Von der Schutzherrin zum Markt der Möglichkeiten

Die CBD als Instrument zur Förderung von Biotechnologie?

Die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) spielt eine wichtige Rolle bei der internationalen Regulierung von Biotechnologien. Einige Länder machten auf dem letzten Treffen, der COP 16, jedoch deutlich, dass sie die Technologien lieber gefördert als reguliert haben wollen. Ein gefährlicher Vorstoß.

 

Als das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) vor über 30 Jahren verfasst wurde, wurden die Biotechnologien – zu Recht – als Bedrohung für die Biodiversität und deren nachhaltige Nutzung angesehen. Um die Artenvielfalt zu erhalten, sollten alle unterzeichnenden Länder die „Risiken, die mit der Nutzung und Freisetzung der durch Biotechnologie hervorgebrachten lebenden modifizierten Organismen zusammenhängen“ regeln und kontrollieren (Artikel 8g). Gleichzeitig wurde vereinbart, die „Ergebnisse und Vorteile von Biotechnologien“ zu teilen, wenn diese auf genetischen Ressourcen aus sogenannten Entwicklungsländern basieren (Artikel 19). Heute hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Im Kontext der CBD wird nun zunehmend über den möglichen Nutzen der Biotechnologien gesprochen – zum Nachteil des im Übereinkommen verankerten Vorsorgeprinzips.

Gleichzeitig werden die Biotechnologien immer wirkmächtiger. Wurden früher Organismen lediglich „gentechnisch verändert“, so werden heute gänzlich neue Organismen geschaffen, die es in der Natur so nicht gibt. Die CBD verwendet den Begriff „synthetische Biologie“ für die „Weiterentwicklung und neue Dimension moderner Biotechnologie“, die auf Werkzeuge wie DNA-Synthese, Next-Generation-Sequenzierung, Bioinformatik und Genom-Editierung zurückgreift.

Solche Werkzeuge wurden lange Zeit dazu genutzt, um Mikroben zu entwickeln, die in geschlossenen Anlagen Arzneimittel oder Lebensmittelzusätze herstellen. Neuere Anwendungen zielen jedoch auch auf den Einsatz im Freiland ab. So gibt es schon heute gentechnisch veränderte (gv) Mikroben, die als Stickstoffdünger dienen. Andere gv-Mikroben sollen als „nachhaltige lebende Pestizide“ zum Einsatz kommen.1

Bei der UN-Artenschutzkonferenz von 2022, der COP 15, hatten die CBD-Vertragsstaaten beschlossen, die jüngsten technologischen Entwicklungen in der synthetischen Biologie regelmäßig zu überprüfen, zu überwachen und zu bewerten.2 Daraufhin wurde eine multidisziplinäre Expert*innengruppe eingesetzt, die hierfür ein geeignetes Verfahren in die Wege leiten sollte. Neben Vertreter*innen der CBD-Vertragsstaaten nahmen daran auch Vertreter*innen der USA, der Industrie und NGOs (u. a. Save Our Seeds) teil. Die Ergebnisse und Empfehlungen wurden im Februar 2024 vorgestellt.3

Die Expert*innen warnten unter anderem, dass die „weitreichende, dauerhafte und vererbbare gentechnische Veränderung wildlebender Organismen“ auf eine „Neugestaltung der Natur“ hinauslaufen könnte. Sie setzten sich detailliert mit einer Reihe von Trends auseinander, darunter der Einsatz „künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens“ in der synthetischen Biologie, „selbstverbreitende Impfstoffe für Wildtiere“, „selbst-limitierende Insektensysteme“ und „gentechnische Gene Drives zur Kontrolle von krankheitsübertragenden und invasiven Arten“. Die Expert*innengruppe empfahl, diese Trends in Zukunft noch eingehender zu bewerten, um unter anderem die sozioökonomischen, kulturellen und ethischen Auswirkungen von selbst-limitierenden Insektensystemen und Gene Drives besser zu verstehen. Im Hinblick auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz sollten auch die Auswirkungen auf die biologische Sicherheit, den Zugang zu genetischen Ressourcen und die gerechte Verteilung der daraus resultierenden Gewinne eingehender untersucht werden.3

Eine solche Auseinandersetzung ist tatsächlich überfällig, denn diese Trends sind längst Realität. Künstliche Intelligenz wird zunehmend zur Entwicklung von gv-Mikroben und Proteinen eingesetzt, und „selbst-limitierende“ Insekten der Firma Oxitec wurden bereits in Ländern wie Brasilien und den USA freigesetzt.4 Die experimentelle Freisetzung von Gene-Drive-Moskitos, ursprünglich für 2024 geplant, wird weiterhin in Uganda und anderen afrikanischen Ländern angestrebt.

Diese extremen Formen der Gentechnik eröffnen eine völlig neue Dimension von Umweltrisiken. Gene Drives zielen darauf ab, ganze Populationen wildlebender Arten zu verändern oder zu eliminieren. Das kann irreversible Schäden verursachen – auch jenseits des Landes, in dem die Organismen zuerst freigesetzt wurden. Die multidisziplinäre Expert*innengruppe der CBD warnte konkret vor dem „unbeabsichtigten Aussterben von Arten“, der „Störung von Ökosystemen“ und dem „Rückgang der Artenvielfalt“ durch Gene Drives. Das Vorsorgeprinzip, das vor mehr als 30 Jahren in der CBD verankert wurde, ist daher heute wichtiger denn je für den Schutz von Mensch und Natur.

Dennoch haben es einige wenige Länder geschafft, die von den Expert*innen empfohlene eingehende Bewertung dieser Trends zu blockieren. Bei der letzten Zusammenkunft der CBD-Vertragsstaaten, der COP 16, Ende 2024 in Cali (Kolumbien) forderten Länder wie Brasilien oder Neuseeland, die CBD solle sich stattdessen auf den Nutzen konzentrieren, den die synthetische Biologie für die Erreichung des Kunming-Montreal-Abkommens von 2022 haben könnte. Mit diesem Abkommen, das als Weltnaturvertrag gefeiert wurde, verpflichtete sich die internationale Staatengemeinschaft dazu, den Verlust biologischer Vielfalt bis 2030 zu stoppen und den Trend sogar umzukehren.

Im Ergebnis der COP 16 in Cali soll nun eine neue Expert*innengruppe (AHTEG) den „derzeitigen und potenziellen Nutzen der synthetischen Biologie“ im Hinblick auf die Ziele der CBD und auf die Umsetzung des Kunming-Montreal-Abkommens erörtern. Daneben sollen die potenziellen positiven und negativen Auswirkungen der jüngsten technologischen Entwicklungen betrachtet werden.5 Die nächste UN-Artenschutzkonferenz, die COP 17, die 2026 in Armenien stattfindet, soll zudem einen Aktionsplan beschließen, der es vor allem finanziell schwächeren Ländern ermöglicht, ihren „Bedarf an Kapazitätsaufbau, Technologietransfer und Wissensaustausch zu decken“ so die Pressemitteilung der kolumbianischen Präsidentschaft.6

Dieselben Länder, die so gern über die Vorzüge der Biotechnologien reden wollen, sind gleichzeitig bestrebt, den Anwendungsbereich des Cartagena-Protokolls einzuengen. Dieses rechtlich verbindliche Protokoll soll den sicheren Umgang mit „lebenden modifizierten Organismen“ (LMO, auch gentechnisch veränderte Organismen – GVO – genannt) gewährleisten und damit nachteilige Auswirkungen auf die Artenvielfalt verhindern. Die entsprechenden Vorschriften sind vor allem für den Import und Export (d. h. die grenzüberschreitende Verbringung) von LMO relevant.

Im Vorfeld der COP 16 hatte das Gremium, das für die Einhaltung des Protokolls zuständig ist, angeregt, dass sich die Vertrags­staaten über ihre derzeit unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs „lebender veränderter Organismus“ und ihre unterschiedlichen Gesetze zur Genomeditierung austauschen.7 Brasilien quittierte den Vorstoß mit lautem Protest. Die brasilianische Regierung hatte bereits 2018 entschieden, eine Vielzahl genomeditierter Organismen aus seiner nationalen LMO-Gesetzgebung auszunehmen. Auch Neuseeland und das Vereinigte Königreich wollten jegliche Diskussion hierüber vermeiden. Das Vereinigte Königreich behauptete gar, jedes Land solle selbst entscheiden können, wie es den LMO-Begriff auslegt. Am Ende einigte man sich lediglich darauf, dass das CBD-Sekretariat bis zur COP 17 einschlägige Informationen über „aktuelle nationale Gesetze, Verordnungen und Leitlinien“ zusammentragen soll.8

Zum Glück hatten die EU und Norwegen eine relativ klare Position in beiden Debatten und setzten sich für die weitere Auseinandersetzung mit den Gefahren der synthetischen Biologie und für die Einhaltung des Cartagena-Protokolls ein. Dennoch braucht es mehr Anstrengungen, damit die CBD die neuen wirkmächtigen Formen der Biotechnologie und ihre möglichen Konsequenzen für die Artenvielfalt effektiv kontrollieren kann.

  • 1

    Vogel, B. (2024): Kommen bald gentechnisch veränderte Mikroben auf die Felder? In: GiD-Magazin, Ausgabe 268, S.24-25, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4662.

  • 2

    CBD (19.12.22): Decision adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity – 15/31. Synthetic biology. Dokument: CBD/COP/15/31, online: www.kurzlinks.de/gid272-da.

  • 3a3b

    CBD (06.02.24): Report of the multidisciplinary Ad Hoc Technical Expert Group on Synthetic Biology to Support the Process for Broad and Regular Horizon Scanning, Monitoring and Assessment on its second meeting. Dokument CBD/SYNBIO/AHTEG/2024/1/3. Online: www.kurzlinks.de/gid272-db.

  • 4

    GeneWatch (2012): Riskante Freisetzungen, In: GID-Magazin, Ausgabe 214, S.7-11, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/2408.

  • 5

    CBD (01.11.24): Synthetic biology – Draft decision submitted by the Chair of Working Group II. Dokument CBD/COP/16/L.21. Online: www.kurzlinks.de/gid272-dd.

  • 6

    CBD (02.11.24): Biodiversity COP 16: Important Agreements Reached Towards making Peace with Nature. Online: www.kurzlinks.de/gid272-de.

  • 7

    CBD (25.10.24): Decision adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity serving as the meeting of the Parties to the Cartagena Protocol on Biosafety on 25 October 2024. Dokument CBD/CP/MOP/11/3. Online: www. kurzlinks.de/gid272-df.

  • 8

    CBD (28.10.24): Report of the Compliance Committee. Dokument CBD/CP/MOP/11/L/7. Online: www.kurzlinks.de/gid272-dg. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 15.01.25]

Erschienen in
GID-Ausgabe
272
vom Februar 2025
Seite 26 - 27

Franziska Achterberg ist Leiterin für Politik und Interessenvertretung bei der Organisation Save Our Seeds. Franziska Achterberg hat lange für Greenpeace in Brüssel gearbeitet, danach leitete sie die Biodiversitäts-Kampagne der Grünen-Fraktion im Europaparlament.

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Internationale Abkommen

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) ist ein globales, völkerrechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der belebten Natur. Die CBD hat 196 Mitgliedsstaaten, inklusive Deutschland. Zur Umsetzung der Biodiversitätskonvention und ihrer Weiterentwicklung kommen die Vertragsstaaten alle zwei Jahre zu einer Konferenz zusammen, der Conference of the Parties (COP CBD).

COP 15: 2022 in Montreal, Kanada
COP 16: 2024 in Cali, Kolumbien
COP 17: 2026 in Yerevan, Armenien

Im Rahmen der COP CBD können Expert*innengruppe mit bestimmten Zielen einberufen werden (Ad Hoc Technical Expert Group on Indicators, kurz AHTEG).

Das Kunming-Montreal-Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der auf der COP CBD 15 beschlossen wurde, mit dem Ziel, dass die Welt bis 2050 im Einklang mit der Natur lebt. Dafür wurden in dem Abkommen konkrete Zwischenziele, Überwachungsmechanismen etc. beschlossen. Alle Vertragsparteien sind verpflichtet, nationale Ziele zu seiner Umsetzung festzulegen.

Das Cartagena-Protokoll ist ein internationales Abkommen, das im Rahmen der CBD in 2003 in Kraft getreten ist. Es soll die sichere Handhabung, Beförderung und Verwendung von lebenden veränderten Organismen (LMO) aus der modernen Biotechnologie, die nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben können, gewährleisten, wobei auch Risiken für die menschliche Gesundheit berücksichtigt werden.