Mit der Biene lernen, die Natur zu achten
Mögliche Risiken der neuen Gentechnik für Ökosysteme
Bienen stehen in komplexen Wechselbeziehungen zu ihren Futterpflanzen, die bis auf die Ebene der Moleküle reichen. Beziehungen die, wie so viele in der Natur, fragil und längst noch nicht genau erforscht sind. Das Beispiel der Biene zeigt wie wichtig eine Risikoprüfung für die Anwendungen der neuen Gentechnik ist.

Bienen tragen beim Sammeln von Nektar den Pollen von einer Pflanze zur anderen und befruchten sie damit. Eine für die Landwirtschaft unersetzbare Pflanze-Tier-Interaktion. Foto: Oleksandrum – stock.adobe.com
„Alles hängt mit allem zusammen“, erkannte bereits Alexander von Humboldt. In Zeiten der Klimakrise wird deutlich, wie lebenswichtig natürliche Partnerschaften sind, denn: keine Blütenpflanzen ohne Bestäuber, keine Hülsenfrüchte ohne Bakterien. Und damit weniger Stabilität für unsere Ökosysteme und Ernährung. Könnte Gentechnik die Lösung sein? Und falls ja, welches Ausmaß an gentechnischen Eingriffen können wir komplexen Lebensgemeinschaften im Ökosystem zumuten, ohne unsere Lebensgrundlagen zu gefährden?
Biozönosen, komplexe Lebensgemeinschaften aus Pflanzen, Tieren und anderen Organismen, sind durch vielfältige Wechselbeziehungen eng verbunden und evolutionär hervorragend aufeinander abgestimmt. Doch mit der zunehmenden Zahl menschlicher Eingriffe erhöht sich auch das Risiko, die Signal- und Stoffwechselwege dieser empfindlichen Netzwerke zu stören. Schauen wir uns das einmal an einem konkreten Beispiel an: den Bestäubern.
So kommunizieren Bestäuber und Pflanzen
Bestäuber-Biozönosen kommunizieren auf vielfältige Weise. Einige Blütenpflanzen können „hören“, wenn Bestäuber in der Nähe sind. Ihre Blüten treten mit den Schwingungen der Bestäuberflügel in Resonanz. So können sie beim Summen eines Bestäubers den Zuckergehalt im Nektar erhöhen, werden attraktiver und verbessern ihren Fortpflanzungserfolg. Abstimmungen durch „Bestäubersymbiosen“ reichen hinunter bis auf die Molekülebene, wo Bienen und Blütenpflanzen über Artgrenzen hinweg RNA-Moleküle zur Genregulation austauschen. Lange bekannt ist auch, dass die Kastenbildung bei Honigbienen wesentlich durch pflanzliche microRNA bestimmt wird.
Ökosystem-Netzwerke: kleiner Eingriff, große Wirkung
Schon kleine genetische Eingriffe in diese fein abgestimmten Netzwerke können gravierende Folgen für Ökosysteme haben. Das zeigten Forschende der Universitäten Zürich und Kalifornien 2022 in einem aufsehenerregenden Laborexperiment.1 Durch Veränderung von nur einem Schlüsselgen brachten sie ein Modell-Ökosystem aus Ackerschmalwand, zwei Blattlausarten und einer parasitoiden Kleinwespe zum Zusammenbruch. Studienleiter Matthew Barbour resümierte: „Wir fangen gerade erst an zu verstehen, welche Folgen genetische Veränderungen für das Zusammenspiel und die Koexistenz von Arten haben.“2 Wie heikel gentechnische Eingriffe für Biozönosen sind, demonstrierten auch Forschende des Max-Planck-Instituts anhand von gentechnisch verändertem Blütennektar: Nur in einem wohldosierten, evolutionär entstandenen Mischungsverhältnis aus verschiedenen Inhaltsstoffen konnte Nektar Bestäuber anlocken und zugleich Fraßfeinde abschrecken. Studienleiter Ian Baldwin vergleicht die natürlich evolvierten Pflanzennektare mit einer erfolgreich auf dem Markt etablierten Limonade, deren Rezept im Verlauf der Jahre nur geringfügig verändert werden darf, um weiterhin erfolgreich zu bleiben.
Erhöhtes Risiko für die Bienengesundheit
Die Industrie allerdings möchte neue Gentechniken (NGT) nutzen, um pflanzliche Inhaltsstoffe gezielt an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen. Bei Raps und Leindotter, wichtigen Bestäuberpflanzen, soll beispielsweise der Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFAs) drastisch gesenkt werden. Denn PUFAs sind anfällig für Oxidation – und daher schlecht geeignet für die industrielle Verarbeitung als Agrosprit. Nehmen allerdings Bienen zu wenig PUFAs auf, werden ihre Gehirnfunktionen und ihre Fortpflanzungsfähigkeit gestört. Dieses Risiko für die Bienengesundheit zeigt eine aktuelle Studie der Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU), die rund 50 Publikationen zu mit NGT verändertem Raps und Leindotter ausgewertet hat.3
Der hochrenommierte Neurobiologe und Bienenforscher Prof. Dr. Randolf Menzel (FU Berlin) kommentiert diese Studie wie folgt: „Die Studienlage weist eindeutig darauf hin, welche Gefahren für die Bestäuber, insbesondere die Honigbiene, bestehen, wenn die Zusammensetzung der Öle von Brassicaceae verändert wird, weil diese im Pollen abgelagert werden. Auch das Potenzial der Auskreuzung in ‚Unkraut-Brassicae‘-Arten stellt für mich eine besondere Gefahr dar. Für mich ergibt sich die naheliegende und dringende Schlussfolgerung, dass eine nicht überprüfte NGT-Anwendung unverantwortlich ist.“4
Wissenschaft – die eigenen Grenzen kennen
Eine solche „nicht überprüfte NGT-Anwendung“ sieht allerdings ein aktueller Gesetzesentwurf der EU-Kommission vor. Pflanzen, deren Erbgut an bis zu 20 Stellen gentechnisch verändert wurde, sollen ohne Risikoprüfung freigesetzt werden dürfen. In diese „Kategorie 1“ fallen laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) 94 Prozent aller bereits entwickelten NGT-Pflanzen. Ökolog*innen weisen darauf hin, dass die Grenze von 20 erlaubten Erbgut-Veränderungen willkürlich ist und keine Umweltrisiken berücksichtigt. Dies wäre jedoch dringend notwendig, denn die von der EU-Kommission geplante Deregulierung soll nicht nur landwirtschaftlich genutzte Arten betreffen, sondern alle geschätzt 450.000 Wildpflanzenarten. „Die circa 20 wichtigsten Nutzpflanzen, die bisher der konventionellen Züchtung unterliegen, erscheinen da nahezu bedeutungslos“, resümiert die Vegetationsökologin Prof. Dr. Katja Tielbörger, Mitglied der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS ).5 Tielbörger warnt vor unabsehbaren Folgen für Ökosysteme und Biodiversität durch nicht risikogeprüfte NGT-Pflanzen und kritisiert, dass die Expertise, die dem Kommissionsvorschlag zugrunde liegt, vor allem aus den molekularen Wissenschaften kommt. Umwelt- und Wissenschaftsinstitutionen wie die Gesellschaft für Ökologie (GfÖ), die weltweit drittgrößte wissenschaftliche Gesellschaft im Bereich Ökologie, die französische Lebensmittel- und Umweltsicherheitsbehörde ANSES, das BfN und weitere europäische Umweltbehörden halten den Kommissionsvorschlag für wissenschaftlich unzureichend begründet und fordern eine wissenschaftsbasierte Einzelfallprüfung aller NGT-Pflanzen, denn die Risiken künftiger Produkte und Pflanzeneigenschaften sind heute noch nicht absehbar. „Sollte es beispielsweise gelingen, eine trockenresistente Feldfrucht zu entwickeln, so könnte diese invasiv werden, weil sie auf einmal Habitate besiedeln könnte, in denen sie vorher nicht überleben konnte“, warnt das BfN.6
Gravierende Veränderungen mit der sog. Genschere
Schon heute ist es Forschenden mit geringen genomischen Veränderungen gelungen, eine NGT-Pappel zu entwickeln, die bereits nach nur vier Monaten blüht.7 Natürlicherweise blühen Pappeln erst nach sieben bis zehn Jahren. Es braucht nur wenig Fantasie, sich das invasive Potenzial durch eine derart veränderte Pappel vorzustellen. Wir sehen: Mit der sogenannten Genschere CRISPR-Cas sind offensichtlich Veränderungen möglich, die weit über das hinausgehen, was üblicherweise aus der konventionellen Zucht zu erwarten ist. Gleich die erste NGT-Pflanze mit EU-Importzulassung ist ein Mais, der ein Insektengift produziert und resistent gegen ein in der EU verbotenes Herbizid ist. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft von NGT ohne Umweltrisikoprüfung erwarten.
Interdisziplinarität – alles hängt mit allem zusammen
Zurzeit wird der NGT-Vorschlag der Kommission im EU-Rat noch kontrovers diskutiert. Es ist zu hoffen, dass die Argumente der Ökolog*innen für die Risikoprüfung aller NGT-Pflanzen endlich gehört und verstanden werden. Angesichts der Möglichkeit, die Ökosysteme durch eine sehr große Zahl neuer Genotypen irreversibel zu schädigen, ist Humboldts eingangs erwähnte Erkenntnis aktueller denn je. Um mit einem mächtigen Werkzeug wie der sogenannten Genschere verantwortungsbewusst umgehen zu können, müssen wir lernen, Komplexität besser zu verstehen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt dazu eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachgebiete, um die Agrar- und Ernährungssysteme grundsätzlich zu transformieren. Die Biene übrigens arbeitet seit Langem erfolgreich „interdisziplinär“ mit Blütenpflanzen zusammen. Hier könnten sich Forschung und Lehre von Biene und Co inspirieren lassen.
Dieser Artikel ist ein Wiederabdruck. Er erschien zuerst hier: Rodekohr, Bernd (2024): Neue Gentechnik – mit der Biene lernen, die Natur zu achten. In: MINT-Zirkel, Klett-Verlag, Ausgabe 2024-3, S.6-7, online: www.MINT-zirkel.de.
- 1
Barbour, M.A. et al. (2022): A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. In: Science. Vol. 376, Issue 6588, S.70-73, www.doi.org/10.1126/science.abf2232.
- 2
Universität Zürich (31.03.2022): Ein einziges Gen steuert die Artenvielfalt in einem Ökosystem. Online: www.kurzlinks.de/gid272_rb.
- 3
Koller, F. et al. (2024): Environmental risk scenarios of specific NGT applications in Brassicaceae oilseed plants. In: Environ Sci Eur 36, S.189, www.doi.org/10.1186/s12302-024-01009-1.
- 4
PM Aurelia (29.11.2023): Schädigt Neue Gentechnik Bienen? Hinweise bei gentechnisch veränderten Agrosprit-Pflanzen. Online: www.kurzlinks.de/gid272_rc.
- 5
Tielbörger, K. (2024): Deregulierung der Neuen Gentechnik in der EU. Ein Beitrag zum EU Green Deal? In: Ökologisches Wirtschaften, Vol. 39(2), S.8, www.doi.org/10.14512/OEW390208.
- 6
BfN: Häufig gefragt: Gentechnik. Online: www.bfn.de/haeufig-gefragt-gentechnik#anchor-11205.
- 7
Ortega et al. (2022): In vitro floral development in poplar: insights into seed trichome regulation and trimonoecy. In: New Phytologist, Vol. 237 (4), S.1078-1081, www.doi.org/10.1111/nph.18624.s
Bernd Rodekohr betreut den Bereich Gentechnik bei der Aurelia Stiftung, hat visuelle Kommunikation studiert und über drei Jahrzehnte als Konzepter, Texter und Grafik-Designer gearbeitet.