Klimawandel und Bevölkerungsbombe

Familienplanung im Globalen Süden soll den Planeten retten

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 mobilisierten BevölkerungsexpertInnen und Lobbygruppen in den USA die Medien mit der Behauptung, die Überbevölkerung sei Hauptursache für die globale Erwärmung. Nur drastisch hohe Investitionen in Familienplanung könnten den Planeten noch retten. KritikerInnen in den USA mussten sich einmal mehr engagieren, um der Idee einer „Bevölkerungsbombe“ als Ursache weltweiter Krisen entgegenzutreten.

1968 veröffentlichte der Biologie Paul Ehrlich „Die Bevölkerungsbombe“ und weissagte darin, eine „Bevölkerungsexplosion“ würde die Umwelt verheerend zerstören und hunderte von Millionen Hungertote bis in die 1980er Jahre verursachen. Seine Vorhersagen bewahrheiteten sich nicht; stattdessen wuchs die weltweite Nahrungsmittelproduktion seither schneller als die Weltbevölkerung und die Geburtenraten gingen aus vielen verschiedenen Gründen weltweit zurück. Dennoch rechtfertigten damals Hiobsbotschaften repressive Bevölkerungsprogramme, die weder auf Menschenrechte noch Frauengesundheit Rücksicht nahmen. Mit den Reformen der UN-Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 gingen allerdings viele davon aus, dass Familienplanung nun von den Fesseln der Bevölkerungskontrolle befreit worden sei. Die Bevölkerungslobby hielt jedoch auch nach Kairo an ihrem Gedankengut fest. Das Problem des Klimawandels wurde für sie eine willkommene Gelegenheit, einmal mehr die armen Bevölkerungen des Globalen Südens zur Verantwortung zu ziehen und weibliche Fruchtbarkeit dort zur Zielscheibe zu erklären. In den USA übernahm die einflussreiche Organisation Population Action International für diese Kampagne eine führende Rolle.1 Und auch Paul Ehrlich meldete sich mit einer „überarbeiten Bevölkerungsbombe“ öffentlich zurück und verbreitete Katastrophenstimmung.2 Beispielsweise konnte man 2009 in einem Dokumentarfilm auf ABC ein apokalyptisches Szenario zur Welt im Jahre 2100 sehen: Die Hälfte der Menschheit starb hier an einer neuen Seuche. Und erst danach konnten die Überlebenden einen Zustand des Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur erreichen. Leider sprangen auch einige Feministinnen auf diesen Zug auf und propagierten freiwillige Familienplanung als Mittel zur Verringerung der globalen Erwärmung.3

Mangelhafte Logik

Eine solche Position übergeht Machtverhältnisse zwischen Arm und Reich und verkennt, dass es ein Widerspruch ist, einerseits weltweite Krisenphänomene der Fruchtbarkeit armer Frauen zuzuschreiben und andererseits für deren reproduktive Rechte und Gesundheit einzutreten. Die Denkmuster, mit denen wir es hier zu tun haben, sind voller Fehlschlüsse. Industrialisierte Länder, in denen nur 20 Prozent der Weltbevölkerung leben, sind für 80 Prozent des CO2-Austoßes in die Atmosphäre verantwortlich. Die klimaschädlichste Lebensweise ist die in den USA. Ein übermäßiger Konsum der Reichen steht in einer sehr viel engeren Verbindung zum Klimawandel als das Wachstum armer Bevölkerungen. Die wenigen Länder, in denen es heute noch hohe Geburtenraten gibt, wie die im subsaharischen Afrika, verursachen mit Abstand den geringsten Pro-Kopf-CO2-Ausstoß weltweit.4 Die Überbevölkerungsrhetorik ignoriert zudem demografische Realitäten. In wenigen Jahrzehnten ist das Bevölkerungswachstum in allen Ländern weltweit zurückgegangen. Durchschnittlich haben Frauen im Globalen Süden heute 2,75 Kinder, für das Jahr 2050 geht man von 2,05 Kindern pro Frau aus. Demografische Prognosen nehmen an, dass die Weltbevölkerung noch bis zum Jahr 2050 auf 9 Milliarden Menschen anwachsen und die Zahl sich dann stabilisieren wird. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, ökologische Wirtschaftsformen für diese Weltbevölkerung zu entwickeln. Investitionen in öffentlichen Nahverkehr statt in die Automobilindustrie, in Wohnblöcke statt in Vorstadturbanisierung, in erneuerbare Energien statt in fossile Brennstoffe oder Atomkraft sind entscheidend.

Wissenschaftliche Propaganda zur Klimaschuld

Ernsthafte ökologische Forscher haben die Verbindung von Bevölkerungszahlen und Klimawandel längst in Frage gestellt.5 Eine frauenfeindliche Pseudowissenschaft pusht den Überbevölkerungsalarm dennoch weiter. So griff die Presse eine Studie von zwei Wissenschaftlern der Oregon State University begeistert auf, die das Gebären von Kindern mit einer langfristigen „Klimaschuld” in Verbindung bringen.6 Jede individuelle Frau wird hier nicht nur für die Emissionen ihrer Kinder, sondern all ihrer Nachfahren auf lange Sicht verantwortlich gemacht. In diesen Berechnungen fehlt jegliche Vorstellung davon, dass Menschen dazu fähig sind, positive gesellschaftliche und ökologische Veränderungen voranzubringen und dass die nächste Generation den Übergang weg von fossilen Brennstoffen schaffen könnte. Der strafende Blick ist auf Individuen gerichtet statt auf die Bedeutung kapitalistischer Produktions-, Distributions- und Konsumptionsweisen als Ursache globaler Erwärmung. Eine zweite Studie, die durch die Medien geistert, geht auf das Konto der britischen Organisation „Optimum Population Trust“ (OPT), die auf ihrer Agenda auch Forderungen nach Migrationsbeschränkung hat. OPT finanzierte eine simple Kosten-Nutzen-Analyse eines Studenten der London School of Economics (LSE). Er kam in seiner Arbeit zu dem Schluss, es sei billiger, CO2-Emissionen durch Familienplanung als durch alternative Technologien zu reduzieren.7 Obwohl seine Arbeit von keinem Wissenschaftler der LSE überprüft wurde, übernahmen Karen Hardee und Kathleen Mogelgaard von Population Action International diese Ergebnisse als wissenschaftliche Tatsache.8

Neue Wendungen

Seit 2009 haben in den USA einige kritische Stimmen gegen den Link „Bevölkerungswachstum als Ursache von Klimawandel“ protestiert. Die Bevölkerungslobby ließ sich so in den letzten zwei Jahren eine neue Argumentation für Familienplanung als klimarelevante Investition einfallen. Familienplanung helfe, die „Verletzlichkeit“ von Frauen durch den Klimawandel zu verringern und ermögliche eine bessere Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen, so die Reports von Population Action International zu Klimawandel in afrikanischen Ländern.9 Ähnlich argumentiert auch ein Gutachten des US-Think Tanks „Council on Foreign Relations”.10 Die Wende zu weniger Katastrophismus ist nichts Neues: Der Bevölkerung-Klima-Link ist ja bereits gesetzt. Und das pragmatische Ziel ist auch mit dieser Argumentation dasselbe, nämlich von nationalen Klima-Aktionsplänen Gelder für Familienplanung abzuzwacken. Für KritikerInnen der „Bevölkerungsbombe“ bleibt es eine wichtige Aufgabe, nicht nur diesen falschen Links entgegenzutreten, sondern auch die richtigen Themen anzusprechen. Dazu gehört vieles: Kämpfe für eine Politik, die die soziale Reproduktion des alltäglichen Lebens in den Mittelpunkt stellt, Protest gegen die Rolle mächtiger Konzerne und Politiker, Allianzen mit Bewegungen, die sich weltweit gegen zerstörerische Wirkungen der Erdölförderung zur Wehr setzen, Einsatz für Strategien der Ernährungssicherheit und Protest gegen die weltweite Expansion einer Luxus-Agrarexportproduktion, Protest gegen den Handel mit Emissionszertifikaten, Einsatz für die Rechte von MigrantInnen und Flüchtlingen und nicht zuletzt der Kampf gegen die enormen zerstörerischen und ressourcenverbrauchenden Potentiale von Militarisierung und Krieg.11
Übersetzung und Bearbeitung: Susanne Schultz.

  • 1L. Jiang/K. Hardee (2009): How Do Recent Population Trends Matter To Climate Change?, online: www.kurzlink.de/gid217_5.
  • 22009 gab Ehrlich in einem Aufsatz zwar zu, dass er sich in der Frage der Nahrungsmittelproduktion geirrt habe. Er erklärte aber die zentralen Thesen seines Buchs für weiterhin gültig. P. R. Ehrlich/ A.H. Ehrlich (2009): The Population Bomb Revisited, online: www.kurzlink.de/gid217_m.
  • 3L. Mazur (2009): World Population Day: Why You Should Care, online: www.kurzlink.de/gid217_n.
  • 4Genauere Daten siehe: 10 Reasons Why Population Control is not the Solution to Global Warming, in: DifferentTakes Nr. 57, online: www.kurzlink.de/gid217_o.
  • 5Z. B. F. Pearce (2009): Consumption Dwarfs Population as Main Environmental Threat, in: Yale Environment 360, www.kurzlink.de/gid217_p; D. Satterthwaite (2009): The implications of population growth and urbanization for climate change, online: www.kurzlink.de/gid217_6.
  • 6P. A. Murtaugh/M. G. Schlax (2009): Reproduction and the carbon legacies of individuals, in: Global Environmental Change, online: www.kurzlink.de/gid217_q.
  • 7T. Wire (2009): Fewer Emitters, Lower Emmissions, Low Cost: Reducing Future Carbon Emissions by Investing in Family Planning, online: www.optimumpopulation.org/reducingemissions.pdf.
  • 8K. Hardee/K. Mogelgaard (2009): Climate Change, Population Growth and Reproductive Health: It’s About More Than Reducing Emissions, online: www.kurzlink.de/gid217_7.
  • 9Vgl. Population Action International Berichte zu Malawi und Kenia, online: http://populationaction.org/topics/climate-change/.
  • 10G. Dabelko (2011): Population and Environment Connections, online: www.kurzlink.de/gid217_s.
  • 11Eine lange Version dieses Textes findet sich in der Broschüre: The Population Bomb is back - with a Global Warming Twist, Hrsg.: ISIS International, Women in Action Nr. 2, 2009. Hier werden diese alternativen Perspektiven genauer ausgeführt.
Erschienen in
GID-Ausgabe
217
vom April 2013
Seite 21 - 22

Betsy Hartmann leitet das Population and Development Program des Hampshire College (Massachusetts/USA).

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Elizabeth Barajas-Román engagiert sich als Feministin seit vielen Jahren in der Kritik neomalthusianischer Denkmuster und Programme.

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