Ein Megaprojekt mit Vorschuss

Die Nationale Kohorte wird schon mal finanziert, der Studienplan kommt später

Die Förderung der Nationalen Kohorte aus öffentlichen Mitteln für mindestens zehn Jahre ist beschlossene Sache. Deren Aufbau wirft jedoch nach wie vor Fragen auf - wenn auch nicht beim Bundesforschungsministerium, das in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünenfraktion einen erstaunlich laxen Umgang mit der geplanten Proben- und Datensammlung von 200.000 Menschen offenbart.

Mit der Förderung der Nationalen Kohorte zeigen Bund und Länder, dass die Forschung über Volkskrankheiten hohe Priorität genießt“, so die Vorsitzende der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), Bundesforschungsministerin Annette Schavan, in einer Pressemitteilung im Juni dieses Jahres.1 In der Tat lässt sich die so genannte öffentliche Hand das Großprojekt mit seinen 18 Studienzentren im gesamten Bundesgebiet in den nächsten zehn Jahren etwas kosten: 115 Millionen Euro trägt der Bund, 35 Millionen kommen von den Ländern und weitere 70 Millionen von der von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Helmholtz-Gesellschaft. Darüber hinaus steuern die beteiligten Einrichtungen, namentlich Universitätskliniken und Leibniz-Institute, einen nicht näher bezifferten „erheblichen Eigenanteil“ bei.2 Schließlich, so Schavan weiter, leiste die Langzeituntersuchung „einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir die Volkskrankheiten und ihre Entstehung in Zukunft besser verstehen können“. An dieser Darstellung bestehen berechtigte Zweifel. Denn das Untersuchungsinteresse beim Aufbau der so genannten Nationalen Kohorte (NK) richtet sich zwar erklärtermaßen auf die Ursachen und Entstehungsbedingungen weit verbreiteter Erkrankungen.3 Das bisher bekannte Design des Projektes lässt allerdings darauf schließen, dass es vor allem um biologisch definierte Risikofaktoren geht und die Entwicklung und Erprobung molekularer und genetischer Biomarker im Vordergrund stehen.4 Allein die Liste der „Biomaterialien“ - wie sie von den InitiatorInnen der NK bezeichnenderweise genannt werden - ist beeindruckend: Neben Blut, Plasma, Serum, Erythrozythen, DNA, RNA und lebenden Zellen sollen von allen Teilnehmenden Urin- und Stuhlproben sowie Abstriche der Mund- und der Nasenschleimhaut aufbewahrt werden.5 Auch dass bei einem Fünftel aller ProbandInnen Magnetresonanz-Aufnahmen von Herz, Hirn und gesamtem Körper geplant sind, spricht für ein vorwiegend biomedizinisches Verständnis von Krankheitsursachen.6

Ein Ministerium ohne Plan...

Dass dagegen der soziale Status oder der Lebenskontext von Menschen im Zusammenhang mit der NK kaum Erwähnung finden, rief die grüne Gesundheitsexpertin Birgit Bender auf den Plan. „Selbst mit aufwändigsten medizinischen Untersuchungen“, so die Bundestagsabgeordnete, ließe sich schließlich „nicht feststellen, welche Belastungs- und Schutzfaktoren über Gesundheit beziehungsweise Krankheit entscheiden. Und keine Blutuntersuchung kann Auskunft darüber geben, wie die Gesundheits­­chancen in der Bevölkerung verteilt sind.“ Deshalb initiierte Bender im Juli eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Darin unterstreicht die Grünen-Fraktion die „sozial ungleiche Verteilung von Gesundheitschancen, von Krankheit und Tod“ und stellt verschiedene Detailfragen, die klären sollen, inwieweit die NK „soziale Bestimmungsfaktoren“ von Krankheit berücksichtigt.7 Die Antworten, die Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung (BMBF), im Namen der Bundesregierung zusammengestellt hat, geben darüber wenig Auskunft. Sie machen vielmehr deutlich: Der wissenschaftliche Ansatz der NK kümmert das BMBF herzlich wenig. Grundsätzlich, so heißt es in der Antwort einleitend, nähmen die Förderer „keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Konzeption“. Es sei vielmehr Aufgabe der beteiligten WissenschaftlerInnen, „eine Ausgewogenheit herzustellen“, und zwar zwischen den vielen möglichen Fragestellungen und jenen, „die im Rahmen des organisatorisch Machbaren und des finanziell Angemessenen sinnvoll bearbeitet werden können“.8 Derzeit aktualisiere das Leitungskomitee der NK das Konzept, erarbeite den endgültigen Studienplan und ein Operationalisierungshandbuch, in dem „sämtliche organisatorischen Festlegungen zur Vorbereitung und Durchführung der Studie einschließlich der Erhebungsinstrumente dokumentiert werden“ und lege nach Fertigstellung ja auch alles „den Förderern erneut vor“. Mit dieser Darstellung verneint das BMBF nicht nur jegliche Verantwortung für die enge biomedizinische Ausrichtung der NK, das Ministerium entzieht sich mit dem Argument, die beteiligten Wissenschaftler hätten Konzeption, Studienplan und Handbuch noch nicht fertig, auch der Beantwortung einer Vielzahl von Fragen. So werden beispielsweise weder Auskünfte zum Inhalt der Fragebögen und der Gewichtung sozialer Bedingungen gemacht noch wird beziffert, in welchem Verhältnis die Kosten der Befragungen zu denen der biomedizinischen Untersuchungen stehen.

...und eine Sammlung mit Perspektiven

Aber nicht nur Konzept und Studienplan überlässt das Forschungsministerium den „beteiligten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen“. Schier grenzenloses Vertrauen genießen sie offenkundig auch, wenn es um den Umgang mit den zum Teil äußerst sensiblen Daten in dem Megaprojekt geht. So kann das BMBF unter Verweis auf den noch ausstehenden Studienplan und das fehlende Operationalisierunghandbuch auch keine Antwort auf die Frage geben, welche Daten außer den medizinischen noch erhoben werden sollen. Ein Blick in den von den Ini­tiatoren der NK im Bundesgesundheitsblatt per Sonderdruck veröffentlichten Aufsatz vom Juni diesen Jahres hätte allerdings genügt, um diese Frage zumindest grob beantworten zu können: Alle zwei bis drei Jahre ist ein so genanntes Mortalitäts-Follow-up geplant, bei dem mithilfe der Einwohnermeldeämter abgeglichen wird, welche ProbandInnen verstorben sind. „Darüber hinaus“, heißt es in dem Aufsatz weiter, „wird eine Verknüpfung mit weiteren Sekundärdaten zur gesundheitlichen Situation und Versorgung angestrebt, zum Beispiel mit Krankenversicherungsdaten“.9 Neben solchen heiklen Perspektiven sind es aber auch die konkreten Planungen, die davon zeugen, dass bei der NK der Schutz von Persönlichkeitsrechten nicht gerade im Vordergrund steht: So sollen die nach dem Zufallsprinzip aus den Einwohnermelderegistern ausgewählten 400.000 Personen zunächst zwar nur per Post eingeladen werden.(9) Melden sie sich nicht, wird allerdings nachgehakt: Wer im Telefonbuch steht, wird angerufen, und mit Hausbesuchen ist zu rechnen - nicht nur tagsüber sondern auch abends und am Wochenende.10 Die Autoren des Aufsatzes betonen, dass Datenschutzbeauftragte bei der Erstellung von Konzept und Studienplan der NK kontinuierlich einbezogen werden. Auch lägen dem Großprojekt die deutschen Datenschutzgesetze, weitere Vorschriften und sonstige „ethisch relevante Richtlinien“ zugrunde. Ein „wichtiges Ziel“, so schreiben sie weiter, sei dabei „die Sicherstellung des Vertrauens in die Art der Datensammlung und Speicherung“ - zumindest bei den Förderern hat das offensichtlich funktioniert. Aber ob 200.000 Menschen sich von einem solchen Projekt überzeugen lassen?

  • 1Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), PM 11/2012, Berlin/Bonn, 29. Juni 2012, im Netz unter www.kurzlink.de/GID214_b, S.2. Die GWK vereint die für Wissenschaft und Forschung sowie die für Finanzen zuständigen MinisterInnen beziehungsweise SenatorInnen des Bundes und der Länder und trat erstmals 2008 zusammen. Vgl. www.gwk-bonn.de.
  • 2Ebda., S.1. Zu den an der Nationalen Kohorte beteiligten Forschungsinstitutionen siehe auch GID Nr. 209, Dezember 2011, S. 40.
  • 3Vgl. www.nationale-kohorte.de, das wissenschaftliche Konzept findet sich unter „weitere Informationen“ in der Rubrik „Veröffentlichungen“.
  • 4Vgl. dazu ausführlicher GID Nr. 209, Dezember 2011, S. 39 - 41.
  • 5Geplant ist, die Proben in Flüssigstickstoff-Tanks zentral am Helmholtz-Zentrum München zu lagern; für etwa ein Drittel ist zusätzlich außerdem eine „lokale Back-Up-Lagerung“ an einzelnen, an der NK beteiligten Studienzentren vorgesehen. Vgl. H.-E. Wichmann, R. Kaaks, W. Hoffmann, K.-H. Jöckel, K.H. Greiser und J. Linseisen: Die Nationale Kohorte, Bundesgesundheitsblatt 2012, 55, S. 786.
  • 6Wichmann et al. (ebda., S. 787) sehen eine „Limitation“ der NK darin, dass „die Gesamtzahl komplexer und teurer Untersuchungsinstrumente aus Zeit- und Kostengründen eingeschränkt ist“.
  • 7Vgl. Bundestags-Drucksache 17/10410, Antwort auf die Kleine Anfrage „Gesundheitsforschungsprojekt Nationale Kohorte“, im Netz unter www.kurzlink.de/GID214_d.
  • 8Wichmann et al., a.a.O., S. 786. Dieser Plan ist detaillierter auch im wissenschaftlichen Konzept der NK nachzulesen (siehe Fußnote 3), und zwar ab S. 199.
  • 9Da eine Beteiligung von 50 Prozent angestrebt wird, werden so viele Menschen eingeladen, um wirklich 200.000 Teilnehmende zu gewinnen. Wichmann et al., a.a.O., S.782.
  • 10Ebda., S.783.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
214
vom Oktober 2012
Seite 41 - 42

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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