Neue Gentechnik - neue Möglichkeiten?
Was uns an gentechnisch veränderten Pflanzen wirklich erwartet
Das Potenzial der neuen Gentechnik (NGT) ist groß. Doch es sind letztendlich Saatgutkonzerne, Wissenschaftler*innen und politische Richtlinien die bestimmen, für welche Zwecke die Technologie genutzt wird. Welche gentechnisch veränderten Pflanzen erwarten uns und welche nicht?
Foto via Pixabay (chemwifi)
Seit seiner Veröffentlichung im Juli 2023 wird heftig über den Gesetzesentwurf zur Anpassung des Umgangs mit den Verfahren der neuen Gentechnik (NGT) diskutiert. In seiner aktuellen Version (Stand Januar 2024) ist vorgesehen, dass NGT-Pflanzen, die ohne das Einfügen von artfremdem genetischem Material hergestellt werden, unter weniger strikte regulatorische Maßnahmen fallen. Bisher galt, dass alle NGT-Pflanzen als genetisch veränderte Organismen (GVO) gelten und somit entsprechend der im Jahr 2001 veröffentlichten Richtlinie 2001/18 des EU-Rechts reguliert werden.
Durch die Festlegung zwei neuer Kategorien, sollen Pflanzen, die durch NGT-Verfahren hergestellt wurden, diesen regulatorischen „Hürden“ entkommen können. Denn die Richtlinie 2001/18 basiert auf dem im Cartagena-Protokoll verankerten Vorsorgeprinzip. Demnach „hat der Schutz von Gesundheit und Umwelt Vorrang vor wirtschaftspolitischen Erwägungen“ und „[e]s gibt Vertragsstaaten das Recht, Auflagen oder Verbote für die Einfuhr von gentechnisch veränderten Organismen zu verhängen, auch ohne dass endgültige Beweise zu den möglichen Gefahren vorliegen.“
Obwohl im Gesetzesentwurf davon die Rede ist, dass das Vorsorgeprinzip bedacht worden ist, haben zwei unabhängige Rechtsgutachten nachgewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist. Beide Berichte sind sich einig, dass die Pflanzen der Kategorie 1 keiner Risikoprüfung und keinem Monitoring unterliegen – zwei Voraussetzungen, die in der bisherigen EU-Richtlinie ausschlaggebend für die Zulassung aller Art von gv-Pflanzen sind. Mit anderen Worten, die Pflanzen würden so wie konventionell gezüchtete oder natürlich vorkommende Pflanzen behandelt werden, ohne potentielle Konsequenzen für die Umwelt oder die Gesundheit zu erwägen. Die Argumentationslinie der EU-Kommission basiert dabei auf der Tatsache, dass Kategorie 1-Pflanzen einer limitierten Anzahl von 20 genetischen Veränderungen ausgesetzt sein dürfen. Das diese Grenze einer illusorischen Sicherheit entspricht, ist bereits mehrfach kritisiert worden.
Ein Blick in die Forschung
Eine vor kurzem veröffentlichte Studie des Bundesamts für Naturschutz (BfN) kommt zu dem Schluss, dass 94 Prozent der aktuell in der Entwicklung befindlichen NGT-Pflanzen unter die Kategorie 1 fallen würden. D.h. die überwiegende Mehrheit an neuen gv-Pflanzen würde unkontrolliert auf europäischen Feldern, Märkten und Tellern landen.
Die Studie begutachtet die 148 Pflanzen, die im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Umwelt (BAFU) als sich in der Kommerzialisierungspipeline befindende gv-Pflanzen gelistet worden sind. Zu den als NGT1 vorläufig kategorisierten Pflanzenarten gehören Soja (17 gv-Pflanzen), Mais (10) oder Kartoffeln (9) – also Pflanzen, die im großen Maßstab weltweit angebaute werden. Zusätzlich sind Nutzpflanzen, die in kleineren Mengen angebaut werden, wie Erdbeeren (2), Himbeeren (1) und Physalis (1) betroffen. Es zeigt sich auch, dass Wildpflanzenarten, einschließlich Bäume, wie Rohrschwingel, Rutenhirse oder Baumtabak als NGT1 kategorisiert werden.
Aber welche Merkmale sollen durch die neue Gentechnik in diese Pflanzen eingebaut werden?
Diese Frage verfolgt auch das BfN und kategorisiert zu diesem Zweck die Eigenschaften entsprechend Ihrer übergeordneten Zielsetzung. Wer der Agrarlobby abgenommen hat, das NGT eine Technologie für den Natur- und Klimaschutz in der Landwirtschaft ist, wird spätestens zu diesem Zeitpunkt enttäuscht sein. Mit über 30 Prozent werden am häufigsten konsumorientierte Eigenschaften entwickelt. Das sind solche Merkmale, die das Kaufverhalten der Verbraucher*innen beeinflussen sollen. Um diesen Trend zu bestätigen, reicht es, einen Blick auf die weltweit schon zugelassenen NGT-Pflanzen zu werfen. Von den insgesamt vier Pflanzen, enthalten drei konsumorientierte Eigenschaften: ein Champignon, der sich weniger schnell verfärbt; eine in Japan zugelassene Tomate, die sich blutdrucksenkend auf Verbaucher*innen auswirkt und eine Sojapflanze, die einen für den menschlichen Konsum angepassten Fettsäuregehalt aufweist.
An zweiter Stelle liegt die Kategorie der industrieorientierten Eigenschaften. Hier werden Merkmale betrachtet, die zum besseren Transport und zur besseren Lagerung der Pflanzen dienen oder einer konsumunabhängigen-Anwendung zugutekommen, wie zum Beispiel bei der Produktion von Bioenergie durch organisches Material. Die drittgrößte Gruppe umfasst Merkmale im Zusammenhang mit der Pflanzenentwicklung und -kultivierung, einschließlich Pflanzenwachstum, Ertrag, Reproduktion und Ernteaspekte. Gruppe vier enthält Eigenschaften, die darauf abzielen, Toleranz gegenüber biotischen Stressfaktoren wie beispielweise Bakterien, Pilze, Nematoden oder Viren zu verleihen. Zu den fünf häufigsten Merkmalen gehören die Herbizidresistenzen. Mit nur knapp fünf Prozent umfasst die sechste und letzte Merkmalsgruppe die abiotischen Stresstoleranzen, solche die eine bessere Anpassung an den Klimawandel ermöglichen sollen.
Klima Clickbait
Ein zentrales Argument der EU-Kommission zur Deregulierung der neuen Gentechnik ist, dass „sichergestellt werden muss, dass Landwirten, Lebensmittelunternehmern und Verbrauchern Pflanzensorten zur Verfügung stehen, die globale Herausforderungen wie den Klimawandel […] bewältigen können.“ So wird es im NGT-Gesetzesentwurf immer wieder ausgelegt. Die Studie des BfN zeigt allerdings, dass die Bemühungen, die gemacht werden, um Klimaanpassungen in der Pflanzenzucht voranzutreiben, sehr gering sind. Der Grund dafür ist die Komplexität, die Merkmalen wie Dürre- oder Hitzetoleranz zugrunde liegt. Die Art und Weise, wie Pflanzen auf das Klima reagieren, wird durch grundlegende Mechanismen wie zum Beispiel den Wasserhaushalt oder das Wurzelwachstum bestimmt. Abgesehen davon, schwanken klimatische Bedingungen, dementsprechend müssen die Pflanzen in unterschiedlichen Klimaszenarien gedeihen können. All das stellt bedeutende Herausforderungen an die Wissenschaft und die Entwicklung von abiotischen Stresstoleranzen. Das heißt nicht, dass Gentechnik kein Mittel ist, um die Landwirtschaft im Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Aber es stellt die wirkliche Zielsetzung der Agrarkonzerne, die für den größten Teil der Entwicklung von NGT-Pflanzen zuständig sind, in den Vordergrund. Die angebliche Notwendigkeit, mit der viele Gentechnik-Befürworter*innen die Deregulierung vor dem Hintergrund des Klimawandels vehement vorantreiben, ist also fragwürdig.
Wie sieht es mit den Pestiziden aus?
Ein weiterer Aspekt, der kontrovers diskutiert wird, ist die Auswirkung der NGT-Deregulierung auf die Pestizidanwendung. Es ist allgemein bekannt, dass das Versprechen der alten Gentechnik, Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, in vielen Fällen das Gegenteil bewirkt hat. Insbesondere die weltweite Nutzung von Herbiziden korreliert mit dem steigenden Anbau von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen. Der Einsatz des meistverwendeten Herbizides, Glyphosat, stieg in der Landwirtschaft weltweit um das Fünfzehnfache von circa 51.000 Tonnen im Jahr 1995 auf 747.000 Tonnen in 2014 an, während der Ernteertrag nur um zehn Prozent anstieg. Ausschlaggebend dafür ist die Art der eingebauten Pflanzenmerkmale. Circa zwei Drittel der weltweit angebauten Sojabohnen sind gentechnisch verändert und die prädominante Veränderung sind Herbizidresistenzen. Dabei wird in das Pflanzengenom beispielsweise eine Glyphosatresistenz eingebaut, sodass die Felder mit dem Totalherbizid besprüht werden können, ohne dass die Sojapflanzen davon betroffen werden. Die Tatsache, dass herbizidresistente Pflanzen zu einem Anstieg an Pestiziden führen, ist auch der EU-Kommission bewusst. Dementsprechend wurde in dem bisherigen Gesetzestext festgelegt, dass die Deregulierung nicht für Herbizidresistenzen gelten soll – unabhängig davon, ob die Pflanzen mit der alten oder neuen Gentechnik hergestellt wurden.
Im Fall der Insektizide ist die Auslegung nicht so eindeutig. Hier wird keine Insektizidresistenz in die Pflanzen eingebaut, sondern die gv-Pflanzen produzieren eigenständig ein Insektizid. Normalerweise handelt es sich dabei um insektengiftige Proteine des Bakterium Bacillus thuringiensis, auch als Bt-Toxin bekannt. Dementsprechend wäre zu erwarten, dass weniger Insektizide angewendet werden müssten, da die Pflanzen einen eigenen Abwehrmechanismus besitzen. Auf kurze Sicht ist das der Fall, allerdings zeigen Langzeitstudien, dass Insekten neue Resistenzen gegen die Bt-Proteine entwickeln. Dadurch steigt dann auch wieder die Anwendung von Insektiziden, wie zum Beispiel beim Anbau von Bt-Mais in Indien oder den USA zu beobachten ist. Was den Deregulierungsentwurf angeht, würden die Insektizid-produzierenden Pflanzen in Europa weiterhin reguliert werden, da es sich bei dem Bt-Toxin um ein Fremd-Gen handelt. Nur bei Genen, die zu dem Genpool der modifizierten Pflanze gehören, sollen die regulatorischen Maßnahmen aufgehoben werden.
Fungizide, Viruzide und Bakterizide – weitere Kategorien von Pestiziden – würden durch NGT-Pflanzen auch nicht weniger gesprüht werden. Zu dem Schluss kommt eine aktuelle Studie von Foodwatch, die den Zusammenhang zwischen NGT-Forschungsprojekten an Resistenzen gegen Bakterien, Viren und Pilzen und den Einsatz von Pestiziden in Europa untersucht. Der Studie nach zu folgen, liegt das einerseits daran, dass Viren und Bakterien normalerweise nicht mit Pflanzenschutzmitteln bekämpft werden. Andererseits richtet sich die aktuelle NGT-Entwicklung nicht nach in Europa angebauten Nutzpflanzen bzw. dessen Krankheitserregern.
Zusammenfassend, sieht es nicht danach aus, dass NGT-Pflanzen in Europa zu einem ähnlichen Pestizid-Nutzpflanzen-Verhältnis wie in den USA oder Brasilien führen werden. Andererseits spricht auch nichts dafür, dass Pestizidanwendungen reduziert werden, wie von vielen Gentechnik-befürworter*innen postuliert wird. Ebenso ist das Versprechen einer klimaangepassten Landwirtschaft durch eine Deregulierung der NGT ein überspitztes Versprechen. Wenn gv-Pflanzen Hitze oder Dürre trotzen sollen, dann sind regulatorische Maßnahmen ausschlaggebend, um weiterhin einen ökologischen und nachhaltigen Kurs in der Landwirtschaft vorzugeben.
Pascal Segura Kliesow ist Molekularbiologe und Referent für Landwirtschaft und Lebensmittel beim Gen-ethischen Netzwerk.
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