechter anzuwachsen und in der Menge limitiert zu sein – beschränken jedoch auch diese Einsatzmöglichkeit von Nabelschnurblutstammzellen bisher auf die Verwendung in der Pädiatrie und dort auf einen 1 bis 2-prozentigen Anteil an allen durchgeführten Stammzelltransplantationen. Zu gravierend sind auch hier die "Nebenwirkungen", um als "Wunderheilmittel" zu gelten, wie Nabelschnurblutstammzellen von populistischen Medien häufig angepriesen werden: Das verzögerte Anwachsen führt nämlich bei Nabelschnurbluttransplantationen zu einer fast doppelt so hohen therapieassoziierten Mortalität und Morbidität wie bei Stammzelltransplantaten aus dem Knochenmark.(9) Gleichwohl ist festzuhalten, dass Transplantationen von allogenem Nabelschnurblut bisher die einzig mögliche und unter bestimmten Bedingungen auch sinnvolle Einsatzmöglichkeit von Nabelschnurblutstammzellen darstellen. Darüber hinaus stehen diese, wenn sie an öffentliche Blutbanken gespendet werden, über ein weltweites Verteilungssystem schon heute allen tatsächlich erkrankten Kindern zur Verfügung – letztlich auch jenen, die ihr eigenes Nabelschnurblut privat eingelagert haben und dies im Falle einer Erkrankung aus medizinischen Gründen nicht nutzen können. Im Gegensatz zu kommerziellen Blutbanken haben die öffentlichen Blutbanken jedoch mit organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die aus ihrer mangelhaften finanziellen Ausstattung herrühren. Während private Unternehmen Gewinnung, Transport und Lagerung der Nabelschnurblutpräparate durch ihre Einnahmen finanzieren – die Kosten für eine private Einlagerung liegen zwischen 800,- bis 2.500,- Euro –, sind nicht-kommerzielle Blutbanken auf öffentliche Mittel und Spendengelder angewiesen. Das führt dazu, dass letztlich nur in wenigen, zumeist an öffentliche Banken angeschlossenen Krankenhäusern Nabelschnurblut gespendet werden kann, weil die Transportkosten sonst zu hoch wären. Kliniken, in denen Nabelschnurblut gespendet werden kann, beschränken sich deshalb auf die näheren Umgebungen, in denen öffentliche Blutbanken liegen, nämlich Dresden, Düsseldorf, Freiburg, Mannheim und München.
Public-Private-Partnership
So eindeutig sich also die Spende von Nabelschnurblut aus medizinischer Sicht beurteilen lässt, so undurchsichtig erweist sich die Praxis öffentlicher Blutbanken aus rechtlicher Perspektive. Während nämlich kommerzielle Blutbanken vertraglich verpflichtet sind, den Eltern Auskunft über den Verbleib und die Verwendung der Nabelschnurblute zu geben, sind öffentliche Blutbanken nicht verpflichtet, über die Nutzung der gespendeten Blute gegenüber den Spenderinnen oder der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen. Diese mangelnde Rechenschaftspflicht erweist sich insofern als bedenklich, als in den letzten Jahren auch im Bereich öffentlicher Forschung Public-Private-Partnerships und die Gründung privater Firmen aus universitären Zusammenhängen politisch gewünscht und gefördert werden: Mindestens zwei von den fünf öffentlichen Nabelschnurblutbanken erforschen und vermarkten Produkte aus Nabelschnurblutstammzellen.(10) Offiziell werden jedoch 45 Prozent, nach eigenen inoffiziellen Aussagen sogar bis zu 60 Prozent der gespendeten Blutpräparate aus Gründen der Verunreinigung oder wegen eines zu geringen Stammzellgehaltes nicht zur Therapie verwendet. Hier stellt sich die Frage, was mit diesen Präparaten geschieht und wozu sie tatsächlich verwendet werden. Für eine Weiterverwendung in der Forschung sind die Banken standesrechtlich gehalten, zuvor explizit die Erlaubnis der Spenderinnen einzuholen. Diese werden zwar bei der Aufklärung in der Regel auch um die Einwilligung zur Weiterverwendung von medizinisch untauglichem Blut zu Forschungszwecken gebeten, jedoch geben nicht alle dazu ihre Einwilligung. Da die Motivation der Spenderinnen in der unentgeltlichen Hilfeleistung für andere erkrankte Kinder liegt, unterscheiden sie moralisch explizit zwischen der therapeutischen Nutzung und der Verwendung in der Forschung bzw. der Vermarktung. Sie möchten, dass das Nabelschnurblut allen erkrankten Kindern weltweit therapeutisch zur Verfügung gestellt wird, in der Hoffnung, dass auch ihrem Kind im Falle einer Erkrankung unkompliziert und unentgeltlich geholfen werden möge. Zu welchem Zweck die Blutpräparate letztlich verwendet werden, wird ihnen jedoch nicht mitgeteilt, da die Spenden, wie in der Transplantationsmedizin üblich, aus ethischen Gründen anonymisiert werden. So sinnvoll die Anonymisierung aus ethischer Perspektive ist, so problematisch erweist sie sich aus Sicht der Öffentlichkeit, weil dadurch die tatsächliche Verwendung des Blutes nicht nachvollzogen werden kann. Diese undurchsichtige Praxis einiger öffentlicher Nabelschnurblutbanken erscheint aus folgenden Gründen als problematisch.
Der Körper als Ressource?
Einerseits verändern sich mit der Zunahme an Public-Private-Partnerships in der öffentlichen Forschung die sozialen Bedingungen, auf denen die bisherige rechtliche Regelung der Transplantationsmedizin aufbaute. War und ist es Individuen rechtlich verboten, eigene Körperteile (Organe, Blut, Stammzellen und so weiter) gegen Geld zu veräußern, so entstand dieses Verbot vor dem Hintergrund, dass es auch Krankenhäusern und Forschungsinstituten prinzipiell verboten war, Körperteile gewinnträchtig zu vermarkten. Wenn nun die Vermarktung auf der institutionellen Seite legalisiert und forciert wird, stellt sich prinzipiell auch die Frage nach den Eigentums- und Patentrechten und einer Gewinnbeteiligung der Spenderinnen an den vermarkteten Produkten. Damit wären jedoch erhebliche juris-tische und ethische Probleme verbunden: Eine Vermarktung des eigenen Körpers ist durch das Grundgesetz in Deutschland verboten. Andererseits ist Nabelschnurblut, insbesondere vor dem Hintergrund der aus Sicht der Forschung restriktiven deutschen Stammzellgesetzgebung, zu einem begehrten biotechnologischen Rohstoff avanciert, der ähnliche Eigenschaften aufweist wie embryonale Stammzellen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass es zu Interessenskonflikten kommt, wenn derselbe Gynäkologe, der die Frauen um die Nabelschnurblutspende zu therapeutischen Zwecken bittet, Teilhaber einer Firma ist, die Produkte aus Nabelschnurblutstammzellen erforscht und kommerziell vertreibt. Nicht nur von den Frauen, die ja mit ihrer Spende explizit den Wunsch verbinden, zu helfen, auch von einigen Hebammen und Gynäkologinnen beziehungsweise Gynäkologen wurde die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass die hohe Zahl der nicht zur Therapie eingelagerten Blute auch dem Interesse an ihrer Erforschung und Vermarktung geschuldet sein könnte. Bei einigen Hebammen hat diese Befürchtung dazu geführt, dass sie die Nabelschnurblut-spende eine Zeit lang nicht unterstützt haben. Hier ist eine rechtliche Grauzone entstanden, die dringend öffentlicher Kontrolle und einer gesetzlichen Regulierung bedarf.
Regulierung notwendig
Eine gesetzliche, über standesrechtliche Empfehlungen der Bundesärztekammer hinausgehende Regulierung ist auch deswegen dringend gefordert, weil patentnahe Forschung und die Kommerzialisierung medizinischer Produkte politisch gewünscht sind und gefördert werden. Die Grenzen zwischen öffentlicher Forschung und kommerzieller Vermarktung werden sich insofern in Zukunft weiter auflösen. Verschwimmen wird damit nach und nach auch die pauschale moralische Unterscheidung zwischen der "guten", weil nicht-kommerziellen Spendenpraxis öffentlicher Nabelschnurblutbanken und der "verwerflichen" Praxis privater Firmen (was an der oben beschriebenen medizinischen Sinnlosigkeit der privaten Einlagerung autologer Nabelschnurblutstammzellen jedoch nichts ändert). Über den gesetzlichen Regulierungsbedarf hinaus ist eine bessere Aufklärung des betreuenden medizinischen Personals ebenso wie der Schwangeren und ihrer Partner dringend erforderlich. Denn es gibt in Deutschland – anders als beispielsweise in Österreich – keine "neutrale", das heißt von den Nabelschnurblutbanken unabhängige Informationsquelle für werdende Eltern. Die Eltern ebenso wie die niedergelassenen Gynäkologinnen beziehungsweise Gynäkologen und Hebammen äußerten hier den dringenden Wunsch nach einer neutralen Aufklärung über Für und Wider der Einlagerung und Verwendung von Nabelschnurblut. Neutral heißt hier auch normativ neutral: Von Seiten der Spenderinnen respektive der Eltern wurde ein Unbehagen geäußert, sich zur Spende oder privaten Einlagerung, in jedem Fall aber zur Nutzung von Nabelschnurblut gedrängt zu fühlen. Die Entscheidung gegen beide Varianten erscheint dadurch als moralisch verwerflich, obwohl es letztlich individuell gute Gründe für eine solche Entscheidung geben kann. Nicht zuletzt ist für diesen Bereich ein dringender ethisch-sozialwissenschaftlicher Forschungsbedarf zu konstatieren. Denn zum einen stellt die Gewinnung und Verwendung von Nabelschnurblutstammzellen ein Feld dar, an dem sich exemplarisch die Probleme und Konflikte einer zukünftig immer wichtiger werdenden Nutzung von Körpersubstanzen studieren lassen. Zum anderen gibt es bisher noch keine unabhängigen Studien, die die Praxis kommerzieller Nabelschnurblutbanken untersucht hätten, während es zur Praxis der Nabelschnurblutspende bereits mehrere Untersuchungen gibt.(11)
Fußnoten
- Vgl. hierzu Manzei, Alexandra (2005): Stammzellen aus Nabelschnurblut - Ethische und gesellschaftliche Aspekte. Berlin.
- Weitere kommerzielle Unternehmen, die in Deutschland die Lagerung von Nabelschnurblut für private Zwecke anbieten, sind beispielsweise die Firmen Cryo-Care, Eticur, BasicCell. Es gibt in Deutschland zurzeit fünf öffentliche Blutbanken: in Freiburg, Düsseldorf, Dresden, Mannheim und München.
- Nach heutigem Wissensstand geht man davon aus, dass Stammzellen sich in Körperzellen (Blut-, Knochenzellen usw.) und wiederum in Stammzellen ausdifferenzieren können. Es ist jedoch weder bei embryonalen noch bei adulten Stammzellen, zu denen auch die Nabelschnurblutstammzellen gehören, bekannt, warum und nach welchen Mechanismen sie sich in unterschiedliche Zellarten teilen. Vgl. Manzei 2005, Kap. 2.2.
- Dieses Vorgehen liegt auch jenen Versuchen zu Grunde, die in unterschiedlichen Kliniken in Deutschland in verschiedenen Städten an Herzinfarktpatienten vorgenommen wurden. Dort wurden den Patienten körpereigene (sog. autologe), blutbildende Stammzellen zum Beispiel aus dem Knochenmark entnommen und wieder verabreicht. Von den meisten Forschern und Medizinern werden diese Versuche mit äußerster Skepsis betrachtet, da es kaum eine Möglichkeit gibt, zu beweisen, ob möglicherweise auftretende Heilungseffekte auf die Stammzellgabe oder andere Therapien zurückzuführen sind. Darüber hinaus wird befürchtet, dass auch andere Gewebe und Organe unerwünscht zum Wachstum angeregt werden könnten. Vgl. Manzei 2005, Kap. 2.2.1 und 2.2.2.
- Vgl. beispielsweise Eichler u.a. 2001; Hüsing u.a. 2003; Kögler/Wernet 2003; Wormer 2003; Vormoor u.a. 2002, sowie die Stellungnahme des Deutschen Knochenmarkspenderegisters (DKMS) (www.dkms.de/asp/ Publikationen/1683 vom 27.6.2005) oder auch die Empfehlung des österreichischen Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen (BMSG). Selbst von einer der in Deutschland tätigen kommerziellen Nabelschnurblutbanken (eticur) wird auf deren Homepage explizit bestätigt, dass autologe Nabelschnurblutstammzellen nicht zur Leukämietherapie – auch nicht bei Kindern – verwendet werden können (vgl. www.eticur.de/index.php?idcatside=20&mod90_1= print vom 27.6.2005).
- Vgl. beispielsweise Hüsing, Bärbel u.a. 2003: Menschliche Stammzellen. Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung (der Schweiz). TA44/2003. Dort zu beziehen, sowie URL: www.ta-swiss.ch/www-remain/reports_archive/public… (23.08.05) und Wormer 2003.
- Einige private Nabelschnurblutfirmen begründen den Nutzen einer privaten Einlagerung von Nabelschnurblut nicht mit dem Einsatz in der Leukämietherapie. Sie stellen vielmehr andere Erkrankungen in den Vordergrund, bei denen autologe Stammzelltransplantationen therapeutisch zum Einsatz kommen, wie beispielsweise das Non-Hodgkin-Lymphom (Vita 34 2002; vgl. dazu auch Grathwohl u.a. 2002: 815). Hierbei handelt es sich zwar tatsächlich um eine Erkrankung, die zu einem hohen Prozentsatz durch autologe Stammzelltransplantationen therapiert wird. Dies gilt jedoch nicht für Kinder. Die spezifische Form von Non-Hodgkin-Lymphomen, die bei Kindern auftritt, ist nur selten eine Indikation zur Transplantation, weil mit einer konventionellen Behandlung sehr hohe Heilungsraten erzielt werden können (vgl. Wössmann u.a. 2005). Und eine Anwendung bei Erwachsenen ist auch hier aufgrund der limitierten Menge an Nabelschnurblutstammzellen ausgeschossen. Auch beim Non-Hodgkin-Lymphom handelt es sich also nicht um eine Indikation zur privaten Einlagerung von Nabelschnurblut.
- Neutral soll in diesem Zusammenhang nur heißen: nicht durch kommerzielle oder öffentliche Blutbanken.
- Wie schwerwiegend und lebensbedrohlich diese "Nebenwirkungen" für die kleinen Patienten oft sind, konnte ich im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung auf einer Kindertransplantationsstation beobachten. Diese Eindrücke habe ich in Manzei 2005, 58ff geschildert. Vgl. dazu auch die Erfahrungen der Musiktherapeutin B. Grießmeier (2001), die seit vielen Jahren stammzelltransplantierte Kindern begleitet.
- Ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen einer öffentlichen Nabelschnurblutbank und einem kommerziellen Unternehmen, das Therapeutika aus Nabelschnurblutstammzellen herstellt ist die Firma Kourion Therapeutics AG. Vgl. dazu www.kouriontx.com/background.html (25.08.05) sowie Manzei, 2005, Kap. 2.2.6.
- Vgl. Danzer, Enrico/ Holzgreve, Wolfgang/ Troeger, Carolyn/ Kostka, Ulrike/ Steimann, Sabine/ Bitzer, Johanes/ Gratwohl, Alois/ Tichelli, André/ Seelmann, Kurt/ Surbek, Daniel V. (2003): Attitudes of Swiss Mothers Toward Unrelated Umbilical Cord Blood Banking 6 Months After Donation. In: Transfusion, 43, 5, S. 604-608.
Quellen:
Eichler, H./ Meckies, J./ Schmut, N./ Kern, S./ Klüter, H./ Zieger, W. (2001): Präparative und arzneimittelrechtliche Aspekte bei der Sammlung von Stammzellpräparaten aus Plazentarestblut. In: Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie, 205, S. 218-223. Gratwohl, A./ Baldomero, H./ Passweg, J./ Urbano-Ispizua, A. (2002): Increasing Use of Reduced Intensity Conditioning Transplants. Report of the 2001 EBMT Activity Survey. In: Bone Marrow Transplantation, 30, 12, S. 813-831. Hüsing, Bärbel/ Engels, Eve-Marie/ Frietsch, Rainer/ Gaisser, Sibylle/ Menrad, Klaus/ Rubin, Beatrix/ Schubert, Lilian/ Schweizer, Rainer/ Zimmer, René (2003): Menschliche Stammzellen. Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung (der Schweiz). TA44/2003. Kögler, Gesine/ Wernet, Peter (2003): Pluripotenz humaner Stammzellen aus Nabelschnurblut: Eine Basis für regenerative Therapien. www.uni-duesseldorf.de/HHU/Jahrbuch/2003/Koegler (27.06.05). Wormer, Eberhard J. (2003): Mehr wissen über Stammzellen. Köln: Lingen. Wössmann, Wilhelm/ Seidemann, Kathrin/ Mann, Georg/ Zimmermann, Martin/ Burkhardt, Birgit/ Oschlies, Ilske/ Ludwig, Wolf-Dieter/ Klingebiel, Thomas/ Graf, Norbert/ Gruhn, Bernd/ Juergens, Heribert/ Niggli, Felix/ Parwaresch, Reza/ Gadner, Helmut/ Riehm, Hansjoerg/ Schrappe, Martin/ Reiter, Alfred (2005): The Impact of the Methotrexate Administration Schedule and Dose in the Treatment of Children and Adolescents with B-Cell Neoplasms. A Report of the BFM Group Study NHL-BFM95. In: Blood, 105, 3, S. 948-958. Vormoor, J./ Klingebiel, T./ Jürgens, H. (2002): Aktuelle Möglichkeiten der Behandlung mit blutbildenden Stammzellen aus Nabelschnurblut im Kindesalter. In: Klinische Pädiatrie, 214, S. 195-200.
Dr. phil. Alexandra Manzei ist Dipl.-Soziologin mit den Arbeitsschwerpunkten Medizin- und Bioethik, Techniksoziologie der Medizin und philosophische Anthropologie, zurzeit Leiterin des DFG-Projekts "Erfahrungswissen in der technisierten Medizin" am Institut für Soziologie der Technischen Universität in Berlin.
Nabelschnurblutstammzellen in der Leukämietherapie
Stammzellen aus Nabelschnurblut werden bisher nur in sehr begrenztem Rahmen therapeutisch genutzt. Eingesetzt werden sie hauptsächlich in der Leukämietherapie und bei einigen anderen (Blut-)Krebsarten sowie bei bestimmten Autoimmunerkrankungen als Alternative zu Knochenmarks- oder peripheren Blutstammzellen. Verwendet werden ausschließlich allogene, also körperfremde Transplantate von verwandten oder unverwandten Spendern bei Kindern bis maximal 40 kg Körpergewicht. Autologe, also körpereigene Transplantate werden überhaupt nicht verwendet, weil man davon ausgeht, dass Krebs oder die Autoimmunerkrankung bereits im Nabelschnurblut angelegt ist. Um Leukämie zu therapieren, muss das Kind mit intensiver Chemotherapie behandelt werden. Dadurch wird das Knochenmark und das Immunsystem erheblich beeinträchtig. Bei der akuten lymphatischen Leukämie beispielsweise werden 90 Prozent der Kinder in der Erstbehandlung auf diese Weise therapiert. Die Heilungsrate ist mit dieser Behandlung sehr hoch, sie liegt bei 80 Prozent. Insgesamt erhalten circa 15 Prozent der pädiatrischen Patienten eine Stammzelltransplantation; entweder gleich nach der Chemotherapie, weil sie als Hochrisikopatienten gelten oder nach einem ersten oder nachfolgenden Rückfall. Eine Indikation zur Stammzelltransplantation ist also selbst in der Leukämietherapie nicht immer sofort gegeben. Wenn eine Indikation zur Stammzelltransplantation jedoch gegeben ist, wird zuerst in der eigenen Familie nach einem geeigneten Geschwisterkind als Spender von Knochenmarks- beziehungsweise peripheren Blutstammzellen gesucht. Im Vordergrund steht dabei das Interesse, möglichst schnell einen gewebekompatiblen Spender zu finden. Für circa 20 Prozent der Kinder wird so ein geeigneter Spender gefunden. Findet sich in der Familie kein geeignetes Geschwisterkind, wird über das zentrale Knochenmarkspenderegister in Deutschland (ZKRD) weltweit nach einem geeigneten Spender gesucht. Für die verbleibenden 80 Prozent wird so im Zeitraum von circa drei Monaten wiederum für circa 80 bis 90 Prozent ein geeigneter Fremdspender gefunden. Für die verbleibenden circa 15 Prozent (der Grundgesamtheit), für die auf diesem Weg kein Spender gefunden wurde, werden nun unterschiedliche Verfahren gewählt. In einigen Transplantationszentren in Deutschland werden nun die Eltern als Spender herangezogen (die mit ihrem Kind nur teilidentisch sind). In anderen kommen jetzt allogene, also körperfremde gespendete Nabelschnurblute zum Einsatz, die in öffentlichen Blutbanken eingelagert sind, und ebenfalls über ein weltweites Suchsystem gefunden werden können. Welches Verfahren gewählt wird, hängt zum einen von den Erfahrungen und Kompetenzen ab, über die die einzelnen Zentren jeweils verfügen. Zum anderen weisen Nabelschnurblutstammzellen neben ihren Vorteilen gegenüber blutbildenden Stammzellen aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut auch einen gravierenden Nachteil auf. Die limitierte Zellmenge führt nach der Transplantation dazu, dass das zuvor zerstörte Immunsystem nur sehr langsam wieder aufgebaut wird. Das heißt, die Phase, in der die Kinder keine eigene Infektabwehr besitzen, Neutropenie genannt, ist verlängert. Sie ist im Durchschnitt fast doppelt so lang, wie nach der Transplantation von Knochenmarksstammzellen. Als Folge davon ist die so genannte therapieassoziierte Mortalität, das heißt die durch die Therapie bedingte Sterblichkeit, mehr als doppelt so hoch (39 Prozent) wie bei Knochenmarkstransplantationen (19 Prozent). Auch für die 61 Prozent Überlebenden ist die verlängerte Neutropeniephase eine physische und psychische Strapaze, weil sie mit einer erhöhten Infektionsgefahr, mit Schmerzen, Angst und anderen Nebenwirkungen verbunden ist, wie die Betroffenen berichten. Aufgrund dieser bisher noch gravierenden Nachteile machen auch die Transplantationen mit allogenen Nabelschnurblutstammzellen lediglich 1 bis 2 Prozent aller Stammzelltransplantationen bei Kindern aus. (Alexandra Manzei)
Nabelschnurblutstammzellen– Funktion und therapeutische Verwendung
Nabelschnurblutstammzellen gehören zu den adulten beziehungsweise gewebespezifischen Stammzellen und werden direkt nach der Geburt eines Kindes aus der Nabelschnur gewonnen. Ebenso wie beim Knochenmark handelt es sich bei Nabelschnurblutstammzellen um hämatopetische, das heißt blutbildende Stammzellen. Darüber hinaus werden im Nabel- schnurblut in geringen Mengen auch mesenchymale Stammzellen gefunden, die im Körper für die Entwicklung von Stütz- und Bindegewebe, wie Muskel- oder Gefäßzellen, zuständig sind. (Alexandra Manzei)